Kurswechsel: 2025 war ein anstrengendes Jahr für die bayerischen VR-Banken. Immerhin: Politik und Aufsicht versprechen Entlastung. Die ersten Signale stimmen positiv.
Herr Ferber, 2025 mussten die Volks- und Raiffeisenbanken zahlreiche EU-Regeln umsetzen, beispielsweise die Eigenkapitalverordnung CRR III oder die Verordnung über digitale operationale Resilienz im Finanzsektor, DORA. Wenn Sie den Nutzen für die Finanzstabilität und den Umsetzungsaufwand für Regionalbanken gegeneinander abwägen, wie blicken Sie auf das Regulierungsjahr 2025 zurück?
Markus Ferber: Wenn ich auf 2025 blicke, dann ist das aus Sicht der Regionalbanken ein gemischtes Bild. Mit CRR III und DORA sind erneut sehr komplexe Regelwerke hinzugekommen, die in der Umsetzung für eine Volks- oder Raiffeisenbank fast genauso aufwendig sind wie für eine internationale Großbank. Der Nutzen für die Finanzstabilität ist grundsätzlich da, aber im Verhältnis zur administrativen Belastung kleiner, risikoarmer Institute stimmt die Balance häufig nicht. Positiv ist immerhin, dass wir 2025 die Vereinfachungsagenda wirklich ins Rollen gebracht haben. Mit den ersten Omnibus-Vorschlägen wird klar: Europa kann Regulierung nicht nur verschärfen, sondern auch ausmisten und verschlanken. 2025 war für Regionalbanken also ein anstrengendes Jahr, aber eines, in dem der Schalter in Richtung Entlastung endlich umgelegt wurde.
Bei welchen Verordnungen und Richtlinien sollte der europäische Gesetzgeber nachbessern und warum?
Ferber: Aus meiner Sicht braucht es jetzt einen systematischen Kassensturz über das gesamte Regelwerk hinweg. Der europäische Gesetzgeber sollte sich nicht auf Einzelkorrekturen beschränken, sondern CRR/CRD, DORA, sektorale Gesetzgebung und flankierende Berichts- und Offenlegungspflichten im Paket betrachten. Insbesondere bei der finalen Basel-Umsetzung müssen wir kritisch prüfen, ob der Zuschnitt und der Anwendungsbereich wirklich verhältnismäßig sind oder ob wir kleine, regional arbeitende Institute in ein Korsett zwängen, das eigentlich für global systemrelevante Banken gedacht ist. Wo Meldepflichten, Detailvorgaben oder Prüfprozesse keinen erkennbaren Mehrwert für Stabilität bringen, sollte nachgebessert und vereinfacht werden. Die Vereinfachungsagenda muss also weitergehen, nicht nur in kleinen kosmetischen Schritten, sondern mit Blick auf das gesamte Regelungsgefüge.
„Die Vereinfachungsagenda muss weitergehen, nicht nur in kleinen kosmetischen Schritten, sondern mit Blick auf das gesamte Regelungsgefüge.“
An welchen Regulierungsvorhaben mit Bedeutung für die Finanzbranche arbeiten EU-Kommission und Aufseher aktuell?
Ferber: Aktuell arbeiten Kommission und Aufseher an mehreren Vorhaben, die für die Branche relevant sind. Besonders zu nennen sind das Paket zur Marktinfrastruktur und zur Aufsichtsarchitektur sowie der angekündigte Wettbewerbsfähigkeits-Check für den Bankensektor. Für kleine Institute mögen diese Themen auf den ersten Blick weniger direkt sein, aber sie prägen das Umfeld, in dem alle Banken agieren. Die Überprüfung der Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Bankensektors darf kein Papiertiger bleiben, sondern muss 2026 zu konkreten Vorschlägen führen, die Komplexität reduzieren. Parallel laufen Arbeiten im Kontext der Spar- und Investitionsunion, die stärker auf Kapitalmarktfragen zielen, aber ebenfalls Rückwirkungen auf die Rolle der Banken im Finanzierungsmix haben.
„Von einem wirklich proportionalen Rahmen, der Aufwand und Risiko in ein besseres Verhältnis setzt, sind wir noch entfernt.“
Seit 2021 können „kleine und nicht komplexe Institute“ (SNCI) operative Erleichterungen bei der Bankenregulierung in Anspruch nehmen – ein erster Schritt weg vom früheren „One size fits all“-Regulierungsansatz des EU-Gesetzgebers. Wie beurteilen Sie diese Erleichterungen nach vier Jahren in der Praxis?
Ferber: Die Kategorie der „kleinen und nicht komplexen Institute“ war ein erster Schritt in die richtige Richtung, weg vom reinen „One size fits all“. In der Praxis zeigt sich aber nach vier Jahren sehr deutlich, dass diese Erleichterungen noch kein wirklich eigenständiges, praxistaugliches Regime darstellen. Vieles bleibt Stückwerk, viele Detailpflichten gelten de facto weiter, nur etwas abgeschwächt. Von einem wirklich proportionalen Rahmen, der Aufwand und Risiko in ein besseres Verhältnis setzt, sind wir noch entfernt. Kurz gesagt: Der Ansatz war richtig, aber so wie er heute umgesetzt ist, ist er noch nicht ausgereift. Der Rahmen in CRR und CRD muss mit mehr Leben gefüllt und klarer von den Anforderungen an große, komplexe Häuser abgegrenzt werden.
„Die Grundidee eines klar abgegrenzten Kleinbankenregimes fügt sich gut in die laufenden Gespräche über Vereinfachung und Verhältnismäßigkeit ein.“
In einem Diskussionspapier von Mitte 2025 schlagen Bundesbank und BaFin ein Kleinbankenregime nach Schweizer Vorbild vor, das kleineren Banken bis zu einer Bilanzsumme von zehn Milliarden Euro verschiedene regulatorische Erleichterungen zugestehen würde. Ein solches Kleinbankenregime ließe sich jedoch nur auf europäischer Ebene umsetzen. Wie wurde der Vorschlag von Bundesbank und BaFin bislang in Brüssel und Straßburg aufgenommen?
Ferber: Das Diskussionspapier von Bundesbank und BaFin ist in Brüssel und Straßburg sehr wohl wahrgenommen worden. Viele Kolleginnen und Kollegen sehen darin einen wichtigen Impuls in einer Debatte, die ohnehin Fahrt aufgenommen hat. Natürlich ist das deutsche Drei-Säulen-Modell nicht der automatische Referenzpunkt für ganz Europa, deshalb müssen die Besonderheiten des deutschen Bankenmarkts immer wieder erklärt werden. Aber die Grundidee eines klar abgegrenzten Kleinbankenregimes fügt sich gut in die laufenden Gespräche über Vereinfachung und Verhältnismäßigkeit ein. Man kann sagen: Der Vorschlag ist angekommen, er spielt in den Diskussionen eine Rolle und er hilft, die Argumente der Regionalbanken sichtbar zu machen.
„Andere Rechtsordnungen zeigen, dass man ein zweistufiges System etablieren kann, ohne an Stabilität einzubüßen.“
Wie bewerten Sie persönlich den Vorschlag für ein Kleinbankenregime?
Ferber: Persönlich bewerte ich den Vorschlag für ein Kleinbankenregime sehr positiv. Andere Rechtsordnungen zeigen, dass man ein zweistufiges System etablieren kann, ohne an Stabilität einzubüßen. Große, komplexe und grenzüberschreitend tätige Institute unterliegen einem sehr detaillierten, engmaschigen Regelwerk, während solide, regional verankerte Banken mit überschaubarem Risikoprofil einem deutlich verschlankten Rahmen folgen. Genau in diese Richtung zielt das Kleinbankenregime nach Schweizer Vorbild. Im Kern würde Europa damit nur nachholen, was in anderen Jurisdiktionen längst üblich ist. Für Volks- und Raiffeisenbanken hieße das: weniger bürokratische Detailvorgaben, mehr Fokus auf das eigentliche Kundengeschäft und die Betreuung des Mittelstands, bei unverändert hohen aufsichtsrechtlichen Grundstandards.
Charlemagne-Gebäude der Europäischen Kommission in Brüssel: Eine integrierte Binnenmarktstrategie für Waren und Dienstleistungen braucht auch einen besser integrierten Markt für Kapital und Finanzdienstleistungen. Problematisch wird es dort, wo Integration ausschließlich über mehr und einheitlichere Regulierung gedacht wird, ohne Proportionalität mitzudenken, sagt der Europaabgeordnete Markus Ferber. Foto: mauritius images / Westend61 / Werner Dieterich
Aktuell arbeitet die EU an der Spar- und Investitionsunion (SIU), die auf den Plänen für eine Kapitalmarktunion aufbaut. Wie stehen Sie zu diesem Vorhaben, welche Probleme sehen Sie?
Ferber: Die Spar- und Investitionsunion sehe ich grundsätzlich positiv an. Die Diagnose ist richtig: Europa leidet unter zu viel Fragmentierung im Finanz- und Kapitalmarkt. Wer in Europa investieren will, stößt zu oft auf nationale Hürden, unterschiedliche Aufsichtspraktiken und zersplitterte Märkte. Eine integrierte Binnenmarktstrategie für Waren und Dienstleistungen braucht letztlich auch einen besser integrierten Markt für Kapital und Finanzdienstleistungen. Problematisch wird es dort, wo Integration ausschließlich über mehr und einheitlichere Regulierung gedacht wird, ohne Proportionalität mitzudenken. Wenn wir nur neue Ebenen auf die bestehende Regulierung aufsetzen und im Zweifel alles nach dem Muster großer Kapitalmarktakteure ausrichten, droht erneut ein „One size fits all“, das gerade kleinere Institute überlastet.
„Eine integrierte Kapitalmarktunion und starke Regionalbanken schließen sich nicht aus.“
Wie sollte die SIU im besten Falle ausgestaltet sein, um die Bedeutung von Regionalbanken für die Mittelstandsfinanzierung nicht zu schmälern?
Ferber: Im besten Fall ist die Spar- und Investitionsunion differenziert und mehrstufig ausgestaltet. Für große, grenzüberschreitende Player braucht es eine starke europäische Aufsicht und klar harmonisierte Regeln. Gleichzeitig muss für Regionalbanken genügend Flexibilität bleiben, damit sie ihr bewährtes Geschäftsmodell fortführen können. Konkret heißt das: weniger Detailvorgaben und Reportings für kleine Institute, klarere Proportionalitätsklauseln und Aufsichtsprozesse, die den regionalen Kontext berücksichtigen. Eine integrierte Kapitalmarktunion und starke Regionalbanken schließen sich nicht aus, im Gegenteil. Wenn wir die Rollen klar definieren und die Aufsichtsintensität an Größe und Komplexität knüpfen, können beide Seiten gestärkt aus der SIU hervorgehen.
„Die Bedeutung der Regionalbanken für die Mittelstandsfinanzierung wird heute deutlich stärker gesehen als noch vor einigen Jahren.“
Wird die Bedeutung von Regionalbanken für die Mittelstandsfinanzierung in der EU mittlerweile erkannt beziehungsweise sogar anerkannt?
Ferber: Die Bedeutung der Regionalbanken für die Mittelstandsfinanzierung wird heute deutlich stärker gesehen als noch vor einigen Jahren, aber sie ist noch längst nicht überall fest verankert. Das liegt auch daran, dass das deutsche Modell mit starken Genossenschafts- und Sparkassenverbünden in vielen Mitgliedsstaaten kein natürlicher Referenzpunkt ist. Ich erlebe jedoch, dass das Bewusstsein wächst, wie wichtig regionale Institute mit langfristigen Kundenbeziehungen für Investitionen, Innovation und Resilienz in den Regionen sind. Trotzdem ist es eine Daueraufgabe, diese Besonderheiten zu erklären und zu verteidigen, damit sie in Brüssel und Straßburg nicht unter einem abstrakten Großbankenblick verschwinden.
Wenn Sie zusammenfassend die aktuelle Entwicklung der Bankenregulierung auf europäischer Ebene bewerten: Was gibt Anlass zur Hoffnung, was bereitet Ihnen Sorge?
Ferber: Auf der positiven Seite haben wir seit der Finanzkrise ein deutlich stabileres und widerstandsfähigeres Bankensystem aufgebaut. Die Eigenkapital- und Liquiditätsausstattung ist besser, es gibt klare Abwicklungsregime, und die Aufsicht ist professioneller und vorausschauender geworden. Gleichzeitig habe ich Sorge, dass wir es an manchen Stellen mit der Detailtiefe, der Starrheit und der administrativen Last übertrieben haben – vor allem für kleinere, risikoärmere Institute. Die vielen Einzelanforderungen binden Ressourcen, die eigentlich in der Kundenbetreuung und im Risikomanagement gebraucht werden. Meine Arbeit in Brüssel und Straßburg zielt deshalb darauf, genau diese Balance zu verbessern: Stabilität sichern, Bürokratie abbauen, Proportionalität stärken und so dafür sorgen, dass Regulierung wieder zum Geschäftsmodell von Regionalbanken passt, statt es zu erdrücken.
Herr Ferber, vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person
Markus Ferber gehört dem Europäischen Parlament seit 1994 an. Aktuell ist der Europaabgeordnete aus Augsburg wirtschaftspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion.