Kapitalmarktunion: Bankkredite bleiben die Lebensader des Mittelstands. Daran wird auch die geplante Spar- und Investitionsunion (SIU) der EU nichts ändern, meint GVB-Präsident Stefan Müller.
Was wäre unsere Volkswirtschaft, was wäre Bayern ohne den starken Mittelstand? Millionen Arbeitsplätze, regionale Wertschöpfung und ein Großteil der Innovationskraft gehen auf sein Konto. Selbst im Ausland hat der „German Mittelstand“ einen hervorragenden Ruf. Damit diese Erfolgsgeschichte fortgeschrieben werden kann, braucht es Investitionen – in neue Technologien, in Klimaschutz, in Digitalisierung und in Wohnraum.
GVB-Präsident Stefan Müller betont, dass kleinere und mittlere Unternehmen für Investitionen auf verlässliche Hausbanken angewiesen sind. Foto: GVB / Hendrik Steffens
Die zentrale Finanzierungsquelle dafür ist und bleibt der Bankkredit. Gerade kleine und mittlere Unternehmen, die eine tragende Rolle in Bayern einnehmen, können sich nicht über Kapitalmärkte refinanzieren. Sie sind auf verlässliche Hausbanken angewiesen. In Bayern und ganz Deutschland nehmen die Volksbanken und Raiffeisenbanken dabei eine herausgehobene Rolle ein: Sie kennen ihre Kundinnen und Kunden, sind regional verwurzelt und stellen passgenaue Lösungen bereit. Dieses Modell ist ein Standortvorteil – aber es ist unter Druck. Denn die Regulierung der vergangenen Jahre hat die Kreditvergabe zunehmend erschwert. Komplexe Vorgaben aus Basel III, immer neue Berichtspflichten und aufwendige ESG-Anforderungen binden Kapital und Personal.
„Wenn Investitionen ausbleiben, schwächt das nicht nur einzelne Betriebe, sondern ganze Regionen.“
Kleine und mittlere Banken werden vielfach behandelt, als wären sie globale Investmenthäuser – mit Regeln, die an ihrer Realität vorbeigehen. Dieses Missverhältnis gefährdet die Kreditversorgung der Realwirtschaft. Jeder zusätzliche Puffer, jede neue Meldung kostet Zeit, Geld und am Ende Finanzierungskraft für die Unternehmen. Wenn Investitionen ausbleiben, schwächt das nicht nur einzelne Betriebe, sondern ganze Regionen. Damit droht die Axt an die Wurzel unseres Wohlstands gelegt zu werden.
Besonders deutlich zeigt sich das bei Basel III. Während die USA ihre Umsetzung weiter hinausschieben und Großbritannien sie verschoben hat, geht die EU mit vollem Tempo voran. Die Folge: Europäische Banken tragen deutlich höhere Eigenkapitalanforderungen als ihre internationalen Wettbewerber. Für große Institute mag das verkraftbar sein, für regionale Kreditinstitute ist es eine echte Belastung – mit unmittelbaren Folgen für den Mittelstand.
Um etwas im Mittelstand zu bewegen, sollten Banken unkompliziert Kredite vergeben können. Foto: mauritius images / Westend61 / Bartek Szewczyk
Wenn Eigenkapital gebunden wird, das dann nicht mehr für Kredite zur Verfügung steht, drohen notwendige Investitionen auszubleiben. Damit steht nicht weniger als die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts auf dem Spiel. Hier geht es um mehr als technische Regeln – es geht um die Frage, ob Europa im globalen Wettbewerb mithalten kann.
Hürden für viele Mittelständler
Hinzu kommt die ESG-Regulierung. Was als Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit gedacht ist, entwickelt sich für viele Mittelständler zum Hemmschuh. Wenn das erste EU-Omnibus-Paket für kleine und mittelständische Unternehmen Erleichterungen vorsieht, ist das ein richtiger Schritt. Es konterkariert jedoch das Ziel von weniger Bürokratie, wenn diese Unternehmen dann doch berichten müssen, weil ihre Bank die Dokumentation einfordern muss. Denn Unternehmen mit wenigen Beschäftigten sind gegenüber Banken weiterhin dazu gezwungen, komplexe Nachhaltigkeitsdaten zu liefern, um einen Kredit zu erhalten.
„Notwendig ist daher, auch die regulatorischen Vorgaben für die Banken entsprechend anzupassen, um hier die Belastung für kleine und mittlere Banken nachhaltig zu verringern.“
Für Betriebe, die eigentlich investieren wollen, ist das eine enorme Hürde. Notwendig ist daher, auch die regulatorischen Vorgaben für die Banken entsprechend anzupassen, um hier die Belastung für kleine und mittlere Banken nachhaltig zu verringern. Sinnvoll wäre zudem ein Ansatz, der Proportionalität wahrt: Branchen-Proxy-Daten und freiwillige Standards müssen als ausreichend anerkannt werden. Nur so wird Nachhaltigkeit praxistauglich, ohne die Finanzierung zu ersticken. Denn ein grüner Wandel braucht zuerst Kapital – und dieses Kapital darf nicht durch Bürokratie blockiert werden. Mit immer mehr Formularen wird das Klima nicht besser.
Auch zusätzliche Kapitalpuffer belasten unverhältnismäßig. Antizyklischer Kapitalpuffer, Systemrisikopuffer, sektorale Aufschläge – die Liste wächst, ohne dass dadurch die Stabilität messbar steigt. Im Gegenteil: Sie verteuern Kredite und hemmen Investitionen.
„Wer den Mittelstand stärken will, darf ihm den Zugang zu Kapital nicht durch übertriebene Vorsicht versperren.“
Angesichts solider Eigenkapitalquoten europäischer Banken ist es höchste Zeit, diese Anforderungen kritisch zu überprüfen. Wer den Mittelstand stärken will, darf ihm den Zugang zu Kapital nicht durch übertriebene Vorsicht versperren. Stabilität ist wichtig – aber Überregulierung schwächt die Wirtschaftskraft, die wir für die Transformation dringend brauchen.
Die Politik muss handeln
Nicht zuletzt braucht es einen echten Bürokratieabbau. Jede Stunde, die Bankmitarbeiter mit regulatorischen Fragen verbringen, fehlt in der Beratung ihrer Kundinnen und Kunden. Jeder Euro, der in Kontrollprozesse fließt, macht Kredite teurer. Es ist widersinnig, auf der einen Seite Wachstumsprogramme aufzulegen, während man auf der anderen Seite die Finanzierungsmöglichkeiten mit Regelwerken einschnürt. Wenn die Politik Investitionen wirklich fördern will, muss sie diesen Widerspruch endlich auflösen.
Widersprüchlich ist auch, wenn nun seitens der EU-Kommission dem Kapitalmarkt das Wort geredet wird. Für die mittelständische Wirtschaft sind diese Instrumente in aller Regel ungeeignet. Anleihen, Verbriefungen oder Fondsstrukturen sind für große Konzerne interessant – nicht aber für den Metallbauer mit 80 Beschäftigten, der eine neue Halle errichten möchte.
Ebenso widersinnig ist es, einerseits klassische Kredite als üblichem Finanzierungsweg immer komplizierter zu machen und dann mit der Begründung, es sei zu kompliziert, den Kapitalmarkt fördern zu wollen. So verspielt man Vertrauen und verkennt die Realität der mittelständischen Wirtschaft.
„Noch trägt der Mittelstand, noch sichern die Volksbanken und Raiffeisenbanken seine Finanzierung. Aber diese Basis ist nicht grenzenlos.“
Deutschland und Bayern haben die Substanz, um gestärkt aus der aktuellen Krise hervorzugehen. Noch trägt der Mittelstand, noch sichern die Volksbanken und Raiffeisenbanken seine Finanzierung. Aber diese Basis ist nicht grenzenlos. Wenn die Bundesregierung jetzt einen „Herbst der Reformen“ ankündigt, dann muss er auch die Bankenregulierung einbeziehen. Entscheidend ist, Proportionalität konsequent umzusetzen: Kleine und regionale Kreditinstitute dürfen nicht länger wie internationale Großbanken behandelt werden. Das fängt beim Thema Mittelstandsfinanzierung an und hört beim Regulierungsregime längst nicht auf.
Unser Appell ist klar: Die Politik muss den Bankkredit stärken, nicht schwächen. Denn er bleibt die Lebensader des Mittelstands – heute und morgen. Wenn Volksbanken und Raiffeisenbanken die nötigen Freiräume erhalten, können sie ihre Aufgabe erfüllen: die Finanzierungskraft des Mittelstands sichern und damit die Zukunftsfähigkeit Deutschlands.
Stefan Müller ist Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern.
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Dieser Beitrag ist zuerst am 22. Oktober 2025 in der „Börsen-Zeitung“ erschienen.