Diese Website verwendet Cookies. Wenn Sie unsere Seiten nutzen, erklären Sie sich hiermit einverstanden. Weitere Informationen

Herr Professor Beckmann, viele Unternehmen möchten nachhaltiger werden. Wie kann das gelingen?

Markus Beckmann: Zunächst sollten wir einen Blick darauf werfen, was Nachhaltigkeit bedeutet und welche Dimensionen das Thema umfasst. Ursprünglich kommt der Begriff aus der Forstwirtschaft und umschreibt die Notwendigkeit, nur so viel Holz zu schlagen, wie durch Aufforsten wieder nachwachsen kann. Mittlerweile hat sich der Begriff von dieser Bedeutung gelöst. Heute meint Nachhaltigkeit folgendes: Wir achten bei unserem Denken und Handeln darauf, die Bedürfnisse der aktuellen Generationen zu befriedigen, ohne die Erfüllung der Bedürfnisse künftiger Generationen zu beschneiden. Dabei stehen drei Dimensionen im Mittelpunkt: die ökonomische, die ökologische und die soziale Nachhaltigkeit. Wie diese Dimensionen im eigenen Wirken zusammenspielen, muss jedes Unternehmen selbst analysieren.
 

Welche Dynamik entwickelt das Thema derzeit?

Beckmann: Eine sehr hohe! Einerseits werden viele Unternehmen von ihren Investoren oder anderen Stakeholdern getrieben. Diese verlangen, Nachhaltigkeit stärker zu beachten. Andererseits treibt der Gesetzgeber das Thema mit Nachdruck voran. Zunächst hat dieser vor allem die Pflichten zur nachhaltigen Berichterstattung deutlich verschärft. Zuletzt sind auch konkrete Maßnahmen hinzugekommen wie etwa das Lieferkettengesetz oder die CO2-Zertifikate. Als Folge gibt es für Unternehmen massive Anreize, sich nachhaltiger aufzustellen. Dadurch sparen sie Kosten und heben sich von den Wettbewerbern ab. Diese Entwicklung treibt zudem das Thema Nachhaltigkeit im Management stark voran.

Welche Erwartungen haben die Menschen an Unternehmen in Bezug auf das Thema Nachhaltigkeit?

Beckmann: Die Menschen nehmen das Thema Nachhaltigkeit zunehmend bewusst wahr. Deshalb steigen diesbezüglich auch die Erwartungen an Unternehmen. Ein gutes Beispiel ist das Sortiment im Super- oder Drogeriemarkt: Dort gibt es einerseits deutlich mehr vegane und vegetarische Waren als früher. Andererseits werden Produkte immer öfter mit Siegeln wie Tierwohl-Labeln gekennzeichnet. Grundsätzlich lassen sich die Menschen in Bezug auf ihre Erwartungen an nachhaltiges unternehmerisches Handeln in drei Gruppen einteilen. Erstens diejenigen, die dem Thema eine hohe Bedeutung beimessen. Sie sind bestens informiert, fragen kritisch nach und gewichten den Aspekt Nachhaltigkeit stark bei ihrer Kaufentscheidung. Die Mehrzahl der Verbraucherinnen und Verbraucher finden sich in der zweiten Gruppe wieder. Diese würde gerne nachhaltig konsumieren, sie kennen sich aber nicht so gut aus. Die Unsicherheit führt dazu, dass sie im Zweifelsfall oder aus Gewohnheit doch lieber zu konventionellen Produkten greifen als zu nachhaltigen Alternativen. Und dann gibt es eine nicht unerhebliche Zahl an Menschen, die für das Thema Nachhaltigkeit nicht beziehungsweise noch nicht empfänglich sind. Sie setzen andere Prioritäten und achten beispielsweise stärker auf den Preis. Wichtig ist noch zu wissen, dass es eine große sogenannte Intentions-Verhaltens-Lücke gibt. Das bedeutet: In Umfragen bekundet ein Großteil der Menschen, dass sie sehr stark auf Nachhaltigkeit achten. Wenn sie einkaufen, handeln sie aber nicht entsprechend. Unternehmen können aktiv zur Schließung dieser Lücke beitragen, etwa indem sie durch transparente Kommunikation für mehr Glaubwürdigkeit sorgen oder indem sie Nachhaltigkeit mit greifbarem Kundenutzen verbinden.

„Immer mehr Kundinnen und Kunden möchten wissen, wie ihr Geld konkret verwendet wird.“

Ist es den Menschen wichtig, dass Banken nachhaltig handeln?

Beckmann: Zunehmend schon. Ein gutes Beispiel dafür ist die Geldanlage. Dort stehen klassischerweise Parameter wie Rendite, Risiko oder Streuung im Mittelpunkt. Doch immer mehr Kundinnen und Kunden möchten wissen, wie ihr Geld konkret verwendet wird. Und da kommt die Nachhaltigkeit ins Spiel. Wenn man den Menschen aufzeigt, dass mit ihrem Geld beispielsweise der Ausbau der erneuerbaren Energien gefördert wird, dann nehmen sie das zumeist sehr positiv auf. Den Bankberaterinnen und -beratern kommt dabei eine wichtige Rolle zu: Sie müssen eruieren, was die Menschen möchten und inwieweit die Erwartungen in Bezug auf Nachhaltigkeit mit den anderen Bedürfnissen, etwa in den Feldern Risiko und Rendite, zusammenpassen. Dazu verpflichtet sie auch der Gesetzgeber. Seit dem 2. August 2022 müssen Banken in der Anlageberatung und der Finanzportfolioverwaltung die Nachhaltigkeitspräferenz ihrer Kunden abfragen.
 

Eine zentrale Aufgabe ist also, immer wieder zu erklären, inwieweit sich die Bank für Nachhaltigkeit einsetzt?

Beckmann: Genau. Den Menschen ist bewusst, dass der Umbau zu einer nachhaltigen Gesellschaft viel Geld kostet und die Banken dabei eine bedeutende Rolle einnehmen. Das bietet Chancen für Kreditinstitute. Sie können beispielsweise aufzeigen, welche nachhaltigen Projekte sie finanzieren und wie das der Allgemeinheit zugutekommt.

Nun stehen manche Unternehmen noch am Anfang und wollen die ersten Schritte in Richtung Nachhaltigkeit gehen. Welches Vorgehen empfehlen Sie?

Beckmann: Der erste Schritt sollte immer sein, den Status quo zu analysieren. Dabei sollten Unternehmen darauf schauen, welche ökonomischen, ökologischen und sozialen Themen sie wesentlich betreffen. Beispiel Energieverbrauch: Für Glas- oder Zementhersteller ist das eine oder die zentrale Kenngröße. Für Banken in der Regel nicht. Bei Kreditinstituten mit Warengeschäft kann das aber anders aussehen, etwa wenn sie eine Getreideerfassungsanlage betreiben. Dort könnte es ein wesentliches Ziel sein, den Energieverbrauch zu senken. Das gleiche Thema kann also selbst für Unternehmen in der gleichen Branche unterschiedlich relevant sein. Zudem sollten Unternehmen immer darauf achten, was den Stakeholdern wichtig ist. Was wollen meine Kundinnen und Kunden? Welche Erwartungen hat der Regulierer? Und speziell für Genossenschaften: Welche Prioritäten setzen die Mitglieder?

„Nachhaltigkeit ist ein Prozess, kein Projekt.“

Welche Schritte folgen, wenn der Status quo analysiert ist?

Beckmann: Als nächstes sollte priorisiert werden. Ich empfehle, diejenigen Themen bevorzugt anzugehen, die nah am Kerngeschäft liegen. Bei Banken liegt es auf der Hand, dass es dabei um die Geldanlage der Kundinnen und Kunden sowie die Eigenanlage geht. Aber nicht nur. Vielleicht kommt ja bei der Analyse heraus, dass das Unternehmen nicht attraktiv für Fachkräfte ist. Und dass es ein großes Problem bekommt, wenn es in diesem Bereich nicht gegensteuert. Also sollte sich das Unternehmen vor allem darum kümmern, ein geeignetes Fachkräfte-Konzept zu etablieren.


Wo liegen typische Fallstricke?

Beckmann: Lassen Sie mich drei häufige Fehler aufzählen. Erstens, nicht zu priorisieren. Da das Themengebiet Nachhaltigkeit so umfassend ist, können sich Unternehmen leicht verzetteln. Und plötzlich werden Themen vorangetrieben, die nur eine geringe Wirkung erzielen oder für das Kerngeschäft wenig relevant sind. Zweitens, sich keine Ziele vorzunehmen. So lässt sich nur schwer beurteilen, ob das Unternehmen auf dem richtigen Weg ist. Lieber im ersten Durchgang ein wenig ambitioniertes Ziel setzen als gar keins. Drittens, Nachhaltigkeit als Projekt zu verstehen. Nach dem Motto: Wir kümmern uns im nächsten halben Jahr darum. Vielmehr sollte man Nachhaltigkeit als Prozess begreifen, an dem ein Unternehmen Stück für Stück wachsen kann.

Wie lässt sich Nachhaltigkeit am besten institutionell in einem Unternehmen verankern?

Beckmann: Es muss verantwortliche Personen geben, die bei allen relevanten Entscheidungen zum Thema Nachhaltigkeit mitreden. Dazu brauchen sie Zugang zu Informationen und sie müssen das Mandat haben, um Themen umzusetzen.


Können Sie das konkretisieren?

Beckmann: Große Unternehmen sollten sicherlich eine eigene Nachhaltigkeitsabteilung haben. Bei kleinen und mittleren Unternehmen sieht das schon anders aus. Relevant ist für sie vor allem, welcher Bereich sich federführend um das Thema Nachhaltigkeit kümmert. Bei energieintensiven Unternehmen sollte es eher im Bereich Produktion liegen. Bei anderen Unternehmen machen vielleicht die Abteilungen Einkauf oder Vertrieb mehr Sinn. Unabhängig davon ist es nie verkehrt, bereichsübergreifend zusammenzuarbeiten und das Thema Nachhaltigkeit nah am Vorstandsbereich anzusiedeln. Nur so bekommt es die nötige strategische Bedeutung.

„Dem Vorstandsgremium kommt eine sehr wichtige Rolle zu, um Nachhaltigkeit voranzutreiben.“

Wie sieht das bei kleinen Unternehmen oder Banken mit bis zu 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus?

Beckmann: In diesem Fall kann es durchaus Aufgabe des Vorstands sein, Nachhaltigkeit federführend voranzutreiben. Das kann von Vorteil sein, da die Führungsspitze einen guten Überblick hat und in alle Entscheidungen miteingebunden ist. Aber es muss sichergestellt sein, dass Nachhaltigkeit nicht nur nebenbei läuft, wenn gerade Zeit dafür ist. Übrigens kommt dem Vorstandsgremium generell eine sehr wichtige Rolle zu, um Nachhaltigkeit voranzutreiben. Es braucht den Blick von oben, um einzuschätzen, welche Auswirkungen einzelne Entscheidungen haben. Ein Beispiel: Der Vorstand entscheidet, beim Einkauf auf nachhaltige Produkte zu setzen. Denn so kann das Unternehmen am Ende höhere Preise für seine Waren verlangen. Eigenständig hätte das der Bereich Einkauf – aus guten Gründen – nicht so entschieden.


Wie lassen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit mitnehmen?

Beckmann: Bestimmte Entscheidungen, die eher technischer Natur sind, können ohne Partizipation getroffen werden. Beispielsweise, wenn eine alte Licht-Anlage ersetzt oder eine PV-Anlage installiert wird. Bei anderen Themen ist es hingegen absolut sinnvoll, auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zuzugehen. Die Frage sollte lauten: Wie gelingt es, dass sie die jeweilige Maßnahme als sinnvoll erachten und unterstützen. Ein Beispiel ist klimafreundliche Ernährung. Wenn ich in der Kantine das Schnitzel streiche mit der Begründung, Fleisch passe nicht zu einer nachhaltigen Ernährung, dann brauche ich mich nicht wundern, wenn die Mitarbeiter ablehnend reagieren. Stattdessen sollte man sie einbinden und fragen, was ihnen bei der Ernährung wichtig ist und dementsprechend sein Angebot ausrichten. So schaffe ich Mitbestimmung, binde dezentrales Wissen ein und erreiche Zustimmung. Das Beispiel lässt sich auf viele Ebenen übertragen, etwa Mobilität oder Energieverbrauch. Oftmals haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gute Ideen. Man muss sie nur fragen.

Können Sie abschließend noch einmal zusammenfassen, was die Erfolgsfaktoren beim Thema Nachhaltigkeit sind?

Beckmann: Ich empfehle fünf Schritte. Erstens, den Status quo zu analysieren. Zweitens, die Themen zu priorisieren, die für das Unternehmen und die Stakeholder zentral sind. Nicht alles gleichzeitig anfangen. Drittens, Verantwortlichkeiten zu definieren. Viertens, in den Prozess einzusteigen und jedes Mal ein Stück besser werden. Fünftens, das Thema Nachhaltigkeit nicht isoliert zu betrachten, sondern in die Gesamtstrategie des Unternehmens einzubinden und dort fest zu verankern.


Herr Professor Beckmann, vielen Dank für das Gespräch!

Zur Person

Professor Markus Beckmann ist seit November 2012 Inhaber des Lehrstuhls für Nachhaltigkeitsmanagement an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg sowie seit November 2018 Mitglied im Vorstand des Forschungsinstituts für Genossenschaftswesen an der Universität Erlangen-Nürnberg. Welchen Stellenwert räumen Unternehmen dem Thema Nachhaltigkeit ein? Wie lässt sich nachhaltiges Handeln im Management verankern? Und was für eine Rolle spielen dabei die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Seit über 15 Jahren setzt sich Beckmann mit Fragen zu unternehmerischem Nachhaltigkeitsmanagement auseinander. „Das ist ein hochaktuelles und spannendes Forschungsfeld mit viel Bezug zur Praxis. Schließlich müssen sich heute alle Unternehmen mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzen – und sei es, weil der Regulierer das fordert“, betont Beckmann.

Artikel lesen
Topthema