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Ein aufgelassener Steinbruch bei Niederhofen unweit von St. Johann in Tirol ist vielleicht nicht der Ort, wo man als Laie den Startpunkt einer Milchsammeltour vermuten würde, die über steile Almwege bis auf 1.620 Meter Höhe führt. Doch genau dort lässt Martin Mooser an einem verregneten Julimorgen um 7:20 Uhr seinen Milchsammelwagen mit Anhänger ausrollen. Ziemlich genau eine Stunde vorher ist er auf dem Betriebsgelände der Molkerei Berchtesgadener Land in Piding losgefahren, um über Bad Reichenhall und Lofer Niederhofen zu erreichen. Im Steinbruch kuppelt er den Hänger ab und lässt ihn vorläufig stehen. Später wird Mooser einen Teil der Milch in den Hänger umpumpen. Auf die Almen käme er mit dem gesamten Gespann ohnehin nicht.

Der Reporter darf zusteigen, und los geht die wilde Fahrt – obwohl sie auf den ersten Kilometern gar nicht so wild ist. Über schmale, aber asphaltierte und mäßig steile Straßen geht es zuerst nach Süden über Kitzbühel hinaus. Zwei Lkw passen dort allerdings nicht aneinander vorbei. Als ein Muldenkipper entgegenkommt, ist guter Rat teuer. Der Kipperfahrer weicht in eine private Garageneinfahrt aus, Mooser lässt zum Dank das tiefe Signalhorn des Lkw ertönen. Dann ist der erste Hof erreicht. Gut 1.700 Liter Bergbauernmilch nimmt Mooser auf, weitere 1.000 Liter folgen beim nächsten Stopp. Die Bäuerin reicht unaufgefordert ein Haferl Kaffee heraus. Mooser wirft einen Blick durch das Stallfenster, während er an seinem heißen Kaffee nippt und die orangefarbene Hofkatze krault, die ebenfalls kurz vorbeischaut. „Jersey-Rinder. Klein, geben nicht allzu viel Milch, aber diese hat reichlich Fett“, sagt er anerkennend.

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Auf Bergtour mit dem Almtruck: „Profil“ hat Martin Mooser bei seiner Fahrt mit dem Milchsammelwagen der Molkerei Berchtesgadener Land auf die Kitzbüheler Almen begleitet. Video: Florian Christner und Karl-Peter Lenhard (Schnitt), Redaktion „Profil“

Dann geht es unterhalb des markanten Kitzbüheler Horns in Richtung Kalksteinalmen, die auf knapp 1.200 Meter Höhe liegen. Mooser setzt den Blinker und biegt bei Habach von der Landstraße ab. Vorbei an Murmi’s Kinderland, und schon werden die Straßen wieder schmal. Bevor es in den Wald geht, öffnet Mooser mit einem Chip eine Schranke, die den Almweg versperrt. Zufahrt nur für berechtigte Almfahrzeuge, der Sammelwagen der Molkerei Berchtesgadener Land gehört dazu. „Das wäre ja noch schöner, wenn hier jeder hochfahren dürfte“, sagt er. Dafür sind die Wege auch gar nicht ausgelegt.

Bis zu 100 Milchkühe auf der Alm

Was hat ein Milchsammelwagen der Molkerei Berchtesgadener Land in Tirol auf 1.620 Meter Höhe zu suchen? Dazu muss man die Hintergründe kennen:

  • Mit dem Europäischen Binnenmarkt sind grenzüberschreitende Geschäftsbeziehungen viel einfacher geworden. Das gilt auch für Genossenschaften. Einige Tiroler Landwirte aus der Umgebung von St. Johann in Tirol, Kitzbühel und Fieberbrunn sahen ihre Chance, die Molkerei zu wechseln und ihre Milch der Molkerei Berchtesgadener Land anzudienen. Diese entschloss sich 2019 nach reiflicher Überlegung, die ersten Tiroler Landwirte als Mitglied aufzunehmen. Die Molkerei Berchtesgadener Land bezieht ihre Milch auch von Landwirten aus Oberösterreich und dem Salzburger Land und damit aus Regionen, die in der Nähe der Molkerei liegen. Der Produktionsstandort Piding ist nur vier Kilometer von Salzburg entfernt und nach Kitzbühel in Tirol sind es gerade einmal 70 Kilometer. Haupterfassungsgebiet bleibt aber die bayerische Alpenregion vom Watzmann bis zur Zugspitze.
  • Die Landwirte in Bayern treiben in der Hauptsache ihr Jungvieh auf die Almen, damit es dort im Sommer grasen kann. Die Milchkühe bleiben zu Hause im Stall beziehungsweise auf der Weide. Deshalb ergibt es im bayerischen Alpenraum in der Regel keinen Sinn, den Milchsammelwagen auf die Alm zu schicken, weil dort höchstens ein bis zwei Kühe für den Eigenbedarf gemolken werden. Ganz anders in Tirol: Dort stehen auch auf den Almen große Ställe mit Melkständen für 50, 60 oder sogar 100 Milchkühe. Die Tiroler Bergbauern können deshalb viel freizügiger entscheiden, wo sie ihre Milchkühe den Sommer über halten wollen. Manche treiben alle Tiere auf die Alm, andere behalten einen Teil auf dem Hof – ganz so, wie es das Futterangebot auf den Almflächen zulässt. Von daher ist es für die Molkerei Berchtesgadener Land trotz des erhöhten Aufwands und der langen Anfahrt betriebswirtschaftlich darstellbar, den Milchsammelwagen auf die Tiroler Almen zu schicken, weil pro Sammelstelle deutlich größere Milchmengen zusammenkommen.

Routinier: Martin Mooser fährt seit elf Jahren Milchsammelwagen. Für die Almtour rund um Kitzbühel hält die Molkerei Berchtesgadener Land zwei spezielle dreiachsige Sammelwagen vom Typ MAN TGS 26.500 vor, die sogenannten „Almtrucks“.

Die Almen rund um Kitzbühel und St. Johann in Tirol sind beliebte Ausflugsgebiete. Im Sommer muss Martin Mooser jederzeit damit rechnen, dass ihm Wanderer oder Mountainbiker entgegenkommen.

Hatte Mooser schon mal Probleme, weil ihm jemand an ungünstiger Stelle entgegengekommen ist? Der Almtrucker winkt ab, nicht der Rede wert. „Einmal musste ich rund einen Kilometer rückwärts bis zur nächsten Ausweichstelle fahren, weil plötzlich ein Holzlaster vor mir stand. Und ein andermal ist eine Frau mit ihrem Pkw an einer harmlosen Stelle rückwärts in den Graben gefahren, als sie mir ausweichen wollte. Die habe ich dann mit den Schneeketten des Trucks wieder rausgezogen.“ Wenige Minuten später ist die Baumgrenze erreicht, nun steuert Mooser seinen Lkw durch offenes Almgelände mit einem Wahnsinnspanorama. Zwischendurch werden die Wege ganz schön steil. „Wie viele PS hat das Fahrzeug?“ – „500 PS, aber manchmal ist auch das zu wenig“, scherzt Mooser.

Die beruhigenden Informationen schiebt er gleich nach: Für die Almtour rund um Kitzbühel hält die Molkerei Berchtesgadener Land zwei spezielle dreiachsige Sammelwagen vom Typ MAN TGS 26.500 vor, die sogenannten „Almtrucks“. Der zuschaltbare hydrostatische Vorderradantrieb, von MAN „HydroDrive“ getauft, sorgt für zusätzliche Traktion und schnelle Extra-Power in Steigungen. Er lässt sich auch während der Fahrt aktivieren, wenn es zum Beispiel plötzlich rutschig wird. Auf diese Weise kommt der Almtruck auch mit unbefestigten Wegen, losem Untergrund sowie mit Schlamm, Eis und Schnee zurecht. Drehen die Räder doch einmal durch, greift die Differenzialsperre. Zwar werden die Tiroler Almen im Winter nicht angefahren, doch im Herbst ist niemand vor plötzlichem Schneefall gefeit. Auch bergab wirkt der Zusatzantrieb auf die Vorderachse und stabilisiert das Fahrzeug. In Verbindung mit einer verschleißfreien hydrodynamischen Dauerbremse, die direkt auf den Motor wirkt, kommt Mooser auch bei voller Zuladung gefahrlos den Berg wieder hinunter, ohne die reguläre Bremsanlage über die Maßen beanspruchen zu müssen.

Am frühen Vormittag kämpft sich die Sonne hin und wieder durch die Regenwolken und sorgt für eine mystische Stimmung. Am Rand der Almwege tauchen immer wieder Kuhherden auf. Manche Tiere lassen sich vom herannahenden Almtruck nicht beeindrucken, andere verfallen in einen mäßigen Galopp, um dem Lkw Platz zu machen. „Jetzt am Morgen sind die Kühe noch draußen. Später am Tag, wenn es wärmer wird, bleiben sie lieber im Stall, Kühe mögen es kühl“, erklärt Mooser. Immer wieder hat er es mit Menschen zu tun, die sich wundern, warum auf den Almwiesen tagsüber keine Kühe zu sehen sind.

Auch die Sammelwagen anderer Molkereien sind auf den Almen rund um Kitzbühel unterwegs. In der nebelverhangenen Ferne entdeckt Mooser einen Kollegen und sucht sich eine Ausweichstelle, um dort auf das andere Fahrzeug zu warten. Zwischendurch ist dieser nicht mehr zu sehen. „Wenn der andere Fahrer jetzt auch auf uns wartet, kommen wir heute nicht mehr vom Fleck“, sagt Mooser. Kurze Zeit später tauchen die Lichter des Lkw auf, der andere Fahrer zieht seinen Lkw langsam vorbei. Nach rund 50 Minuten Fahrzeit ist eine der Kalksteinalmen und damit das Ziel erreicht. Wieder fließen gut 1.400 Liter Bergbauernmilch in den Tank des Almtrucks. Melker Daniel kommt aus dem Haus und hält einen kurzen Schwatz mit Mooser. Heuer ist das Wasser knapp auf den Kalksteinalmen, teilweise müssen die Bauern es schon mit Tanks zu den Kühen fahren. Auf dem Rückweg nimmt Mooser bei einer anderen Alm weitere 1.500 Liter auf, dann ist die Schleife auf die Kalksteinalmen erledigt.

Der Almtruck, Leergewicht 13 Tonnen, darf 13.000 Liter zuladen, im Anhänger sind nochmal 11.000 Liter erlaubt. Die Tanks würden mehr zulassen, aber dann würde das zulässige Gesamtgewicht überschritten. Zurück im Tal, pumpt Mooser die ersten 6.000 Liter in den Anhänger um. „Es wäre auch möglich, die nächste Schleife mit halbvollem Tank zu drehen, aber das muss nicht sein, ich fahre lieber mit leerem Tank hoch“, meint der Almtrucker der Molkerei Berchtesgadener Land. Ein beruhigender Gedanke, denn nun kommen die Almen rund um Fieberbrunn an die Reihe – im Wortsinn der Höhepunkt der Tour. Zuerst kuppelt Mooser jedoch den Hänger wieder an und verlegt ihn an einen Parkplatz zwischen St. Johann und Fieberbrunn an der Landstraße, wo er strategisch günstiger stehen bleiben kann.

Dann geht es durch Fieberbrunn hindurch, ehe Mooser erneut den Blinker setzt und auf einen Almweg einbiegt, der über acht Kilometer dem Graben der Schwarzache folgt. Noch immer ist der Himmel wolkenverhangen, im Graben ist es düster, der Wald wirkt stellenweise verwunschen. Sogar einen kurzen, kaum ausgebauten Tunnel muss Mooser mit seinem Truck durchqueren, um zu den Almen zu kommen.

Am Ende des Grabens das gleiche Bild wie bei den Kalksteinalmen: Kaum verlässt der Truck den Wald, öffnet sich der Blick auf eine weite, wilde Almlandschaft, durchzogen von Skiliften, denn das Gebiet gehört zum Skizirkus Saalbach Hinterglemm Leogang Fieberbrunn. Mooser konzentriert seinen Blick lieber auf den Weg vor ihm. Der Regen ist stärker geworden, kleine Sturzbäche bahnen sich ihren Weg durch Gras und Geröll. Mittlerweile geht es seitlich stellenweise steil bergab. Kommt der Lkw hier vom Weg ab, ist es wahrscheinlich vorbei. Angespannt ist Mooser trotzdem nicht. „Wenn es matschig ist, muss man schon aufpassen. Aber ich fahre seit mittlerweile elf Jahren Milchsammelwagen und diese Tour seit fünf Jahren. Ich kenne jede Kurve und jede Engstelle, ich weiß, wann ich lenken muss, welchen Gang ich wähle und wann ich die Automatik sperren muss, damit der Lkw nicht selbst in den nächsten Gang schaltet.“

Die Gefahren sind Mooser bewusst, wenn er seinen Lkw über steile und steilste Almwege steuert, doch beim Fahren blendet er sie aus. Anders geht es auch nicht. „Ein anderer Fahrer hat nach einigen Anlernfahrten die Tour abgelehnt. Er konnte nicht mehr schlafen, wenn die Hochalm auf der Tourenliste stand. Angst und schwitzige Hände bei so einer Strecke, das bringt keinem was“, sagt Mooser. Viele Unfälle gehen zwar glimpflich aus, auch wenn sie in steilem Gelände passieren. Aber eben nicht immer. Solche Momente geben auch Mooser zu denken. Ein Kollege sei einmal an einem Muldenkipper vorbeigekommen, der vom Fahrweg abgekommen und abgestürzt sei. Das Wrack sei zwar abgedeckt gewesen, aber noch nicht von der Unfallstelle entfernt worden. „Die Fahrerkabine war dermaßen zerdrückt, da hast du gewusst, das kann keiner überlebt haben. Da hat man dann schon ein komisches Gefühl, wenn man so etwas mitbekommt“, sagt Mooser. Aus diesem Grund gilt bei der Molkerei Berchtesgadener Land die Devise: Die Almtour rund um Kitzbühel fährt nur, wer sich das auch zutraut. Kein Fahrer wird dazu gezwungen.

Die Zeit zieht sich. Eineinhalb Stunden sind seit der letzten Station auf den Kalksteinalmen vergangen, ehe nach einem erneuten steilen Anstieg die Reckwand Niederalm auftaucht, die von Michael Waltl bewirtschaftet wird. Die Kühe befinden sich aktuell auf der Hochalm, deswegen hat Waltl die Milch mit seinem Traktor und einem Tankanhänger zur Niederalm gebracht. Das letzte Stück bis zur Hochalm wäre auch für den Almtruck zu steil gewesen. 1.000 Liter Milch pumpt Mooser in den Tank des Lastwagens. 40 Milchkühe und 60 Stück Jungvieh leben auf dem Hof von Waltl, im Sommer zum Großteil auf der Alm. Den Wechsel zur Molkereigenossenschaft Berchtesgadener Land vor einigen Jahren begründet er so: „Die Molkerei behandelt uns Bauern wie ihre eigenen Mitarbeiter. Wenn es ein Problem gibt, erhalten wir sehr schnell Hilfe. Das hat uns überzeugt.“ Zudem sei die Zusammenarbeit sehr unkompliziert. Früher habe er für die damalige Molkerei viele Zettel ausfüllen müssen, wenn er zum Beispiel die Kühe auf die Alm gebracht habe. Nach dem Wechsel zur Molkerei Berchtesgadener Land reiche es aus, wenn er dem Sammelwagenfahrer Bescheid gebe. „Dann läuft das.“

Gerne würde Waltl einen Kaffee anbieten, aber ein Rind hat sich verletzt und muss versorgt werden. Deshalb bleibt es an diesem Tag bei einem kurzen Ratsch. Mooser klettert wieder in seinen Almtruck. So steil es vorher bergauf ging, so steil geht es nun bergab. Der Regen hat aufgehört, doch die Wege sind noch nass und rutschig. Vorsichtig steuert Mooser den Almtruck um Kurve und Kurve, ehe er wieder am Talboden angelangt ist. Dann geht es entlang der Schwarzache zurück bis zur Talstation der Kabinenbahnen TirolS I und II. Jetzt im Sommer stehen die Lifte still, im Winter geht es von dort aus auf der einen Seite mit zwei Mal Umsteigen bis auf das Hochhörndl (2.020 Meter) und auf der anderen Seite auf den Reiterkogel (1.818 Meter).

Auch Mooser muss Richtung Reiterkogel, allerdings nicht per Kabinenbahn, sondern mit dem Almtruck. Auf 1.620 Meter Höhe steht die Vierstadlalm von Stefan Lindner direkt neben der Piste. Während die Trasse der Kabinenbahn den direkten Weg nimmt, geht es für Mooser nun ans Eingemachte. Rund 540 Höhenmeter muss er mit seinem Truck bewältigen und dabei 18 Spitzkehren meistern. Zwei davon sind so eng, dass Mooser rangieren muss. Schnell wird die Liftstation kleiner, die Aussicht atemberaubender – doch wie weit es 40 Zentimeter neben dem Truck in die Tiefe geht, da möchte man gar nicht so genau hinschauen.

Dann die erste Haarnadelkurve. Mooser fährt seinen Almtruck bis an die Felswand, setzt zurück, bis das Heck des Lkw über die Hangkante ragt, rangiert erneut, und setzt seine Fahrt fort, als wäre nichts gewesen. Die zweite Haarnadelkurve fühlt sich dann schon gar nicht mehr so schlimm an, obwohl der Almweg im weiteren Verlauf die Skipiste quert, die an der Stelle massiv mit Fangzäunen verbaut ist, damit die Skifahrer nicht über eine Felswand stürzen. Und der Almtruck?

Kurze Zeit später ist es geschafft, Mooser stoppt seinen Milchwagen auf 1.620 Meter Höhe direkt neben dem Stall der Vierstadlalm. Nur wenige Minuten später, ziemlich genau zur Mittagszeit, hat er 2.000 Liter Bergbauernmilch in den Sammelwagen gepumpt. Zeit für eine kurze Pause. Von Mitte Mai bis Mitte Oktober, wenn die Kühe auf der Alm sind, verbringen Stefan Lindner, seine Frau und die drei Töchter die meiste Zeit auf der Alm. Frühmorgens melken sie die Tiere, versorgen sie mit etwas Heu und Getreide, danach geht es ins Tal auf den Hof in St. Johann und für die Kinder außerhalb der Ferien in die Schule. „Da müssen wir hier oben schon wirklich früh aufstehen, um rechtzeitig im Tal zu sein“, sagt Lindner. Nachmittags geht es wieder retour auf die Alm – auf dem gleichen Weg, wie ihn auch Mooser mit seinem Almtruck nimmt. Nachmittags werden die Kühe erneut gemolken, dann dürfen sie auf die Weide und werden zum Sonnenuntergang wieder in den Stall getrieben.

Vor gut fünf Jahren wechselte Lindner zur Molkereigenossenschaft Berchtesgadener Land. „Wir haben immer schon nach Berchtesgaden geliebäugelt, weil wir preislich und wirtschaftlich einen Vorteil gesehen haben“, erzählt Lindner. Das sei aber nicht der Hauptgrund gewesen, sich der Molkerei Berchtesgadener Land anzuschließen. „Wir haben gesehen, dass unsere Milch von der Molkerei wertgeschätzt wird. Deshalb sind wir vor allem aus Überzeugung gewechselt“, berichtet der Landwirt, der, im Sommer verteilt auf drei Almen, 200 Kühe im Stall stehen hat.

Lindner lädt den Milchsammelwagenfahrer auf eine Mittagsbrotzeit ein. In der Stube ist es wohlig warm, der Kaminofen eingeschürt, denn draußen hat es vielleicht 15 Grad. „Wir befinden uns halt doch im alpinen Bereich“, sagt Lindner. Von der Alm aus hat man einen guten Blick über das Tal der Schwarzache hinweg auf die gegenüberliegenden Berghänge. Auf gleicher Höhe bewegen sich ebenfalls Lkw über steile Serpentinen – aber keine Milchlaster, sondern schwere Muldenkipper. „Dort befindet sich der Magnesit-Tagebau Weißenstein. Das Gestein wird per Materialseilbahn ins Magnesitwerk nach Hochfilzen transportiert und zu feuerfesten Dämmbausteinen verarbeitet, mit denen unter anderem Schmelzöfen ausgekleidet werden“, erklärt Lindner.

Auf einmal ist es 13 Uhr, die Mittagspause hat deutlich länger gedauert als gedacht, und Mooser pressiert es ein wenig. Er hat noch fünf Stationen vor sich. Außerdem will Jackie um 15 Uhr melken. Mooser weiß das aus Erfahrung, bis dahin muss ihr Milchtank leer sein. Jackies Stall liegt noch auf der Route. Trotzdem bleibt Mooser ruhig. „Bei der Almtour haben wir absolut keinen Zeitdruck, denn das wäre bei dieser gefährlichen Tour kontraproduktiv. Wenn wir fertig sind, sind wir fertig“, sagt er. Nun geht es erstmal wieder runter von der Vierstadlalm, 540 Höhenmeter und 18 Spitzkehren bis zur Talstation der Kabinenbahn. Dazu kommt die Milch im Tank, die schiebt und schwappt.

Vorsichtig und konzentriert steuert Mooser seinen Almtruck Kehre für Kehre talwärts, dank HydroDrive und hydrodynamischer Dauerbremse rollt der MAN-Truck konstant mit etwas mehr als Schrittgeschwindigkeit bergab, ohne dass Mooser groß zusätzlich bremsen muss. Das beruhigt. Dann die erste Haarnadelkurve, in der Mooser rangieren muss. Das gleiche Spiel wie bei der Bergfahrt, nur dieses Mal mit bester Aussicht auf den Abgrund. Ruhig lenkt Mooser seinen Lkw bis zur Hangkante, stoppt, setzt zurück, lenkt ein, setzt vor, geschafft. Schwitzige Hände? Ja, die gibt es, aber nicht beim Fahrer, sondern beim Beifahrer.

Über den Schwarzache-Graben und die Landstraße geht es zurück zum Anhänger. Mooser pumpt weitere 5.000 Liter um, um auch die letzte Schleife zu den Almen am Kitzbüheler Horn mit leerem Tank in Angriff nehmen zu können. Auch wenn es erneut auf rund 1.200 Meter Höhe geht, wirkt die Fahrt zu den Almen am Kitzbüheler Horn fast schon entspannt. Wieder öffnet sich dem Betrachter ein gigantisches Panorama. „Hier oben hat ein Kollege vor Kurzem zwei Steinadler gesehen“, erzählt Mooser. Zwei Kurven später fliegt ein großer Greifvogel von einem Zaunpfosten auf, als sich der Almtruck nähert. Ein Steinadler? Möglich ist es, Farbe und Schwingenform könnten passen, doch für ein Beweisfoto ist es zu spät. Zu den Almen am Kitzbüheler Horn gehört auch der Stall von Melkerin Jackie. Um 14:24 Uhr schließt Mooser den Schlauch an den Milchtank im Stall an und schaltet die Pumpe ein. 3.700 Liter Milch fließen in wenigen Minuten in den Sammelwagen. Passt, Jackie kann um 15 Uhr anfangen zu melken.

Beim zweiten Stopp am Kitzbüheler Horn lässt sich Melker Hans für einen kurzen Schwatz blicken. Während 1.800 Liter in den Tank fließen, gewährt er einen Blick in den Stall. Ausmisten, Kühe füttern, auf einer Alm gibt es immer etwas zu tun. Deshalb ist der Besuch des Sammelwagenfahrers immer eine willkommene Abwechslung, von Muße kann aber keine Rede sein. Dann geht es wieder hinunter und auf der anderen Talseite nochmal nach oben zu einer weiteren Alm am Kalkstein. Wieder fließen 3.600 Liter in den Tank.

Zurück am Parkplatz, kuppelt Mooser den Anhänger an und fährt zum letzten Bauernhof bei St. Johann-Oberhofen. 2.800 Liter fließen um kurz nach 16 Uhr in den Sammelwagen, dann ist es geschafft. Rund 22.000 Liter frische Bergbauernmilch hat Mooser nun in den Tanks, 10.000 Liter im Anhänger und 12.000 Liter im Sammelwagen. Für den Rückweg zur Molkerei nach Piding wird Mooser knapp eine Stunde brauchen, dann muss er noch Abtanken und die Tanks reinigen. Um 19 Uhr wird er zu Hause in Ainring sein, einem Dorf zwischen Freilassing und Piding.

Dort erwarten ihn seine Frau, seine beiden kleinen Kinder – und 45 Milchkühe. Denn Mooser ist nicht nur Milchsammelwagenfahrer, sondern auch gelernter Landwirt und Landmaschinenmechaniker. In beiden Berufen hat er seinen Meister gemacht. Zum 1. Juli dieses Jahres hat er zusammen mit seiner Frau den Hof seiner Schwiegereltern übernommen und ist nun selbst Mitglied der Molkereigenossenschaft Berchtesgadener Land. Manchmal führt ihn eine seiner Sammeltouren auch über Ainring. „Dann hole ich meine eigene Milch ab“, sagt Mooser und muss lächeln.

Doch eines ist gewiss: So hoch wie bei der Tour zu den Kitzbüheler Almen kommt er sonst nicht hinaus. Aber dann ist er auch froh, wenn er wieder unten ist. Zum Abschied steigt Mooser in seinen Almtruck, lässt zum Gruß das Signalhorn ertönen und fährt vom letzten Hof – auf einer Straße, so eben wie in der Salzwüste. Den Almtruck wird es freuen. Höhenmeter hat er mit Mooser an diesem Tag schon genug erklommen.

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