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Herr Professor Thode, Sie begleiten seit über 20 Jahren Unternehmen bei Veränderungsprozessen. Warum müssen sich Unternehmen verändern?

Stefan Thode: Unternehmen müssen sich laufend verändern, um sich an neue Rahmenbedingungen anzupassen und weiterhin erfolgreich zu sein. Märkte, Wettbewerber, gesetzliche Vorschriften oder Konsumentenwünsche sind ständig in Bewegung und erfordern neue Strategien. Nehmen wir etwa die Digitalisierung. Dieser Megatrend ist so bedeutend, weil er auf alle Bereiche eines Unternehmens Auswirkungen hat: auf Strategien und Produkte ebenso wie auf Prozesse und Systeme. Ein weiteres Beispiel ist der Klimaschutz. Vor wenigen Jahren war das Thema eher in der Nische relevant. Heute müssen sich Betriebe darauf einstellen, dass die Kunden oder der Gesetzgeber kritisch nachfragen, welche Anstrengungen in diesem Bereich unternommen werden. Oder der demografische Wandel: Die Babyboomer gehen in den Ruhestand, und mit den Millenials kommt eine neue Generation auf den Arbeitsmarkt, die nach anderen Werten lebt und Sinnstiftung im Arbeitsleben sucht. Wie kann es zudem gelingen, das Wissen im Unternehmen zu behalten und attraktiv für junge Menschen zu sein? Dafür müssen passende Konzepte entwickelt werden. Mit solchen und vielen weiteren Themen müssen sich Unternehmen permanent auseinandersetzen. Eine längere Phase der Stabilität gibt es nicht mehr.
 

Was ist der wichtigste Erfolgsfaktor in einem Change-Prozess?

Thode: Zu dieser Frage gibt es viele Studien, die ein recht eindeutiges Ergebnis liefern und sich mit meiner Erfahrung decken: Das Topmanagement muss sich federführend um das Thema kümmern. Im Idealfall wirken dort Vorbilder, an denen sich das ganze Unternehmen orientiert. Diese Erkenntnis hört sich vielleicht banal an, in der Praxis müssen Führungskräfte aber häufig Hürden überwinden. Manchmal fehlt ihnen die Zeit, manchmal sind sie sich über die Ziele selbst nicht einig, manchmal können sie keine Begeisterung bei den Mitarbeitern entfachen. Weitere Erfolgsfaktoren sind: eine klare Kommunikation der Vision und der Ziele, die Einbindung der Mitarbeiter und Expertise im Change-Management. Nur große Konzerne können es sich leisten, einen eigenen Stab für das Thema Veränderungen vorzuhalten. Deswegen kann es Sinn ergeben, externe Expertise hinzuzuziehen.

„Wandel wird nur erfolgreich bewältigt, wenn die Führungskräfte die Veränderung vorleben.“

Woran können Change-Prozesse scheitern?

Thode: Vor allem an den sogenannten weichen Faktoren. Organisationen bestehen vorrangig aus Handlungen, Wahrnehmungen und Emotionen von Menschen. Entstehen in Veränderungsprozessen Egoismen, kommt es zu machtpolitischen Spielchen oder mangelt es den Führungskräften an Engagement, so werden Veränderungsprozesse scheitern. Weitere mögliche, eher harte Faktoren wie mangelnde Ressourcen oder Zeit sind auch wichtig, geraten gegenüber den weichen Faktoren aber deutlich ins Hintertreffen.

Wie gelingt es, Mitarbeiter zum Treiber des Wandels zu machen?

Thode: Wandel im Unternehmen entsteht nicht zwangsläufig im Top-Management beziehungsweise auf den höheren Hierarchieebenen. Aber er wird nur erfolgreich bewältigt, wenn die Führungskräfte die Veränderung, etwa die neue Strategie oder die neue Unternehmenskultur, vorleben. Häufig existieren zwischen ihnen und den Mitarbeitern jedoch Barrieren, beispielsweise bei der Sprache. Für Entscheider und Shareholder hört es sich nüchtern betrachtet hervorragend an, wenn die neue Strategie eine Umsatzsteigerung von 30 Prozent verspricht. Mit kalten Zahlen gewinnen sie aber keinen Rückhalt in der Belegschaft. Da braucht es vor allem Emotionen. An dieser Stelle kommen sogenannte „Change Agents“ ins Spiel. Das sind Mitarbeiter, die den Wandel vorleben. Sie sprechen die gleiche Sprache wie ihre Kollegen und schaffen es dadurch, Ängste zu nehmen und alle auf das gemeinsame Ziel einzuschwören. Im Idealfall gibt es ein Netz dieser Multiplikatoren, welches sich über das ganze Unternehmen spannt.

„Die besten Ideen kommen aus der operativen Ebene, weil dort das relevante Wissen steckt.“

Welche Rolle spielt Vertrauen bei Veränderungen?

Thode: Interessanterweise zeigen sowohl wissenschaftliche Studien als auch meine praktische Arbeit, dass die Veränderungsbereitschaft der Mitarbeiter nicht unbedingt davon abhängt, ob sie inhaltlich hinter dem Prozess stehen. Viel wichtiger ist, dass sie von den Initiatoren überzeugt sind. Der Großteil aller Veränderungsmaßnahmen funktioniert, wenn die Mitarbeiter ihren Führungskräften Vertrauen schenken und sich mit ihren Ideen einbringen, aber auch ihre Unsicherheiten und Ängste offen äußern können. Nehmen wir beispielsweise Transformationsprozesse im Bereich der Digitalisierung. Dort ist der komplette Vorgang ergebnisoffen, die Akteure wissen selbst nicht, was am Ende herauskommt. Umso mehr müssen die Mitarbeiter Vertrauen in die handelnden Akteure haben. Nach dem Motto: Die Führungskräfte werden schon die richtigen Rahmenbedingungen schaffen und strahlen Zuversicht und Menschlichkeit aus. Solche Muster kennen wir alle aus der Politik, wo häufig eine charismatische Führungspersönlichkeit ausreicht, um für Begeisterung bei den Massen zu sorgen.
 

Das kann nicht jeder…

Thode: … richtig, aber das ist auch nicht der Punkt. Jede Führungskraft kann eine Vorbildfunktion übernehmen. Dazu muss sie nicht unbedingt ein extrovertierter Mensch sein und auf Mitarbeiterversammlungen den Saal zum Kochen bringen. Eher muss sie es schaffen, die Mitarbeiter zum Mitmachen zu bewegen. Es geht ganz stark darum, Diskurse zu moderieren und dem Einzelnen Gehör zu verschaffen. Die besten Ideen kommen aus der operativen Ebene, weil dort das relevante Wissen steckt. Die dortigen Mitarbeiter sind am nächsten am Kunden dran, kennen die Stärken und Schwächen der eigenen Produkte. Vorab und top-down zu sagen: Wir machen das soundso – das funktioniert heutzutage nicht mehr.
 

Gegenbeispiele sind Manager wie Elon Musk, Jeff Bezos oder Steve Jobs…

Thode: … natürlich gibt es solche visionären Persönlichkeiten. Aber sie sind rar gesät. Die breite Masse an Führungskräften arbeitet anders und greift auf die kollektive Intelligenz zurück. Gleichzeitig sollte das Interesse an Kollaboration nicht mit Führungsschwäche verwechselt werden. Und trotz aller Agilität: In Veränderungsprozessen braucht es nach wie vor Manager mit einem klaren Zielbild sowie einem hohen Maß an Durchsetzungsvermögen und Gewissenhaftigkeit. Projekte können nicht ewig diskutiert werden, irgendwann müssen sie umgesetzt werden.

Während einige Mitarbeiter sehr veränderungsbereit sind, gibt es bei anderen Widerstand. Woran liegt das?

Thode: Naturgemäß gibt es eine Vielzahl von Gründen, warum Mitarbeiter Widerstand zeigen. Pauschal lässt sich sagen, dass viele Menschen – gerade wenn sie älter sind – Stabilität suchen. Dazu kommen dann jeweils individuelle, sehr persönliche Ursachen. Führungskräfte aus dem mittleren Management etwa denken häufig an ihren Status und haben Angst, dass ihnen das Budget oder die Abteilung weggenommen wird. Andere Mitarbeiter verstehen den neuen Prozess nicht oder haben kein Interesse an innovativen Softwarelösungen, da sie bei den bestehenden einen Expertenstatus genießen. Sehr starker Widerstand taucht zudem auf, wenn Mitarbeiter das Gefühl haben, dass ihre Leistung nicht wertgeschätzt wird. Oftmals sind sie enttäuscht, weil sie gerne Veränderungsprozesse mitgestalten würden, aber nicht dürfen.
 

Wie lässt sich Widerstand vermindern oder gar vermeiden?

Thode: Erstens mit direkter Kommunikation: Es ist wichtig, dass die jeweiligen Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern von Angesicht zu Angesicht sprechen und Fragen zulassen. Dabei sollte sich die Führungskraft nicht scheuen, sich Notizen zu machen und offene Fragen erst beim nächsten Mal zu beantworten. Auch ist es nicht entscheidend, dass jede Idee der Mitarbeiter Eingang in den Veränderungsprozess findet. Entscheidend ist nur, dass dies begründet wird. Dieses Vorgehen ist sehr wirkmächtig, da die Mitarbeiter auf diese Weise sehen, dass ihre Anliegen ernst genommen werden. Zweitens mit Anreizen, allerdings mit inhaltlichen und aufgabenbezogenen, nicht mit monetären: Viele Mitarbeiter gehen zur Arbeit, weil sie ihre Tätigkeit erfüllt und sie das kollegiale Umfeld schätzen. Deshalb kann es sich lohnen, beispielsweise neue Aufgaben und Verantwortungen schmackhaft zu machen. Drittens mit Trainings und Coachings: Immer wieder kommt es vor, dass Mitarbeiter etwa eine neue Software nicht richtig verstehen. Wenn sie frühzeitig eine passende Fortbildung besuchen und Ansprechpartner in ihrem Team haben, verschwinden die Berührungsängste recht schnell.

„Widerstände sind das stärkste Signal dafür, dass sich etwas ändert.“

Ist es per se schlecht, wenn Widerstand auftritt?

Thode: Ganz klar: Nein! Widerstände sind das stärkste Signal dafür, dass sich etwas ändert. Dabei kommt es natürlich auf die Art des Widerstands an. Zu begrüßen ist es, wenn Mitarbeiter stichhaltige Argumente vorlegen. Das zeigt, dass sie sich Gedanken machen und den Prozess konstruktiv begleiten wollen. Und dann gibt es Mitarbeiter, die Gerüchte streuen und versuchen, das Projekt zu sabotieren. Ich nenne sie Guerilla-Krieger oder Heckenschützen. Das kann gefährlich werden und den ganzen Prozess blockieren – oder aber eine Chance sein.
 

Wie das?

Thode: Widerstand speist sich meist aus emotionalen Faktoren. Angst vor neuer Technik, Angst vor Statusverlust, Angst vor Arbeitsplatzverlust. Wenn es Führungskräfte schaffen, diese Ängste zu überwinden, dann schlägt die vormals negative Energie ins Positive um und erzeugt ein Momentum. Nehmen Sie ein aktuelles Beispiel aus dem Sport: Im Hinspiel des diesjährigen Champions-League-Halbfinals hat Liverpool 0:3 gegen Barcelona verloren. Trainer Jürgen Klopp hat trotzdem nicht aufgesteckt. In der Zeit bis zum Rückspiel wurde er nicht müde zu betonen: Wir brauchen die Unterstützung der Fans, wir werden alles in die Waagschale werfen, die Mannschaft macht sich unsterblich, wenn sie es schafft, und so weiter. Mit dieser Überzeugung hat er das Team und die Fans angesteckt und einen großen Beitrag dazu geleistet, dass Liverpool im Rückspiel 4:0 gewonnen hat und dadurch ins Finale eingezogen ist. Das zeigt: Wenn Führungskräfte negative Emotionen zur Seite schieben und mit einer positiven Haltung vorangehen, wirkt das auf die Mitarbeiter.

Können Unternehmen die Mitarbeiter auch zu stark in Veränderungsvorhaben einbinden?

Thode: Natürlich. Wir haben schon viel über enthusiastische oder widerspenstige Mitarbeiter gesprochen. Doch die breite Masse der Belegschaft steht Veränderungsprojekten erst einmal gleichgültig gegenüber. Ihnen reicht es aus, ihren Job gut zu erledigen. Wenn man sie dann zwingt, sich einzubringen, führt das mitunter zu Stress oder wird als Bevormundung empfunden. Idealerweise sollte man also auf das Prinzip der Freiwilligkeit setzen. Da finden sich zumeist genügend Mitarbeiter, die das Projekt vorantreiben. Sie sind es auch, die das Projekt in der Kaffeeküche oder Kantine an ihre Kollegen spielen und auf diese Weise für Begeisterung sorgen. In der Folge entsteht eine positive Eigendynamik, weil niemand Außenseiter im Betrieb sein möchte.
 

Auch das mittlere Management kann Veränderungsprozessen negativ gegenüberstehen. Was lässt sich tun?

Thode: Interessanterweise lässt sich dieses Phänomen recht häufig beobachten. Viele Manager in dieser Schicht haben Angst um ihr Budget oder ihre Führungsrolle. Zusätzlich sind die Arbeitsbelastung und der Druck oft sehr hoch. Deshalb geben sie mitunter Informationen nicht an die Mitarbeiter weiter oder stemmen sich aktiv gegen Veränderungen. Die Praxis zeigt, dass die Unternehmensspitze an so einem Punkt Freiräume schaffen sollte. Beispielsweise, in dem sie für die Übergangszeit nicht knallhart nach betriebswirtschaftlichen Zielen führt. Gleichzeitig das Tagesgeschäft mit strengen operativen Zielen zu erfüllen und an einer neuen Strategie zu arbeiten, führt zwangsläufig zur Überlastung.
 

Abschließend ein Szenario: Ein Change-Projekt droht zu scheitern. Welche Maßnahmen empfehlen Sie?

Thode: Das ist natürlich sehr komplex, da die Ursachen ganz vielfältig sein können. Aber nehmen wir einmal an, dass es keine atmosphärischen Störungen gibt und alle Führungskräfte grundsätzlich mitziehen. Dann empfehle ich zwei Lösungsansätze. Erstens, den Umfang des Projekts zu verringern und beispielsweise eine neue Software zunächst nur in einer Abteilung einzuführen. Wenn das funktioniert, gibt es eine positive Botschaft für das ganze Unternehmen und kann auch Mitarbeiter anderer Abteilungen überzeugen. Zweitens, aus Routinen ausbrechen und ein anderes Unternehmen besuchen, welches vor ähnlichen Hürden stand. Ängste werden massiv abgebaut, wenn Mitarbeiter sehen, dass Projekte zu bewältigen sind. Nicht umsonst fahren heutzutage zahlreiche Topmanager ins Silicon Valley und besuchen Google oder Apple, um sich Tipps für ihren Alltag zu holen. Dieselbe Logik funktioniert auch im Kleinen, indem man einen innovativen Vorreiter aus dem deutschen Mittelstand besucht. Und davon haben wir bekanntlich sehr viele.
 

Herr Professor Thode, vielen Dank für das Gespräch!

Prof. Dr. Stefan Thode berät und coacht Führungskräfte und Mitarbeiter internationaler Konzerne, öffentlicher Organisationen und mittelständischer Unternehmen in Veränderungsprozessen. Er ist Experte für Change Management und Transformation, Führungskräfte- und Teamentwicklung sowie Strategieentwicklung und –umsetzung. Thode lehrt als ordentlicher Professor an der FOM Hochschule in Hamburg und ist Herausgeber der Sammelbände „Strategie und Transformation im digitalen Zeitalter“ (2018) sowie „Disruption und Digitale Transformation“ (erscheint 2020).

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