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„Im Kampf gegen den Klimawandel ist Europa der Anführer“, verkündete Ratspräsident Charles Michel vor wenigen Tagen die Entscheidung des Europäischen Rates, die EU „Fit für 55“ zu machen.  Bis zum Jahr 2030 wollen die EU-Mitgliedstaaten die Treibhausgasemissionen um 55 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 reduzieren. Zwar macht die Einigung auf ein verschärftes Klimaschutzziel die EU noch lange nicht zum globalen Klimaretter, dennoch ist ihr Anliegen ambitioniert und wird Wirtschaft und Gesellschaft viel abverlangen – schließlich muss der durchschnittliche jährliche CO2-Ausstoß der EU bis 2030 im Vergleich zu den vergangenen 30 Jahren fünfmal stärker reduziert werden, um das neu gesteckte Ziel zu erreichen.

Worum es bei der Taxonomie geht

Auf ihrem Weg zu mehr Klimaschutz und einem langfristig klimaneutralen Kontinent fordert die EU-Kommission im Rahmen ihres „European Green Deal“, dass sich künftig alle Politikbereiche auf den Klimaschutz auszurichten haben. Allen voran eine umfassende Finanzmarktregulierung soll dazu beitragen, dass mehr Kapital in als nachhaltig definierte Investitionen gelenkt wird. Künftig soll ein europaweit einheitliches Klassifikationssystem – die EU-Taxonomie – verbindlich festlegen, wann und in welchem Umfang Investitionen und Wirtschaftstätigkeiten als ökologisch nachhaltig einzustufen sind.

Die Taxonomie steht im Zentrum des Sustainable-Finance-Aktionsplans, den die EU-Kommission seit 2018 vorantreibt und als bedeutenden Schritt zu mehr Resilienz, Transparenz und Langfristorientierung eines auf mehr Nachhaltigkeit bedachten Finanzsektors erachtet. Mit der Taxonomie würden mögliche Risiken, die der Klimawandel und der Übergang in eine emissionsarme Wirtschaft für Marktteilnehmer und Finanzsystem bergen, besser einschätzbar. Sie soll aufzeigen, mit welchen Investitionen ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten finanziert werden, und sogenanntes „Green Washing″ verhindern. Existierende Gütesiegel und von Marktteilnehmern zuweilen unterschiedlich eingeschätzte Nachhaltigkeitsbewertungen sollen politisch eingeebnet werden.

Wie ist der aktuelle Stand?

Im Juli 2020 ist die Taxonomie-Verordnung in Kraft getreten, die Vorgaben für nachhaltige Investitionen definiert und Offenlegungspflichten ändert. Sie richtet sich vor allem an Finanzmarkteilnehmer, die grüne Finanzprodukte vermarkten sowie an Unternehmen, die eine „nichtfinanzielle Erklärung“ zu veröffentlichen haben und den Anteil ihrer ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten und Investitionen in der Unternehmens-, Portfolio- und Produktebene offenlegen müssen. Umsetzungsfragen zu Inhalt und Darstellung dieser neuen Offenlegungspflichten sollen durch Vorschläge seitens der EU-Kommission bis zum 1. Juni 2021 konkretisiert werden.

Entsprechend der Taxonomie-Verordnung gilt eine Wirtschaftstätigkeit dann als ökologisch nachhaltig, wenn sie einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung von mindestens einem von sechs identifizierten Umweltzielen leistet und keines der anderen Ziele erheblich beeinträchtigt. Auch soziale und arbeitsrechtliche Mindeststandards sind festgeschrieben. Die Verordnung soll mithilfe von delegierten Rechtsakten schrittweise ausgearbeitet werden. Diese sollen die technischen Bewertungskriterien konkretisieren, die den Grad der ökologischen Nachhaltigkeit der einzelnen Wirtschaftstätigkeiten bestimmen. Die Bewertungskriterien sollen kurzfristige und langfristige Umweltauswirkungen berücksichtigen, quantitativer und qualitativer Art sein und den gesamten Lebenszyklus der Produkte und Dienstleistungen umfassend analysieren.

Inzwischen ist ein erster delegierter Rechtsakt mit 500 Seiten Anhang auf den Weg gebracht worden, der Bewertungskriterien für die beiden ersten Umweltziele (Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel) detailliert definiert. Ab 2022 sollen diese beiden Ziele und die auf sie Bezug nehmenden Kriterien und Transparenzpflichten für Finanzmarktteilnehmer, Finanzberater und bestimmte Unternehmen gelten. Die vier übrigen Umweltziele (nachhaltige Nutzung von Wasser- und Meeresressourcen, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung sowie Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme) müssen bis Ende 2021 konkretisiert werden und sollen ab 2023 gelten. Bis Ende 2021 sollen zudem Vorschläge zur Erweiterung der Taxonomie im Hinblick auf „braune“ (das heißt klimaschädigende) Investitionen sowie auf andere Nachhaltigkeitsziele wie gute Unternehmensführung oder soziale Nachhaltigkeit ausgearbeitet werden.

Mehr Schaden als Nutzen

Die Taxonomie ist aus mehreren Gründen kritisch zu sehen:

  1. Fragliche Zuträglichkeit der Taxonomie für das Klima: Erstens kann keine noch so ausgewogen und ausdifferenzierte Liste mit Bewertungskriterien gewährleisten, dass die getroffene Einteilung der Wirtschaftstätigkeiten dem Klima in den nächsten Jahren am zuträglichsten ist. So sehen die Bewertungskriterien für Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel beispielsweise vor, dass Verbrennungsmotoren für Pkw ab dem Jahr 2026 als nicht nachhaltig gelten. Dies dürfte den Anreiz deutlich schmälern, weiter in die Entwicklung moderner Verbrennungsmotoren zu investieren. Solange aber alternative Antriebe auf den meisten Straßen Europas und der Welt noch ein Nischendasein pflegen, wäre dem Klima mit sparsameren Verbrennungsmotoren vorerst eher geholfen – vor allem, da aufgrund eines befürchteten Kipppunktes im Klimasystem den zeitnahen Klimaschutzzielen eigentlich besondere Dringlichkeit eingeräumt wird.

    Ähnliches gilt für Kern- und Gaskraftwerke, die international als Brückentechnologie angesehen werden. Während die Taxonomie zur Kernkraft bislang aus politischen Gründen noch keine Angaben macht, sehen die Bewertungskriterien vor, den Betrieb eines modernen Gaskraftwerkes mit Erdgas als nicht nachhaltig einzustufen. Werden folglich Investitionen in Gaskraftwerke reduziert, dürften besonders in Deutschland die wesentlich CO2-intensiveren Kohlekraftwerke wieder vermehrt zum Zuge kommen, bis die regenerativen Energien den Energiebedarf verlässlich decken können.
  2. Permanente Nachjustierung: Zweitens führt die Dynamik von Innovationsprozessen dazu, dass fortwährend neue Wirtschaftstätigkeiten entstehen, die durch die Taxonomie nicht oder nur unzureichend erfasst sind. Eine klimawirksame Anwendung der Verordnung erfordert daher eine ständige Überarbeitung und Ergänzung der technischen Bewertungskriterien. Eine permanente Nachjustierung der spezifischen technischen Details steht jedoch einer verlässlichen und langfristig orientierten Kapitallenkung entgegen.
  3. Hoher bürokratischer Aufwand: Drittens deuten die auf 500 Seiten definierten Bewertungskriterien nur für die ersten zwei Umweltziele und den damit verbundenen Berichts- und Offenlegungspflichten daraufhin, dass auf die Finanzmarktteilnehmer und Unternehmen erhebliche bürokratische Belastungen zukommen werden. Die Einholung und Auswertung notwendiger Daten, eine regelmäßige Neuorientierung bei den detaillierten Bewertungskriterien, die noch ausstehende Konkretisierung der vier weiteren Umweltziele sowie die angedachte Hinzunahme weiterer Nachhaltigkeitsziele dürfte besonders für kleinere Marktteilnehmer wie Regionalbanken zu übermäßig hohen Befolgungskosten führen.

    Umso wichtiger wird es sein, im kommenden Jahr die noch zu definierenden Bewertungskriterien möglichst überschaubar und praktikabel zu gestalten und auf die Hinzunahme weiterer verbindlicher Nachhaltigkeitsziele zu verzichten. Die Ausdehnung der Taxonomie etwa auf soziale Nachhaltigkeitsziele würde die Komplexität zusätzlich verstärken und könnte der Kapitallenkung in ökonomisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten entgegenstehen. Es ist bereits jetzt zweifelhaft, ob durch die noch ausstehende Konkretisierung der vier weiteren Ziele die erwünschte Wirksamkeit der ersten beiden Ziele nicht konterkariert wird. Schließlich soll eine Tätigkeit nur dann ökologisch nachhaltig sein, wenn sie die anderen Umweltziele nicht erheblich beeinträchtigt, die im Detail jetzt aber noch nicht feststehen.
  4. Mögliche Blasenbildung bei Klimainvestitionen: Viertens ist der Vorwurf eines mangelnden Risikobewusstseins und einer zu starken Orientierung auf kurzfristige Erträge gegenüber vielen Marktteilnehmern verallgemeinernd und wenig stichhaltig, wenn man beispielsweise die hohe Eigenkapitalquote und regionale Verwurzelung des Kreditgeschäfts deutscher Genossenschaftsbanken betrachtet. Auch die europaweit nach wie vor sehr unterschiedlich hohen Quoten notleidender Kredite sprechen wenig für die These, dass die Finanzaufsicht hier ein flächendeckendes Problem zu bewältigen hat.

    Selbstverständlich sollte sich die Finanzaufsicht für Klimarisiken interessieren, jedoch ohne Kapitalströme mit weiteren Maßnahmen direkt zu lenken. Eine gelockerte Eigenkapitalunterlegung für grüne Finanzanlagen wäre demnach wenig zielführend und würde die Gefahr einer regulatorisch bedingten Blasenbildung – wie im Vorfeld der globalen Finanzkrise im Immobilienmarkt – eher verstärken. Es ist eben nicht so, dass klimaschonende Investitionen im Durchschnitt mit weniger Risiko behaftet sind als herkömmliche Investitionen. Dafür bleiben zu viele andere Kreditrisiken, die die Marktteilnehmer in der Regel adäquat einschätzen. Schließlich haben private Investoren genügend Anreize, mit Sorgfalt darauf zu achten, dass ihre Investitionen auch langfristig Erträge erwirtschaften und ihr Kapital nicht ausfallgefährdet ist. Derart starke Eingriffe können die Funktionalität und disziplinierende Wirkung des Marktes erheblich beeinträchtigen.

Ausweitung des EU-Emissionshandels statt Dirigismus

Nichtsdestotrotz müssen negative externe Effekte den Verursachern angelastet werden, damit private Investitionsentscheidungen effizient und umweltschonend erfolgen können. Umwelt- und Klimaschäden sind klassische Beispiele für Marktversagen und erfordern grundsätzlich die Notwendigkeit staatlichen Eingreifens. Als globales Phänomen muss der Klimawandel international (am besten global) und sektorübergreifend adressiert werden. Nationale und sektorspezifische Herangehensweisen sind hingegen wenig wirksam und unnötig teuer. Die EU hat mit dem Europäischen Emissionshandelssystem bereits ein kosteneffizientes Instrument zur zielgenauen CO2-Reduktion. Der Emissionshandel erlaubt es, die Innovationsfähigkeit und Allokationseffizienz der Märkte für den Klimaschutz dorthin zu lenken, wo bei der CO2-Einsparung der Nutzen-Kosten-Effekt am größten ist.

Eine zusätzliche Förderung von ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten durch staatlichen Dirigismus führt in Sektoren, in denen der EU-Emissionshandel bereits gilt, nur zu Effizienzverlusten, ohne dem Klimaschutz zusätzlich zu dienen. Der Preis für die im Emissionshandel gehandelten CO2-Zertifikate bildet sich am Markt durch Angebot und Nachfrage. Werden die durch die Förderung frei gewordenen CO2-Zertifikate nicht aus dem Markt herausgenommen, reduziert sich bei einem nun höheren Angebot der CO2-Zertifikatepreis und damit der finanzielle Anreiz zur CO2-Reduktion. Die EU-Kommission sollte daher stärker darin bestrebt sein, den Emissionshandel europaweit auf alle Sektoren auszudehnen und global mit anderen Emissionshandelssystemen etwa in China und in den USA zu koordinieren, damit weltweit möglichst einheitliche CO2- Preise entstehen.

Um im Kampf gegen den Klimawandel als globaler Anführer erfolgreich zu sein, kann nur eine effiziente und international zur Nachahmung animierende EU-Klimapolitik einen wesentlichen Beitrag leisten. Im Zentrum der EU-Klimapolitik sollte ein einheitlicher und sektorübergreifender CO2-Preis stehen und nicht eine bürokratieintensive Einteilung der gesamten Wirtschaft.
 

Dr. Jörg König leitet seit 2014 den Bereich Europa bei der Stiftung Marktwirtschaft in Berlin.

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