Diese Website verwendet Cookies. Wenn Sie unsere Seiten nutzen, erklären Sie sich hiermit einverstanden. Weitere Informationen

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Raiffeisenbank im Oberland hat gemeinsam mit der VR-Bank Feuchtwangen-Dinkelsbühl und der Raiffeisenbank Isar-Loisachtal unter der Projektleitung des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB) in einem Pilotprojekt getestet, wie sich durch Smart Data Vertriebsanlässe generieren lassen.
  • Der Dienstleister Banking One aus Köln berechnet für jeden Kunden mithilfe von Künstlicher Intelligenz eine Abschlusswahrscheinlichkeit in den Beratungsthemen der genossenschaftlichen Beratung.
  • Vergeben werden Score-Werte zwischen 0 und 100 Punkten. Ab einem Score-Wert von 50 Punkten geht Banking One von einer erhöhten Abschlusswahrscheinlichkeit aus.
  • Die Kunden hatten zuvor eingewilligt, dass ihre Daten für Vertriebszwecke ausgewertet werden dürfen.
  • Die Raiffeisenbank im Oberland ist mit den Ergebnissen sehr zufrieden. Sie konnte im Testzeitraum mithilfe von Banking One ihre Abschlüsse und Erträge im Vergleich mit einer Referenzgruppe deutlich steigern.

Herr Gams, die Raiffeisenbank im Oberland war eine von drei bayerischen Kreditgenossenschaften, die in einem Pilotprojekt mit dem Dienstleister Banking One getestet haben, wie mit Künstlicher Intelligenz Vertriebsanlässe generiert werden können. Wie lautet Ihr Fazit?

Andreas Gams: Das Gesamtfazit ist sehr positiv, auch wenn der Weg dahin gar nicht so einfach war. Mithilfe von Banking One haben wir den Kundenbestand stärker durchdrungen und gezielt Potenziale gehoben. Dadurch lässt sich die Effizienz in der Privatkundenberatung in Zukunft deutlich erhöhen. So konnten wir zum Beispiel während unserer Vertriebskampagne zur genossenschaftlichen Beratung die Abschlüsse gegenüber der Referenzgruppe um 47 Prozent steigern. Die Provisionsbeiträge waren im Kampagnenzeitraum gegenüber dem Gesamtdurchschnitt 2,4-mal so hoch. Lediglich die Terminquote konnte nicht gesteigert werden – wobei es wegen der eingeschränkten Beratungsmöglichkeiten in der Corona-Pandemie wahrscheinlich schon ein großer Erfolg ist, dass die Zahl der Beratungen nicht gesunken ist. Wir werden deshalb auch dieses Jahr mit Banking One zusammenarbeiten.
 

Wie geht Banking One bei der Analyse der Kundendaten vor?

Gams: Banking One analysiert das Zahlungsverhalten sowie die Lebenssituation der Kunden mithilfe von Künstlicher Intelligenz. Wie genau der Algorithmus funktioniert, ist deren Geheimnis. Im Ergebnis prognostiziert Banking One für jeden Kunden eine Wahrscheinlichkeit, wie hoch der aktuelle Bedarf in den fünf Beratungsthemen der genossenschaftlichen Beratung – Vermögen, Vorsorge, Immobilie, Absicherung und Liquidität – ist. Je wahrscheinlicher der Kunde einen Beratungsbedarf hat, desto höher ist der sogenannte Score-Wert. Maximal gibt es 100 Punkte. Bei einem Score-Wert von über 50 Punkten geht Banking One von einer gesteigerten Abschlusswahrscheinlichkeit aus.
 

Was kann so eine gesteigerte Abschlusswahrscheinlichkeit sein?

Gams: Anhaltspunkte sind Lebensereignisse im Bereich Haushalt und Familie. Wenn auf einmal Babybedarf gekauft wird, kündigt sich wahrscheinlich Nachwuchs an. Andere Anzeichen für eine Veränderung der Lebensverhältnisse sind zum Beispiel eine signifikante Veränderung des Gehalts oder der Mietzahlungen, die auf einen Jobwechsel oder einen Umzug hindeuten. Möglicherweise steht dem Kunden also Geld zur Verfügung, das er gewinnbringend anlegen möchte, oder er plant die Finanzierung eines Eigenheims. Wenn nur das Urlaubsgeld ausgezahlt wird und dadurch das Gehalt einmalig steigt, ist das noch kein Beratungsanlass. Deshalb ist es wichtig, dass die Datensätze möglichst viele Zeitreihen in ausreichender Länge enthalten, um ein möglichst aussagekräftiges Ergebnis zu erzielen.

Welche Kunden sprechen Sie aufgrund dieser Analysen konkret an?

Gams: Das hängt ganz vom Score-Wert ab, den Banking One für den Kunden errechnet hat. Kunden mit einem Wert unter 50 Punkten sprechen wir auf bestimmte Themen per Mailing oder über Online-Werbung an. Kunden mit besserer Punktzahl – und damit mit einer erhöhten Abschlusswahrscheinlichkeit – werden von unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Kundenservicecenter angerufen, um einen Termin zu vereinbaren. Wir haben jedoch die Erfahrung gemacht, dass es sinnvoll ist, die Kundenlisten von Banking One vor einer Ansprache nochmal durch unser Vertriebsmanagement nach eigenen Kriterien filtern zu lassen.
 

Warum?

Gams: Banking One berechnet lediglich Wahrscheinlichkeiten. Eine Kundin oder ein Kunde über 90 Jahre, die 50.000 Euro auf ihrem Sparbuch liegen haben, mögen zwar in der Theorie eine hohe Abschlusswahrscheinlichkeit im Bereich „Vermögen optimieren“ haben, aber in der Praxis wird das Interesse eher gering sein. Bei der ersten Testkampagne mit Banking One zum Thema „Vermögen optimieren“ hatten wir viele Termine, bei denen am Ende nichts herausgekommen ist. Das haben wir bei der Kampagne zur genossenschaftlichen Beratung berücksichtigt und die von Banking One ausgewählte Kundengruppen nochmal entsprechend gefiltert. Das hat den Erfolg deutlich erhöht.

Smart Data-Projekt des BVR

Auch der Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR) beschäftigt sich in Kooperation mit der gesamten genossenschaftlichen Finanzgruppe in einem groß angelegten Projekt mit dem Thema „Smart Data Analytics“. Aktuell befinden sich 13 Zielgruppenselektionen („Use Cases“) in der Pilotierung. Die ersten Ergebnisse sind hierbei aus Sicht des GVB durchaus vielversprechend. Im ersten Halbjahr 2021 wurde der Kreis der Pilotbanken auf deutschlandweit rund 80 Institute erweitert. Diese bringen sich neben der Erprobung der Zielgruppenselektionen in der Praxis auch mit Mitarbeiter-Know-how sowie mit Kapazitäten bei der Weiterentwicklung der Analysen ein. Ausgewiesene Projektziele sind neben der Erweiterung der Zielgruppenselektionen auch die Vernetzung der Analysen („Next Best Action“-Ansatz), um die Banken optimal bei der Kundenansprache in der Omnikanal-Bank zu unterstützen. Für den Sommer 2021 plant die Fiducia & GAD nach aktuellem Stand den Breitenrollout der ersten Smart Data-Selektionen. Weitere Informationen zum Smart Data-Projekt des BVR gibt es im Mitgliederbereich der BVR-Webseite oder um MuV-Manager auf der Themenseite zu Smart Data.


Sie haben auch davon gesprochen, dass der Weg zum Erfolg nicht einfach war. Welche Probleme gab es?

Gams: Unser Vertriebsmanagement und unsere Berater haben einen Lernprozess hinter sich. In der Testphase haben wir Kunden mit signifikanten Änderungen ihrer Lebensumstände an das Kundenservicecenter für eine Terminvereinbarung zur genossenschaftlichen Beratung weitergegeben. Für die Berater war es jedoch schwer nachzuvollziehen, um welche signifikanten Änderungen es sich beim Kunden handelt. Sie haben sich schwer getan, ganz ohne konkreten Anlass zu beraten. Daher wurde beschlossen, die Impulse vorab zur Sichtung an die Berater weiterzuleiten. Zusätzlich gab es negative Rückmeldungen, wenn bei einem oder sogar mehreren Terminen hintereinander kein Abschluss erzielt werden konnte. Das sorgt bei den Beratern natürlich für Frust und wir mussten doch einiges an Überzeugungsarbeit leisten. Aber selbst wenn bei einem Gespräch nichts herauskommt, haben wir wenigstens den Kundenkontakt gepflegt. Letztendlich zeigen die erhöhten Abschlussquoten, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Und wir müssen uns wie gesagt immer wieder vor Augen führen: Wahrscheinlichkeiten sind keine Wahrheiten. Es kann auch vorkommen, dass der Kunde nicht offen für ein bestimmtes Thema ist.

„Wahrscheinlichkeiten sind keine Wahrheiten. Es kann auch vorkommen, dass der Kunde nicht offen für ein bestimmtes Thema ist.“

Lag Banking One bei den Score-Werten auch mal daneben?

Gams: Es gab tatsächlich Fälle, bei denen wir hohe Score-Werte absolut nicht nachvollziehen konnten. Solche Fälle haben wir mit den Experten von Banking One diskutiert. In vielen Fällen konnten diese das Ergebnis erklären. Andere Fälle hat Banking One aber auch dazu verwendet, um den Algorithmus zu trainieren. Insgesamt sind wir sehr zufrieden mit der Zusammenarbeit, auch wenn das Vertrauen in Smart Data im Laufe des Projekts erstmal wachsen musste.

Das sagen die anderen Teilnehmer des Pilotprojekts mit Banking One

Andreas Pentenrieder, Bereichsleiter Vertriebsmanagement und Omnikanal bei der Raiffeisenbank Isar-Loisachtal: „Durch die Zusammenarbeit mit Banking One haben wir viel über die Funktionsweise von Smart Data und den Nutzen für uns als Omnikanal-Bank gelernt. Gut hat uns gefallen, dass unsere Fragen und Wünsche schnell aufgegriffen wurden und – sofern es sich als sinnvoll erwiesen hat – Banking One seine Algorithmen zeitnah angepasst hat. Unser Vertriebsmanagement profitierte im Projektzeitraum besonders von der Kombination klassischer Zielgruppenselektionen mit den Score-Werten von Banking One. Dadurch konnten wir besonders relevante Kunden noch besser eingrenzen und somit Ressourcen optimal einsetzen. Wir sehen, dass Banking One seine Algorithmen laufend um neue Kundengruppen sowie Filterkriterien erweitert. Interessant ist für uns, mithilfe von Banking One abschätzen zu können, wie affin unsere Kunden für das Thema Nachhaltigkeit sind oder ob sie eine Vorliebe für digitale Produktlösungen haben. Wir werden deshalb weiter mit Banking One zusammenarbeiten.“

Uwe Schürrle, Bereichsleiter Vertriebssteuerung und Marketing bei der VR-Bank Feuchtwangen-Dinkelsbühl: „Die Qualität der Vertriebsimpulse, die wir aus der Zusammenarbeit mit BankingOne gewinnen konnten, haben uns überzeugt. Wir werden deshalb weiter mit BankingOne zusammenarbeiten. Für die Zukunft erwarten wir uns noch zielgenauere Informationen für Kundenansprachen. Wir werden die aktiven Vertriebsimpulse bündeln und reduzieren, was uns einen weiteren Effizienzgewinn im Vertrieb verschafft.“

Woher erhält Banking One die Daten für seine Analysen?

Gams: Wir liefern pseudonymisierte Umsatz- und Bestandsdaten an Banking One. Das Unternehmen arbeitet mit einer eigenen Plattform, die nicht an unser Banksystem angebunden ist. Das heißt, wir bereiten die Daten manuell auf und senden sie verschlüsselt an Banking One. Nach kurzer Einarbeitung lief das problemlos. Banking One bereitet die Daten auf und stellt die Auswertung nach einigen Tagen auf der Plattform bereit. Dort haben wir vielfältige Selektionsmöglichkeiten. So können wir jeden Datensatz zum Beispiel nach Score-Werten und Beratungsthemen filtern oder von welchem Berater die Kunden betreut werden. Das ermöglicht es uns, für jeden Berater schnell dessen Kunden mit Top-Score-Werten zu selektieren. Dann laden wir die Datensätze herunter und bereiten sie für die Kundenansprache auf. Zum Beispiel filtern wir Kunden heraus, die vor Kurzem bereits einen Termin bei uns hatten oder die wir bereits anderweitig kontaktiert haben. Dann stellen wir die Vertriebsanlässe über unser Vertriebsmanagement den Beratern oder dem Kundenservicecenter für eine Telefonaktion zur Verfügung.

„Bisher war es schwierig, die richtigen Kunden zum richtigen Zeitpunkt anzusprechen, weil wir gar nicht wussten, ob sie überhaupt einen entsprechenden Bedarf hatten.“

Wie haben Sie bei der Raiffeisenbank im Oberland bisher Beratungsanlässe generiert?

Gams: Bisher haben wir verstärkt Beratungsanlässe auf der Basis von harten Fakten wie Alter, Einkommen, Anlagevolumen oder Produktnutzung generiert. Unter diesen Bedingungen war es jedoch schwierig, die richtigen Kunden zum richtigen Zeitpunkt anzusprechen, weil wir gar nicht wussten, ob diese überhaupt einen entsprechenden Bedarf hatten. Wenn die Kunden für eine Kampagne ausgewählt wurden, haben wir sie kontaktiert. Bei diesen Auswertungen fallen jedoch manche Kunden immer durch das Raster, weil zum Beispiel ihr Einkommen durch einen falschen Textschlüssel nicht als solches erkennbar ist. Bei den durch Banking One generierten Auswertungen sind die Kunden dagegen nach ihrem Beratungspotenzial gewichtet und gelistet.
 

Wie stellen Sie bei der Auswertung den Datenschutz sicher?

Gams: Wir halten uns strikt an die Datenschutzgrundverordnung und weitere Datenschutzvorgaben. Außerdem geben wir nur Daten weiter, die wir mit Erlaubnis des Kunden für den Vertrieb nutzen dürfen. Ohne Zustimmung des Kunden keine Auswertung, egal ob mit oder ohne Künstliche Intelligenz. Die pseudonymisierten Daten werden von Banking One ausschließlich auf deutschen Servern gespeichert. Demografische Informationen werden nicht erhoben. Rückschlüsse auf spezifische Personen sind daher außerhalb unseres Hauses ausgeschlossen.

Was war der konkrete Anlass, das Projekt mit Banking One aufzusetzen?

Gams: Wir beschäftigen uns im Haus schon länger mit dem Einsatz von Smart Data beziehungsweise der intelligenten Datenauswertung. Dazu lagen uns verschiedene Angebote von Dienstleistern vor. Zusammen mit dem Genossenschaftsverband Bayern, der VR-Bank Feuchtwangen-Dinkelsbühl und der Raiffeisenbank Isar-Loisachtal haben wir dann beschlossen, entsprechende Erfahrungen mit Banking One zu sammeln. Wichtig war uns, konkrete Vertriebsanlässe zu generieren und dadurch die Potenziale im Kundenbestand zu heben. Außerdem wollen wir unsere klassischen Produktkampagnen reduzieren und den Vertrieb noch stärker auf die genossenschaftliche Beratung ausrichten. Dafür braucht es jedoch qualifizierte Gesprächsanlässe. Wir müssen den Kunden genau dann auf einen bestimmten Bedarf ansprechen, wenn er diesen hat. Da kam das Projekt mit Banking One gerade zur rechten Zeit.

„Bei Terminvereinbarungen haben die Kunden zurückgemeldet: Gut, dass Sie anrufen, ich wollte mich auch schon melden“

Wie geht es dieses Jahr weiter?

Gams: Wir haben den Vertrag mit Banking One verlängert. Dieses Jahr wollen wir gezielt die Kunden ansprechen, die in den Beratungsthemen der genossenschaftlichen Beratung Top-Score-Werte über 75 Punkte erzielen, was auf eine sehr hohe Abschlusswahrscheinlichkeit hindeutet. Mit diesen wollen wir ein offenes Gespräch über alle Beratungsthemen hinweg führen. Außerdem werden wir unsere Versicherungsspezialisten aktiv zum Thema „Absichern“ einbinden. Nicht zuletzt werden wir eigene Auswertungen mit den Score-Werten von Banking One anreichern, um die Kunden effizienter anzusprechen und unsere Vertriebsressourcen gezielt auf die Kunden mit hohen Score-Werten zu konzentrieren.
 

Bemerken die Kunden eine Veränderung in der Beratung?

Gams: Smart Data bietet nicht nur uns als Bank einen Mehrwert. Auch für die Kunden hat die richtige Beratung zum richtigen Zeitpunkt einen enormen Vorteil. Die Kunden erwarten mehr Aktivität von ihrer Bank. Bei einer Ansprache soll die Bank dann aber auch mit den richtigen Themen auf die Kunden zugehen. Das haben wir mit Banking One geschafft. Bei den Terminvereinbarungen haben wir immer wieder mitbekommen, dass die Kunden für das Thema sehr offen waren und zurückgemeldet haben: ,Gut, dass Sie anrufen, ich wollte mich auch schon melden`.
 

Herr Gams, vielen Dank für das Gespräch!

Artikel lesen
Praxis