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Das im aktuellen Geschäftsbericht von Scout24 proklamierte Ziel ist ambitioniert: „In diesem Jahr weisen wir die Consumer Services erstmalig in unserem Geschäftsbericht mit einem Umsatz von rund 100 Millionen Euro aus. Doch da geht noch mehr. Bis 2023 wollen wir den Umsatz von Scout24 Consumer Services auf 250 Millionen Euro ausbauen.“

Das Münchner MDAX-Unternehmen betreibt seit 1998 die digitalen Marktplätze ImmobilienScout24 und AutoScout24. Wer im Internet nach einer Immobilie oder einem Auto sucht, landet früher oder später bei den Onlineportalen. Das Anzeigengeschäft alleine reicht jedoch nicht, um die Wachstumsziele zu erfüllen. Deswegen bietet das Unternehmen seit Anfang 2018 „Consumer Services“ – also Verbraucherdienstleistungen – an, die das klassische Anzeigengeschäft ergänzen. Sie sind „der Schlüssel zum Wachstum“, sagt Ruud Smeets, der das neue Geschäftsfeld bei Scout24 mitverantwortet.

Diese Leistungen erbringt Scout24 aber nicht selbst. Das Unternehmen bindet dazu Dritte ein. Ein Beispiel: Wer online nach einer Immobilie sucht, braucht in der Regel auch einen passenden Kredit, einen Umzugsservice, Handwerker, neue Möbel sowie einen Strom- und Telefonanschluss. Bei Autos ist es nicht anders: Wer nach einem Wagen stöbert, interessiert sich wahrscheinlich auch für eine Finanzierung und die richtige Kfz-Versicherung. Vielleicht benötigt er auch neue Reifen und eine Werkstatt. Scout24 vermittelt solche Dienstleistungen über die Plattform und kassiert dafür Provision. Das läuft, sagt Smeets. Mit dem neuen Angebot habe man die eigenen Erwartungen übertroffen.

Ökosysteme nennen Fachleute solche Netzwerke, die Dienstleistungen zu einem Thema bündeln. Für Unternehmen bietet das Wachstumschancen. Für die Verbraucher ist es bequem, weil es das sich wandelnde Kundenverhalten berücksichtigt: Die meisten Menschen informieren sich mittlerweile zuerst online, bevor sie etwas anschaffen oder einen Auftrag vergeben. Auf den Plattformen finden sie alle relevanten Dienstleistungen und Produkte aus einer Hand. Woanders schauen? Braucht es nicht, zumal die Angebote mit Produkt- und Preisinformationen sowie Kundenbewertungen angereichert werden. Das ist praktisch. Und das macht es den Kunden leicht, gleich auf den „Kaufen“-Button zu klicken.

Ökosysteme oder auch Plattformen sind aber nicht nur ein Thema für Digitalunternehmen wie Scout24, sondern auch für die bayerischen Genossenschaften. Insbesondere traditionellen Banken wie den Volksbanken und Raiffeisenbanken könnten Plattformkonzerne wie die GAFAs (Google, Amazon, Facebook, Apple) die Schnittstelle zum Kunden streitig zu machen. Die geplante Digitalwährung „Libra“ von Facebook ist nur ein Zeichen dafür. Andererseits verfügen die genossenschaftlichen Unternehmen im Freistaat über ein großes Potenzial, das sie dazu prädestiniert, selbst digitale Ökosysteme aufzubauen: ihre Mitglieder. „Genossenschaften wie die Volksbanken und Raiffeisenbanken haben über ihre Mitglieder Zugang zu vielen Menschen, die ihnen vertrauen. Diesen Vorteil gilt es auch online zu nutzen – und zwar im Sinne der Kunden beziehungsweise Mitglieder“, sagt Christian Reichmann, Spezialist für digitale Transformation bei der Digitalberatung und Startup-Schmiede Etventure.

Jens Kleine ermuntert die bayerischen Genossenschaften, selbst Plattformen aufzubauen. Der Münchner Finanzwissenschaftler hat im vergangenen Herbst im Auftrag des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB) in einer Studie die Bedeutung von Plattformen speziell für Genossenschaftsbanken untersucht. Dabei hat er festgestellt, dass die Markt- und Vertriebsstrukturen der Volksbanken und Raiffeisenbanken durch die digitalen Plattformen aufgebrochen werden. Für Regionalbanken gelte es deshalb, die Nähe zum Kunden zu wahren: „Parallel vor Ort und digital für die Kunden Ansprechpartner zu sein, ist ein zentraler Schritt, der durch eine regionale Plattform realisiert werden kann“, sagt Kleine.

Es geht jedoch nicht darum, im ersten Anlauf mit hohem Aufwand das vermeintlich perfekte Angebot zu schaffen. Dafür ist das Internet zu schnelllebig, wie Digitalberater Reichmann betont. Es sei viel sinnvoller, digitale Ökosysteme Schritt für Schritt zu entwickeln und Kunden sowie Geschäftspartner, also die wichtigsten Nutzer dieser Ökosysteme, einzubeziehen. Dabei hilft auch der Blick über den Tellerrand auf Aktivitäten wie die von Scout24.

„Digitale Technologien und Geschäftsmodelle bieten die Möglichkeit, mit einer hohen Geschwindigkeit herauszufinden, welche Themen für die Mitglieder relevant sind und was wirklich Nutzen stiftet“, sagt Reichmann. Die bestehenden Kundenbeziehungen und ihr Vertrauen in die Genossenschaft seien dabei von großem Wert: „Die Mitglieder geben Feedback und sind bereit, neue Produkte zu testen.“ Auf diese Weise lasse sich das Angebot schnell und effektiv auf die Wünsche der Kunden ausrichten. Denn oft begehen Unternehmen den Fehler, bestimmte Verhaltensweisen beim Kunden vorauszusetzen, obwohl sie ihn gar nicht gefragt haben.

Bei allen Vorteilen von digitalen Ökosystemen warnt Reichmann aber vor überzogenen Erwartungen. „Wer mit dem reinen Fokus auf den persönlichen Profit die mächtigste Plattform im Markt aufbauen will, wird scheitern“, warnt Reichmann. Stattdessen müsse immer die Perspektive der Kunden, Lieferanten und Partner eingenommen werden. „Die Frage muss immer sein: Wie schaffe ich Mehrwert für die Nutzer meiner Plattform? Wer nur den eigenen Erfolg im Blick hat, ist auf dem falschen Weg.“

Mehrheit wünscht sich digitale Plattformen aus Deutschland

Eine große Mehrheit der Bundesbürger wünscht sich, dass der Plattform-Markt nicht den großen Akteuren aus den USA oder China überlassen wird. Drei Viertel (73 Prozent) sagen, dass deutsche Unternehmen selbst zu Plattformanbietern werden sollten. Und sogar 9 von 10 (90 Prozent) sind der Meinung, dass die Politik den Aufbau deutscher und europäischer digitaler Plattformen stärker fördern sollte. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Befragung im Auftrag des Digitalverbands Bitkom.

Profis für fast jede Dienstleistung

Während Scout24 im Osten von München an der S-Bahn-Station Leuchtenbergring residiert, hat im Westen der Landeshauptstadt an der Donnersbergerbrücke ein weiteres deutsches Plattformunternehmen seine Zelte aufgeschlagen: Check24 bietet auf seinem Portal Preisvergleiche für verschiedene Produktgruppen an – unter anderem für Versicherungen, Finanzprodukte, Handy- und Internettarife, Stromtarife, Mietwägen, Reisen und Winterreifen. Bei einer erfolgreichen Vermittlung erhält das Unternehmen eine Provision vom Anbieter.

Ebenso wie Scout24 baut das Unternehmen seit einem Jahr mit „Check24 Profis“ ein weiteres Geschäftsfeld auf. Während das bisherige Geschäftsmodell auf die Vermittlung von Dienstleistungen und Produkten abzielte, wird bei Check24 Profis der Netzwerkgedanke ausgelebt, indem selbstständige Dienstleister mit potenziellen Kunden zusammengebracht werden. Dafür stellt Check24 die Plattform zur Verfügung, auf der sich „Profis“ registrieren lassen und ihre Dienste anbieten können – sortiert nach den Rubriken Veranstaltungen und Events, Sport und Wellness, Fotografie, Nachhilfeunterricht, Musikunterricht, Sprachunterricht, Umzüge, Haus und Garten, Computer- und Technikhilfe sowie Handwerker. Am häufigsten gesucht werden zum Beispiel Maler, DJs, Hochzeitsfotografen, Ernährungsberater oder Klavierlehrer.

Sucht ein Nutzer nach einem „Profi“ in seiner Region, zum Beispiel, um einen Herd anzuschließen, dann vermittelt das Portal die Anfrage automatisch per E-Mail, SMS oder über die Check24-Profis-App an alle geeigneten Dienstleister, die sich bei Check24 registriert haben. Die fünf schnellsten können dem Kunden ein Angebot mit einer persönlichen Nachricht schicken. Akzeptiert dieser, kann der „Profi“ die weiteren Details persönlich per E-Mail oder am Telefon klären.

Das von Check24 geschaffene „Profi“-Netzwerk könnte auf regionaler Ebene auch für die bayerischen Genossenschaften ein Vorbild sein, findet Andreas Wagener. „Weil es ihre Aufgabe ist, ihre Mitglieder zu fördern, leben sie den Netzwerkgedanken ohnehin“, sagt der Professor für Digitales Marketing und Datenökonomie an der Hochschule Hof. Die Firmenkunden der Volksbanken und Raiffeisenbanken zum Beispiel verfügten über eine enorme Expertise in ganz unterschiedlichen Bereichen. „Wenn die Institute dieses Wissen über eine Plattform bündeln und zu einem Netzwerk verknüpfen, schaffen sie eine regionale Drehscheibe für Geschäftskontakte. Das ergibt zusätzlichen Mitgliedernutzen“, sagt Wagener, der sich auch auf seinem Blog nerdwärts.de mit dem digitalen Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft befasst.

Das Regionale hat Charme

Über ein Portal könnten auch Genossenschaften junge Unternehmer mit erfahrenen Firmeninhabern zusammenbringen und so die regionale Wirtschaft fördern. „Ideen gibt es viele“, sagt Wagener. Doch nicht jede sei zielführend. „Das regionale Umfeld hat grundsätzlich großen Charme. Es ergibt aber zum Beispiel keinen Sinn, ein regionales Hotelportal zu starten. Das kann Booking.com besser, weil die Plattform etabliert ist und ihren Größenvorteil ausspielen kann“, so der Wissenschaftler. Trotzdem funktionieren Plattformen auch in kleinerem Rahmen, etwa bei B2B-Netzwerken von Unternehmen für Unternehmen. „In diesem Bereich kann ich auch mit wenigen Teilnehmern einen hohen Mehrwert schaffen“, sagt Wagener. Wichtig sei bei jedem Netzwerk eine saubere Datenerfassung und -analyse. Denn darauf baue der Erfolg jeder Plattform auf. Wagener: „In Zukunft ist ein guter Kunde der, der gute Daten liefert. Das gilt im Großen wie im Kleinen.“

Das ist auch bei Scout24 so. Das Unternehmen will die Bedürfnisse der Verbraucher noch stärker in den Fokus nehmen – auch mithilfe der Nutzerdaten. „Dank der Daten, die wir über ImmobilienScout24 und AutoScout24 generieren, verstehen wir immer besser, was für unsere Kunden wirklich relevant ist – und können unsere Angebote stärker personalisieren“, heißt es bei dem Unternehmen.

Allianzen bilden

Zusammenfassend rät Digitalberater Reichmann von Etventure den Genossenschaften, beim Aufbau von digitalen Ökosystemen schnell zu sein, um die Kundenschnittstelle nicht zu verlieren. „Schaffen Sie ein offenes Netzwerk mit vielen Partnern und testen Sie zusammen mit den Kunden, ob Ihr Angebot wirklich Nutzen stiftet. So validieren Sie Ihre Produkte und Dienstleistungen mit hoher Geschwindigkeit am Markt.“ Und Wissenschaftler Wagener von der Hochschule Hof ergänzt: „Bilden Sie Allianzen, um Größenvorteile und eine ausreichende Datenbasis zu generieren. Bei Plattformen geht es immer um Größe und Marktanteile, auch im Regionalen. So entfalten die Netzwerkeffekte ihre volle Wirkung.“

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