Diese Website verwendet Cookies. Wenn Sie unsere Seiten nutzen, erklären Sie sich hiermit einverstanden. Weitere Informationen

Von wegen tolle Aussicht. Der Blick aus den Steillagen des Escherndorfer Lumps auf die Volkacher Mainschleife, die Maininsel und die Winzerdörfer Escherndorf und Nordheim soll atemberaubend sein, doch an diesem Vormittag wird das wohl erstmal nichts. Die Mainfähre tuckert morgens um 7 Uhr durch dichte, nasskalte Nebelsuppe über den Fluss von Nordheim nach Escherndorf, die App auf dem Smartphone zeigt 5 Grad Celsius an. Auf der anderen Seite des Mains wartet schon Michael Sauer. Er ist Winzer im Vollerwerb und Vorstandsvorsitzender der Winzergenossenschaft Escherndorf. Heute geht es zur Weinlese in den Lump, gelesen wird Silvaner, der später zu einer trockenen Spätlese ausgebaut werden soll – die Flasche zu elf Euro. Premiumlage.

Externer Inhalt

Nach Ihrer Einwilligung werden Daten an YouTube übertragen.

Ein Tag im Escherndorfer Lump: „Profil“ hat Michael Sauer bei der Weinlese begleitet. Video: Florian Christner und Karl-Peter Lenhard (Schnitt).

„Ich bin der Michael“, sagt Sauer und reicht die Hand. Unter Winzern ist man per Du. Mit dem Auto geht es erstmal zu seinem Winzerhof in Köhler, rund einen Kilometer von Escherndorf entfernt. Auch das eine Premiumlage, wenn man so will. Vor der Haustüre der träge dahinziehende Main mit seinem naturbelassenen Ufer, hinter dem Haus die steil ansteigenden Rebzeilen des Lumps. Nach und nach finden sich auch die anderen Helferinnen und Helfer ein, die an diesem Tag mit in den Weinberg gehen werden. Mit dabei sind neben dem Reporter Michaels Ehefrau Michaela, Onkel Edgar, Opa Winfried, Cousin Bernhard, Schwester Karin, Schwägerin Uli, Tante Marga, mit 79 Jahren die älteste im Team, die Lesefrauen Ingrid und Roswitha, die seit 25 Jahren jeden Herbst mitanpacken, sowie Gästeführerin Nicole aus Schweinfurt, die einfach gerne bei der Weinlese hilft.

Mit zwei Autos, einem Unimog und zwei Traktoren geht es um kurz nach halb acht los. Drei Weinberge sollen gelesen werden, zweimal Silvaner und einmal Kerner, es wird ein langer Tag. Der Morgennebel dämpft die Umgebungsgeräusche, umso lauter rattert der Traktor auf den steilen, rau betonierten Winzerstraßen bergauf. Rechts und links ziehen die Rebzeilen des Escherndorfer Lumps vorbei. In den Spitzkehren muss Michael weit ausholen, damit er mit seinem Gespann die Kurve bekommt. Nach zehn Minuten Fahrt ist es geschafft.

Michael stellt den Traktor mit Hänger am Straßenrand ab. Zusammen mit Onkel Edgar bereitet er den Traubenschlitten vor. Die Winde für das Stahlseil ist an Edgars Traktor befestigt. Angetrieben wird sie über eine Kupplung vom Motor des Traktors. Sobald die Traubenwanne voll ist, wird sie Edgar auf Zuruf durch die Rebzeilen nach oben ziehen. Michaela verteilt derweil Schüsseln und Scheren an das Team. Auch für den Reporter findet sich eine Rebschere in einer alten Munitionskiste aus Blech. „Heute Abend wirst du müde sein“, prophezeit Winfried. Die anderen freuen sich über die unerwartete Unterstützung bei der Lese. „Dann siehst du mal, wie viel Arbeit in so einem Weinberg wirklich steckt“, sagen sie.

Ein Blick in den Weinberg – „Wengert“ auf fränkisch – offenbart: Der Hang ist steil. „35 Grad an der steilsten Stelle“, sagt Michael. Bei normalen Treppen wird ein Neigungswinkel zwischen 30 und 37 Grad empfohlen, damit man bequem und ohne Unfallgefahr nach oben oder unten kommt. Doch im Weinberg gibt es keine Stufen, der Boden ist nass und rutschig. „Festes Schuhwerk ist wichtig, sonst kommt man schnell ins Rutschen“, sagt Michael. Der Winzer ist stolz auf seinen Weinberg. Die Trauben hängen prall und dicht an den Reben, fein säuberlich von Blattwerk befreit. Michael zerpflückt eine Traube und kostet die Beeren. „Gesunde Trauben, da ist kein Pilz drin und keine Fäulnis. Tadellos“, sagt er. Zusammen mit seiner Frau ist er ein paar Wochen vor der Lese extra durch den Weinberg gegangen, um überzähliges Blattwerk wegzureißen. „So muss man nicht lange zwischen den Blättern suchen, sondern sieht sofort, wo die Trauben hängen. Das erleichtert die Lese enorm“, sagt er.

Die Entfernung der Laubwand vor der Lese ist ein zusätzlicher Arbeitsschritt. 20 bis 25-mal pro Jahr sehen Michael und seine Familie jede Rebe, ein enormer Aufwand. „Im Winter die Triebe zurückschneiden, unter dem Jahr Pflegearbeiten, Bodenbearbeitung und Pflanzenschutz, im Herbst die Lese, da kommt viel zusammen“, erzählt Michael. Viele Konsumenten wüssten gar nicht, wie viel Zeit und Aufwand die Winzer in ihre Weinberge stecken, findet er. Die Arbeit werde insgesamt zu wenig wertgeschätzt, auch beim Preis. Zudem würden die Verbraucher – verwöhnt durch kostenlose Lieferungen und Rabattaktionen vor allem im Internet – beim Service immer anspruchsvoller.

Die Winzergenossenschaft Escherndorf verkauft ihre Weine im Bocksbeutel-Hof in Escherndorf und vermarktet sie auch unter diesem Namen. „Da kommen dann Leute zu uns und verlangen gleich mal zehn Prozent Rabatt, weil ihnen das anderswo angeblich auch gewährt wird“, erzählt Michael. Immer weniger Weinfreunde würden mit dem eigenen Auto anreisen, um dann mit einigen Kisten Wein im Kofferraum die Heimreise anzutreten. Stattdessen lassen sie sich den Wein lieber schicken, das ist bequemer. „Aber Versandkosten wollen sie keine bezahlen. Der Winzer muss sich dann überlegen, ob er das mitmachen will“, sagt Michael.

Ehefrau Michaela macht derweil nicht viel Federlesens und teilt die Helferinnen und Helfer in Zweierteams ein. Je zwei pro Zeile, auf jeder Seite eine Person. Und los geht die Lese. In Windeseile arbeiten sich alle den Hang hinunter. Einen festen Stand suchen, mit der linken Hand die Traube umfassen, rechts mit der Rebschere schneiden. Auf die Schüssel aufpassen, damit sie nicht abrutscht. Am besten sollte man sie zwischen den Rebstöcken einklemmen. Die Arbeit ist schwerer als gedacht. Die Beeren hängen so dicht an der Traube, dass man gar nicht weiß, wo man schneiden soll, weil kein Stiel zu sehen ist. Nach ein paar Versuchen klappt es dann doch. Schnell füllt sich die Schüssel.

Gearbeitet wird immer von oben nach unten. Michael zieht den Traubenschlitten nach und leert die vollen Schüsseln in die Traubenwanne. Kein einfaches Unterfangen bei 35 Grad Hangneigung, wenn man nicht das Gleichgewicht verlieren will. „Edgar, auf“, ruft Michael durch den Nebel und setzt sich auf den Schlitten. Oben startet Edgar die Winde, und mit einem Ruck setzt sich der Schlitten in Bewegung. Mit einem sanften Kratzen gleitet er nach oben durch die Rebzeilen, bis Edgar den Schlitten an der Hangkante kurz vor der Umlenkrolle stoppt. Mit einem Geschirr hängt er die Wanne an den Frontlader des Traktors und leert die Trauben in den bereitstehenden Anhänger. Der ist mit einer dichten weißen Plane ausgekleidet, damit kein Traubensaft verloren geht. Dann geht es mir der Wanne retour in den Weinberg.

Alle arbeiten sich konzentriert durch den Weinberg, Wanne um Wanne voll mit Trauben fährt Michael nach oben zum Anhänger. Worte fliegen hin und her, zwischendurch wird auch mal nicht geredet. Dann ist nur das rhythmische Klicken der Rebscheren zu hören und in der Ferne durch den Nebel das Tuckern der Mainfähre. Nur wenige Meter weiter verschwimmen die Rebstöcke im Grau des Morgens. Michael wagt einen Blick nach oben. „Ob das heute noch was wird mit dem Ausblick auf die Maininsel?“ Ehefrau Michaela hat derweil alles genau im Blick. „Wechselt ihr auch mal die Position von links nach rechts, damit die Beine und der Rücken nicht einseitig belastet werden?“, fragt sie in die Runde. Im Steilhang ist das tatsächlich ein Problem, ein Bein steht immer deutlich höher als das andere. „Wir Winzer haben grundsätzlich ein kurzes und ein langes Bein, damit wir uns im Steilhang gut bewegen können“, scherzt Michael.

Im unteren Teil des Weinbergs beginnt das steilste Stück. Plötzlich kullern in hohem Tempo ein paar Trauben vorbei bis fast an den Fuß des Weinbergs. Jemand hat sie aus Versehen fallen lassen oder die Schüssel nicht getroffen. „Nicht hinterherlaufen, denn dann musst du den Hang wieder hochlaufen. Wenn du unten angekommen bist, kannst du die heruntergefallenen Trauben wieder aufsammeln“, informiert Michael. Dann flucht er auf einmal. „Autsch, du hast mir mit der Rebschere in den Arm geschnitten“, wirft er seiner Frau vor. Michaela lacht nur, es ist auch nur ein kleiner Schnitt. So etwas kommt vor, wenn zwei Personen von links und rechts die gleiche Zeile lesen. Dann langt man zum Schneiden schon mal auf die andere Seite, manchmal erwischt es dann eben nicht die Traube, sondern die Hand der anderen Person. „Wer jemanden aus Versehen schneidet, muss ihm als Wiedergutmachung eine Tafel Schokolade spendieren“, informiert Michael über das ungeschriebene Gesetz. Die Schokolade muss sich der Reporter dann wohl selbst kaufen. Beherzt schneidet er auf der Suche nach dem Strunk mit rechts in die Traube und erwischt dabei den linken Handballen. Autsch. Der Schnitt blutet sogar ein klein wenig, aber die Blutung ist schnell gestoppt. Weiter geht’s.

Unten angekommen, geht es die geschätzt 50 Höhenmeter auch schon wieder nach oben. Fünf Zeilen sind geschafft, fünf weitere müssen in diesem Weinberg noch gelesen werden. Nach einer weiteren Stunde sind auch die zweiten fünf Zeilen geschafft, ein letztes Mal geht es mit dem gut gefüllten Traubenschlitten nach oben in den Nebel hinein. Dann ist Pause. Michaela verteilt aus dem Kofferraum ihres Autos belegte Semmeln und Käsebrezen sowie Kaffee und Wasser an die Helfer. Wer gut arbeitet, muss auch gut essen. Zum Hände waschen steht ein Eimer Wasser bereit, denn schon nach wenigen Minuten im Weinberg kleben die Finger wegen der süßen Trauben so verrückt, dass die Rebschere fast schon von alleine an der Hand haftet. Die Frauen tragen deshalb auch Handschuhe. „Ich finde das einfach angenehmer, auch wegen der Ohrenheller, die einem sonst ständig über die Hände krabbeln“, sagt Michaela.

Die Pause währt nur kurz, und schon geht es eine Straße weiter unten zum Weinberg von Onkel Bernhard, der mit seinem Unimog dabei ist und auch Michaels Weinberg mitgelesen hat. „Bei der Lese helfen wir Winzer immer zusammen“, erklärt Michael. Seine Frau macht derweil Tempo, auch der zweite Weinberg des Tages soll noch vor Mittag fertiggelesen werden. Wieder geht es in steiler Lage Schritt für Schritt und Schnitt für Schnitt nach unten und anschließend mit dem Traubenschlitten in rasanter Fahrt wieder nach oben. „Bernhard, du hättest ruhig etwas mehr von der Laubwand wegschneiden können, damit wir besser an die Trauben kommen“, bemerkt Michaela. Bernhard brummt etwas Unverständliches, verzichtet aber auf Widerrede. Sie hat ja recht.

Endlich reißt am späten Vormittag die Nebelwand auf, die Sonne setzt sich durch. Erst tauchen die Kirchturmspitzen von Köhler, Escherndorf und Nordheim aus dem Nebelmeer, dann die anderen Häuser, der Main und schließlich die ganze Maininsel auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses – und tatsächlich, das Panorama ist traumhaft und reicht über die ganze Insel mit ihren zahllosen Weinbergen. Auch Michael gönnt sich eine kurze Verschnaufpause. „Ich genieße diese Aussicht immer wieder“, sagt er. Zwischenzeitlich sind aus fünf Grad am Morgen 15 Grad geworden und die Jacke ist  zu warm. „Im Sommer kann es im Escherndorfer Lump zwischen den Rebzeilen auch mal bis zu 50 Grad heiß werden. Das hält dann keiner lange durch“, erzählt Michael.

Nach zwei Stunden ist auch Bernhards Weinberg gelesen. Alle packen ihr Zeug zusammen und fahren zurück nach Köhler. In der Garage sind für das Team Biertische und Bänke zu einer großen Tafel zusammengestellt. Zu Mittag gibt es Weißwürste, Fleischwürste und Brezn und hinterher einen von Michaela selbst gebackenen Apfelkuchen mit Sahne. Auf dem Tisch steht auch eine Flasche Bocksbeutel-Hof Müller-Thurgau Halbtrocken. Wer will, kann sich mit Sprudelwasser eine Weinschorle mischen. „Im Sommer ist das ein sensationelles Getränk. Wein und Wasser für kurze Zeit in die Tiefkühltruhe legen, dann ein Drittel Wein mit zwei Drittel Wasser aufgießen, und schon hast du die perfekte Erfrischung“, schwärmt Michael.

Doch auch diese Pause währt nur kurz, denn Weinberg Nummer drei steht noch aus, und um 16 Uhr will Michael die Lese zur Kelterstation der Winzergenossenschaft Divino nach Nordheim fahren, mit der die Winzergenossenschaft Escherndorf seit 25 Jahren erfolgreich kooperiert. Dieses Mal geht es in die andere Richtung zum Escherndorfer Fürstenberg. „Keine Sorge, der letzte Weinberg ist längst nicht so steil wie die anderen“, beruhigt Michael. Insgesamt bewirtschaftet er sechs Hektar Rebflächen im Escherndorfer Lump und im Fürstenberg mit ganz unterschiedlichen Rebsorten wie Müller-Thurgau, Silvaner, Bacchus, Weißburgunder, Grauburgunder, Chardonnay und Kerner. Nur die besonderen Qualitäten und die Steillagen liest er von Hand, rund 60 Prozent der Flächen übernimmt der Vollernter, dessen Leistungen jede Handlese um ein Vielfaches übertrifft, der dafür aber nicht in die Steillagen kommt.

Die Familie Sauer ist eine angestammte Winzerfamilie in Köhler, die eng mit der Winzergenossenschaft Escherndorf verbunden ist. „Schon mein Vater und mein Opa waren genossenschaftlich geprägt“, erzählt Michael. Er sei der Typ, der lieber im Weinberg stehe, als seinen eigenen Wein zu vermarkten. Diese Arbeit nehme ihm die Genossenschaft ab. Und auch der Ausbau des Weins im Keller könne genossenschaftlich viel besser gelöst werden, weil eine Genossenschaft leichter professionelle Strukturen aufbauen könne. „Klar erhalte ich als Genossenschaftsmitglied einen geringeren Erlös für meine Trauben, als wenn ich sie selbst keltere und vermarkte. Aber dafür habe ich auch einen viel geringeren Aufwand. Wenn alle Winzer ihren Wein selbst vermarkten müssten, das würde gar nicht funktionieren“, sagt Michael. „Genossenschaft ist Gemeinschaft, da halte ich es mit Friedrich Wilhelm Raiffeisen. Zusammen können wir im Weinberg, im Keller und im Vertrieb viel besser anpacken.“

Die Geschichte der Winzergenossenschaft Escherndorf

21 Escherndorfer Häcker gründeten im Jahr 1913 am Fuße des Lumps den Escherndorfer Winzerverein eG. Dieser erste genossenschaftliche Zusammenschluss wurde später in Winzergenossenschaft Escherndorf umbenannt. Im Jahre 1970 verlor diese ihre Eigenständigkeit. Am 5. August 1997 haben neun Winzer mit Mut und Unternehmergeist die Winzergenossenschaft Escherndorf eG wieder gegründet und in der Astheimer Straße 6, gegenüber der Kirche, den Bocksbeutel-Hof eingerichtet. Beim Ausbau der Weine arbeiten sie mit der Winzergenossenschaft Divino Nordheim Thüngersheim zusammen. Die Weine des Bocksbeutel-Hofs werden von den Kellermeistern der Divino im Keller der Genossenschaft in Nordheim – keinen Kilometer von Escherndorf entfernt – nach gemeinsamen Erzeugerrichtlinien ausgebaut und abgefüllt.

Einen Großteil der Weine vermarktet die Winzergenossenschaft Escherndorf unter der Marke Bocksbeutel-Hof selbst. Die Winzergenossenschaft Escherndorf ist Mitglied der Winzergenossenschaft Divino und erhält ganz normal Traubengeld wie jedes andere Mitglied auch. Durch die eigene Vermarktung der Weine erhalten die Escherndorfer Winzer am Ende des Jahres darüber hinaus noch eine kleine Überschussbeteiligung. Heute hat die Winzergenossenschaft Escherndorf acht Mitglieder, die insgesamt 25 Hektar Rebflächen im Escherndorfer Lump und im benachbarten Fürstenberg bewirtschaften.

Auf dem letzten Wengert gedeiht die Rebsorte Kerner, die nur auf einem Prozent der Rebflächen im fränkischen Weinland angebaut wird. Die Trauben leuchten goldgelb im nachmittäglichen Sonnenlicht, eine besondere Farbe. Die Sonne wärmt, ohne dass es zu heiß ist, und die Aussicht auf die übrigen Weinberge tut ihr Übriges. Perfektes Lesewetter. Die Stimmung ist gelöst. Der Traubenschlitten kommt nicht mehr zum Einsatz. Dieses Mal hängt die Traubenwanne hinten an einem Weinbautraktor, mit dem Michael direkt zwischen die Rebzeilen fahren kann. Das erleichtert die Arbeit enorm. Sobald die Wanne voll ist, werden die Trauben in einen am Rand des Weinbergs stehenden großen Anhänger umgefüllt.

Die Schüsseln kommen trotzdem noch zum Einsatz, aber dieses Mal besteht keine Gefahr, dass die Trauben meterweit kullern oder gleich die ganze Schüssel abrutscht. Dafür geht die Arbeit mehr ins Kreuz. „In der Steillage steht man aufrechter, da muss man sich nicht so stark bücken wie hier“, sagt Edgar. Und auch die Trauben, die aus Versehen auf dem Boden landen, sind schnell wieder eingesammelt. „Früher durfte nichts auf dem Boden liegen bleiben, da war jede Beere bares Geld wert“, erzählt Edgar. Heute ist das anders, denn heute spielt Menge für das Traubengeld nur noch eine untergeordnete Rolle. Stattdessen zählt die Qualität. „Da dürfen auch mal ein paar Beeren herunterfallen oder am Rebstock hängen bleiben, das freut dann die Vögel“, sagt Michael.

Trotzdem bleibt die Arbeit mühsam. Auch bei diesen Reben ist es nicht einfach zu erkennen, an welcher Stelle genau die Trauben am Stock festgewachsen sind. Teilweise braucht der Reporter Minuten, bis er die Rebschere umständlich angesetzt hat und die Traube endlich in der Schüssel liegt. Immer wieder ziehen die anderen an ihm vorbei. Selbst mit über 60 Jahren sind die Lesehelferinnen Roswitha und Ingrid noch doppelt so schnell wie der Reporter mit Mitte 40. „Kein Wunder, wir machen das ja auch schon seit über 50 Jahren. Da bekommt man Routine“, erzählt Roswitha und lacht. Auch Tante Marga hatte mit ihren 79 Jahren am Vormittag ein beachtliches Lesetempo vorgelegt.

Am frühen Nachmittag ist auch der Kerner gelesen, das Team verteilt sich auf die Autos und Traktoren, um den Heimweg nach Köhler anzutreten. Roswitha, Ingrid, Nicole und Uli verabschieden sich, Marga und Karin waren bereits mittags ausgestiegen. Michael hängt die beiden Anhänger zusammen an seinen Traktor und bricht auf zur Kelterstation nach Nordheim, Onkel Bernhard ist mit seiner Lese schon vorausgefahren. Durch Escherndorf geht es mit dem Fuhrwerk auf die Mainfähre. Vorne und hinten bleibt auf der Fähre nur wenig Platz, doch im Übersetzen mit Traktor und zwei Anhängern hat Michael Routine. „Wichtig ist, dass vorne und hinten auf der Fähre die Schranke zugeht, sonst darf der Fährmann nicht ablegen“, erzählt er.

Nur wenige Minuten später biegt Michael mit seinem Fuhrwerk in Nordheim auf den Hof der Winzergenossenschaft Divino ein. Nachdem er sich angemeldet hat, kippt er die Trauben in die Großwanne der Traubenannahme. Mit einem dumpfen Rauschen verschwinden die Trauben erst in der Wanne und werden dann mit einer Förderschnecke zur weiteren Verarbeitung in das Innere der nagelneuen Kelterstation befördert. 55 Ar, also gut einen halben Hektar Rebfläche, hat das Team an diesem Tag gelesen. Michael spritzt die Planen der beiden Anhänger ab, damit sie am nächsten Tag wieder eingesetzt werden können. Dann holt er seine Belege im Leitstand der Traubenannahme ab. Einmal 900 Kilogramm und einmal 1.200 Kilogramm Trauben waren die Ausbeute des Tages. Besonders freut ihn aber der Zuckergehalt der Silvanertrauben vom Escherndorfer Lump. 92 Grad Oechsle. „Das gibt einen sehr schönen Silvaner Spätlese trocken. Premiumqualität für elf Euro die Flasche. Da freue ich mich schon darauf, diesen Wein zu verkosten.“

Artikel lesen
Topthema