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Wie geht moderner Vertrieb? Carsten Bartsch, Professor für Marketing und Unternehmensführung an der Hochschule der Bayerischen Wirtschaft in München, nennt vier große Trends:

  1. Der reine Produktvertrieb wird mehr und mehr zum Auslaufmodell. „Stattdessen erwarten die Kunden Lösungen für ihr Problem“, sagt Bartsch. Unternehmen sind aufgerufen, ein Gesamtpaket aus Produkt und Service zu schnüren, um die Erwartungen ihrer Kunden ganzheitlich zu erfüllen. Das gelte sowohl für Unternehmenskunden als auch für Privatkunden. „Der Herrenausstatter verkauft nicht mehr nur Anzüge, sondern bietet dazu eine umfassende Stilberatung an. Der Softwarekonzern SAP vertreibt seine IT-Lösungen für das Finanz- und Personalwesen in Kombination mit passgenauen Schulungen für die Mitarbeiter“, gibt Bartsch zwei Beispiele.
  2. Die Vertriebskanäle verschmelzen zum sogenannten Omnikanal-Vertrieb, der den Multikanal-Vertrieb mehr und mehr ablöst. Den Unterschied erklärt Bartsch so: „Beim Multikanal-Ansatz werden Produkte und Dienstleistungen über mehrere Kanäle verkauft, etwa im stationären Ladengeschäft und im Online-Shop. Die Kanäle sind aber nicht miteinander verknüpft. Beim Omnikanal-Vertrieb sind dagegen alle Kanäle in ein großes Angebot integriert, sodass der Kunde ein lückenloses Kauferlebnis hat. Er kann sich am Telefon beraten lassen, dann online bestellen und sein Produkt am nächsten Tag im Laden abholen, oder er lässt sich im Laden inspirieren, bestellt dort und bekommt das Produkt am nächsten Tag nach Hause geliefert.“
  3. Die digitale Kundenkommunikation bekommt immer mehr Gewicht. „Die Corona-Pandemie und der Trend zum Omnikanal-Vertrieb beschleunigen diese Entwicklung enorm“, sagt Bartsch. Viele klassische Vertriebler seien nach wie vor auf den direkten Kundenkontakt geeicht. Dabei biete die digitale Welt vielfältige Kommunikationsmöglichkeiten. „Die digitalen Kanäle dienen immer mehr der Interaktion mit dem Kunden, zum Beispiel über das Smartphone und die sozialen Medien“, sagt Bartsch. Wer transparent kommuniziere, steigere die Kundenzufriedenheit und damit die Kundenbindung. Das Thema Kundenloyalität sei in der digitalen Welt unabdingbar, betont Bartsch. „Die Märkte sind gesättigt, die Menschen haben die Wahl. Wenn Unternehmen ihre Kunden halten wollen, sollten sie diese über die Medien informieren, die diese nutzen, und das sind immer häufiger digitale Kanäle.“
  4. Viele Angebote, die in der Corona-Krise aus der Not heraus digitalisiert worden sind, werden bleiben. Professor Bartsch nennt als Beispiel dafür seine eigenen Lehrveranstaltungen an der Hochschule der Bayerischen Wirtschaft. „Wir mussten wegen Corona alle unsere Präsenzveranstaltungen auf Online-Kurse umstellen. Dabei haben wir zwangsläufig gelernt, unsere Online-Lehre zu perfektionieren. Also werden wir verschiedene Kurse in Zukunft nicht mehr nur als Präsenzveranstaltung in München anbieten, sondern online für Teilnehmer aus aller Welt. So haben wir uns sozusagen gezwungenermaßen neue Märkte erschlossen.“

Fünf Beispiele für einen erfolgreichen Vertrieb

Die Menschen wollen viele digitale Services aus der Corona-Krise nicht mehr missen, ist Bartsch überzeugt. In Zukunft haben deshalb jene Unternehmen einen Vorteil, die in der Lage sind, ihren Kunden gewohnte Dienstleistungen auf neuen Kanälen anzubieten. „Wenn ich keine Zeit habe, um ins Fitness-Studio zu gehen, dann freue ich mich, wenn die Yoga-Stunde zusätzlich gestreamt wird und ich von zu Hause aus teilnehmen kann“, sagt Bartsch. Das gelte auch für den Onlinehandel, den viele Kunden in der Corona-Zeit erst so richtig kennen und schätzen gelernt hätten. „Der Onlinehandel wurde durch Corona enorm befeuert. Das lässt sich nicht mehr zurückdrehen.“

Doch was können Unternehmen konkret tun, um ihren Vertrieb neu zu positionieren? „Profil“ hat fünf aktuelle Praxisbeispiele für zeitgemäßen Vertrieb recherchiert, vom klassischen Handwerksbetrieb bis zum großen inhabergeführten Handelsunternehmen. Professor Carsten Bartsch hat sich die Beispiele angesehen und bewertet sie für die Leser von „Profil“.

Fahrzeug-Werke LUEG AG: Online-Beratung beim Autokauf

Die Fahrzeug-Werke LUEG AG verkaufen an zahlreichen Standorten im Ruhrgebiet, in Sachsen und der Zentralschweiz Neu- und Gebrauchtwagen von Mercedes-Benz, Volvo, Ferrari und Smart. Als die Kunden während des Corona-Lockdowns nicht mehr in die Autohäuser kommen durften, stellte LUEG kurzerhand auf Online-Beratung um. Seitdem können sich die Kunden auch via Handy, Tablet oder PC beraten lassen. Der Berater stellt im Live-Chat die verschiedenen Ausstattungslinien sowie optional erhältliche Extra-Ausstattungen des Wunschfahrzeugs vor und beantwortet Fragen. Wenn alles passt, nimmt der Berater auch die Fahrzeugbestellung auf. Anschließend wird das Traumauto kostenfrei bis vor die Haustür geliefert.

„Die Überlegung, unseren Kunden eine Online-Beratung anzubieten, gibt es nicht erst seit Corona, aber Corona hat die Realisierung beschleunigt und dafür gesorgt, dass wir diesen Service innerhalb von wenigen Tagen anbieten konnten“, berichtet Sascha Röwekamp, Chief Digital & Marketing Officer bei LUEG. „Uns ist wichtig, unsere Kunden und Gäste auch digital bei uns im Autohaus zu begrüßen, ihnen auf digitalem Weg Fahrzeuge vorstellen zu können und mit ihnen über einen geteilten Bildschirm Angebote durchzugehen.“

Die Online-Beratung hat sich laut Röwekamp nicht nur in der Phase des Corona-Lockdowns bewährt. „Sie ist inzwischen ein fester Bestandteil unseres Angebots und unserer Digitalstrategie.“ Den Erfolg der Online-Beratung führt er auf ein einfaches Rezept zurück: „Wie bei allen Neuerungen muss man das Angebot nur so einfach und einladend gestalten, dass sich der Kunde gerne darauf einlässt.“ Tendenziell sind es laut Röwekamp eher Geschäftskunden, die das Angebot annehmen. Deshalb hat die Beratung vor Ort weiterhin einen hohen Stellenwert bei LUEG. „Bei Privatkunden findet die Kaufentscheidung meist nach wie vor im Autohaus statt. Probefahrten sind weiterhin ein großes Thema“, berichtet Röwekamp.

Omnikanal-Vertrieb wird immer wichtiger

Für Carsten Bartsch ist die Online-Beratung bei LUEG ein Paradebeispiel für einen verzahnten Omnikanal-Vertrieb. Dieser werde auch in Branchen immer wichtiger, die bisher fast ausschließlich vom stationären Vertrieb gelebt haben. „Durch die verzahnten Vertriebskanäle kann der Kunde frei entscheiden, ob er sein Auto online oder vor Ort kaufen will, ohne dass Informationen verloren gehen. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn der Kunde online sein Auto konfiguriert, nur damit der Händler vor Ort alle Informationen nochmal in sein eigenes System eingibt.“

Dehner Garten-Center: Digitale Bestellterminals

Das Familienunternehmen Dehner aus dem bayerischen Rain am Lech betreibt über 130 Garten-Center in Deutschland und Österreich. In den Märkten erlauben digitale Info- und Bestellterminals den Zugriff auf erweiterte Online-Sortimente. „Die Geräte wurden installiert, um das Einkaufserlebnis noch komfortabler zu gestalten. Sie dienen als virtuelle Verlängerung der Ladentheke“, erklärt Dehner-Geschäftsführer Frank Böing. Neben dem umfangreichen Informationsangebot gibt es an den Terminals die Möglichkeit, Produkte vor Ort im Markt zu bestellen und bequem nach Hause liefern zu lassen. „Vor allem für großvolumige und schwere Artikel bietet sich der Service an und wird von den Kunden gerne genutzt“, sagt Böing.

Um auch zukünftig für eine hohe Kundenzufriedenheit zu sorgen, will Dehner seine kanalübergreifenden Angebote weiter ausbauen. Mit dem Service „Click & Collect“ können Hobbygärtner und Tierliebhaber schon heute ihre gewünschten Artikel schnell über das Internet vormerken und sie dann im Garten-Center in Empfang nehmen. Die Ware kann aber auch ganz einfach von zu Hause online bestellt und direkt bis vor die Tür geliefert werden.

Online- und Offline-Produktwelt ergänzen sich

„Mit den Bestell-Terminals verknüpft Dehner seine Offline- und Online-Welten zu einem ganzheitlichen Angebot“, erklärt Vertriebsexperte Carsten Bartsch. Das sei gut für beide Kanäle: In den Märkten haben die Kunden alle Produkte vor Augen und können sich von einem Mitarbeiter beraten lassen. Außerdem sei in den Märkten das Impulskaufverhalten viel ausgeprägter. „Wenn ich nur eine Rosenschere brauche, kaufe ich im Markt viel eher noch einen weiteren Rosenstock und einen schönen Terrakotta-Topf dazu – ganz einfach, weil ich die Dinge vor Ort sehe und sie gleich mitnehmen kann.“ Auf der anderen Seite steht den Kunden über die Bestell-Terminals im Markt trotzdem das komplette Sortiment zur Verfügung. Bartsch: „Wenn genau der Sonnenschirm, den ich haben will, im Markt nicht mehr verfügbar ist, dann bestelle ich ihn eben über das Terminal online – und bekomme ihn auch noch geliefert. So bin ich als Kunde auf jeden Fall zufrieden, selbst wenn ich das gewünschte Produkt nicht sofort mit nach Hause nehmen kann.“

Hofmetzgerei Höfermühle: Fleisch und Wurst online kaufen

Fleisch und Wurst online kaufen? Es gibt doch immer noch Metzger in vielen Gemeinden, die selbst schlachten und das Fleisch selbst verarbeiten. „Eben nicht“, sagt Alfons Gierl, Metzgermeister, Fleischsommelier und Inhaber der Hofmetzgerei Höfermühle aus Geiersthal im Bayerischen Wald. „Es gibt kaum noch Metzger mit eigener Schlachtung, am ehesten noch in Bayern, aber in anderen Teilen Deutschlands haben die meisten aufgegeben“, berichtet Gierl. Entsprechend hoch ist die Nachfrage nach hausgemachten Wurstspezialitäten und Fleischwaren. Bei Alfons Gierl gibt es das alles nicht nur im Hofladen, sondern auch online.

Ob T-Bone-Steak vom Bayerwald-Ochsen, marinierte Schweinesteaks für den Grillabend oder hausgemachte Leberknödel: Rund ein Drittel seines Umsatzes – alles im sechsstelligen Bereich – macht Gierl mit seinem Online-Shop. „Wir verschicken nach ganz Europa, von Polen bis Sizilien“, berichtet der Metzgermeister. Die Rinder stammen aus der eigenen Landwirtschaft, die Schweine kommen von einem Betrieb aus der Nähe. Geschlachtet wird immer montags auf dem Hof nach modernsten hygienischen Standards. So kann Gierl nicht nur das Tierwohl garantieren, sondern auch die hohe Qualität seiner Produkte. Der Zeitschrift „Feinschmecker“ war das schon mehrfach eine Auszeichnung wert.

Die ersten Schritte im Online-Versand machte Gierl 2006. „Wir haben das einfach mal ausprobiert und Geräuchertes über Ebay verkauft. Der Erfolg war so durchschlagend, dass wir sehr schnell einen eigenen Online-Shop aufgebaut haben. Kurz darauf wurde auch schon das Bayerische Fernsehen auf uns aufmerksam und hat darüber berichtet“, erzählt Gierl. Innerhalb kürzester Zeit gingen die Zugriffszahlen durch die Decke. Weil die Ware in jedem Fall gekühlt beim Empfänger ankommen muss, verschickt Gierl sie in isolierten Kartons mit wiederverwendbaren Kühlakkus. „Das funktioniert sehr gut“, sagt der Metzgermeister.

Bald geht auch die neu gestaltete Webseite online. Gierl erhofft sich viel davon: „Unser Online-Shop wächst kontinuierlich. Mehr und mehr bestellen zum Beispiel auch ältere Leute bei uns, die nicht mehr so gut zu Fuß sind, aber auf ihre gewohnte Fleisch- und Wurstqualität nicht verzichten wollen.“ Zusätzlich hat Gierl beobachtet, dass sich viele Menschen in der Corona-Krise wieder auf den Wert hochwertiger, handwerklich hergestellter Lebensmittel besonnen haben und dafür weniger Industrieprodukte kaufen. Dem Metzgermeister kann das nur recht sein: „Corona war der absolute Booster für unseren Online-Shop.“

Fast alle Produkte lassen sich online verkaufen

„Dieses Beispiel zeigt anschaulich, dass auch Produkte für den Online-Vertrieb infrage kommen, die lange als ungeeignet galten, zum Beispiel weil sie verderblich sind“, sagt der Wissenschaftler Carsten Bartsch. Doch das ist vorbei, selbst Gartenpflanzen kommen heute per Post. „Der Online-Vertrieb von handwerklich hergestellten Produkten ist ein Wachstumsmodell“, urteilt Bartsch. Denkbar sei auch, dass sich mehrere Hofläden zusammenschließen und ihre Produkte gemeinsam auf einer Online-Plattform vertreiben. „Dann können die Kunden dort nicht nur Wurst und Fleisch kaufen, sondern auch Käse, frisches Brot, Gemüse oder andere landwirtschaftliche Produkte. Davon profitieren nicht nur die Kunden, sondern auch die Hersteller, weil sie sich durch die vielfältigere Auswahl gegenseitig neue Kunden zuführen.“

Kuchentratsch: Mit Backmischungen die Backstube retten

Omas und Kuchen – für Katharina Mayer gehört beides einfach zusammen. Deshalb gründete sie im April 2014 im Alter von 24 Jahren „Kuchentratsch“. Herzstück des sozialen Start-ups ist die Backstube in München, in der Seniorinnen ihren „Omakuchen“ backen. Die Kuchen werden über die Webseite von Kuchentratsch vertrieben und per Post verschickt oder in München von den „Lieferomas und -opas“ ausgefahren. Die Omas backen dabei nicht am Fließband, sondern jeden Kuchen einzeln, von Hand und in ihrem Namen. Sie arbeiten in ihrem persönlichen Tempo und backen ihren Kuchen so, wie sie ihn am liebsten mögen.

Ziel von Kuchentratsch ist es, das Leben im doppelten Sinn durch guten Kuchen lebenswerter zu machen. Denn die Omas und Opas gehen einer sinnstiftenden Tätigkeit nach, sind Teil einer Gemeinschaft und können ihre Backleidenschaft ausleben. Gleichwohl ist Kuchentratsch ein wirtschaftlich agierendes Unternehmen. Das heißt, der Betrieb finanziert sich ohne fremde Unterstützung allein über den Verkauf von Kuchen und Backmischungen an Firmen, Cafés und Privatkunden.

Schon aus diesem Grund war die Corona-Pandemie eine Katastrophe für Kuchentratsch, denn Katharina Mayer entschied sich dazu, die Backstube vorläufig zu schließen, um die Omas und Opas keinem Gesundheitsrisiko auszusetzen. Fast zeitgleich brachte Kuchentratsch die Backmischungen für „Oma Annas Schokokuchen“ und „Oma Helgas Zitronenkuchen“ auf den Markt. Auch sie gibt es auf der Webseite zu kaufen. Damit kommt Kuchentratsch zumindest auf rund ein Drittel des sonst üblichen Umsatzes. „Das hat uns über die Corona-Zeit gerettet. Die Backmischungen haben die Backstube erhalten“, sagt Theresa Offenbeck, die sich bei Kuchentratsch um das Marketing kümmert.

Die Idee zu den Backmischungen entstand im vergangenen Jahr. Einmal in der Woche gibt es bei Kuchentratsch einen Lesezirkel, in dem sich die Mitarbeiter über ein Kapitel eines Business-Ratgebers austauschen. „Dort haben wir gelernt, dass man im Vertrieb immer einen Plan B in der Hinterhand haben sollte, falls es Probleme gibt. Das haben wir beherzigt“, berichtet Offenbeck. „Unser größter Schatz sind die Rezepte unserer Omas. Also haben wir überlegt, was wir aus diesem Schatz noch machen können“, erzählt sie. Bald kristallisierte sich der Plan heraus, aus den Rezepten Backmischungen abzuleiten. So kommen auch Menschen in den Genuss von Omakuchen, die im Backen nicht so bewandert sind. Das Feedback der Kunden ist positiv. „Viele sind richtig begeistert und schreiben uns, dass der Kuchen tatsächlich schmeckt wie bei Oma“, berichtet Offenbeck.

Ab September soll es auch Omas Käsekuchen, Obstkuchen und den beliebten Karottenkuchen als Backmischung geben. Diese werden von einem externen Dienstleister abgefüllt. So sei die Produktion besser skalierbar. Denn das Ziel von Kuchentratsch ist es, die Backmischungen deutschlandweit auch in Supermärkten zu vertreiben. In einigen regionalen Märkten gibt es diese bereits zu kaufen. Klappt der Sprung auf die große Bühne, kommt das den Omas und Opas zugute, denn der Gewinn fließt zu 100 Prozent zurück in die Backstube. „Ich hoffe sehr, dass es funktioniert. Das wäre eine schöne Bestätigung dafür, dass es sich lohnt, nicht nur auf ein Pferd zu setzen“, sagt Offenbeck.

Aus gleichen Zutaten wird ein neues Produkt

„Das Beispiel Kuchentratsch zeigt sehr schön, wie man aus bestehenden Grundzutaten ein neues Produkt kreiert und sein Angebot auf diese Weise relativ einfach diversifiziert“, lobt Wissenschaftler Carsten Bartsch. Außerdem erzähle Kuchentratsch tolle, emotionale Geschichten, mit denen sich die Kunden identifizieren können. „Es ist ein großer Unterschied, ob ich einen einfachen Schokokuchen kaufe oder eben Oma Annas Schokokuchen. Da habe ich beim Nachmittagskaffee gleich was zu erzählen und der Kauf wird zum Erlebnis“, sagt Bartsch.

Gutekunst: Gemüsekisten für den Grillabend

Auch für Gutekunst Obst und Gemüse war der Corona-Lockdown eine harte Zeit. Das Unternehmen aus Starnberg beliefert rund 100 bis 130 Gastronomen und Großkunden wie Altenheime im Münchner Süden mit frischem Obst und Gemüse von Produzenten aus der Region oder von der Münchner Großmarkthalle. Doch mit dem Beginn der Corona-Krise war alles anders. „Über Nacht sind uns 85 Prozent unseres Umsatzes weggebrochen. Mein erster Gedanke war: Was können wir machen, um den Umsatzeinbruch zumindest im Ansatz auszugleichen, damit wir niemanden entlassen müssen?“, erzählt Gutekunst.

Freunde schlugen dem Unternehmer vor, einen Online-Shop zu eröffnen und Obst und Gemüse an Privatkunden zu verkaufen. Gutekunst setzte die Idee zusammen mit einem Mitarbeiter, der sich mit der Programmierung von Webseiten auskennt, innerhalb von 48 Stunden um. Sie erstellten eine komplett neue Webseite und bewarben das Angebot auf Facebook. Seitdem können Privatkunden unter „Gutekunst bringt’s“ die bunte Frucht- und Obstkiste, die Premium-XXL-Familienkiste oder die Grillgemüse-Kiste für den perfekten Grillabend bestellen.

„Der Online-Shop und der Vertrieb der Gemüsekisten werden gut angenommen. Innerhalb von kurzer Zeit hat sich ein kleiner Kreis an Stammkunden herausgebildet“, berichtet Gutekunst. Die Lieferung wird in die normale Tourenplanung integriert, sodass auch die Privatkunden spätestens 24 Stunden nach der Bestellung ihr Obst und Gemüse frei Haus erhalten. Vor allem ältere Menschen nutzen dieses Angebot, aber auch Angestellte, die im Homeoffice arbeiten und sich mittags selbst versorgen. „Für sie ist unser Angebot sehr praktisch, weil sie sich um nichts kümmern müssen“, sagt Gutekunst. Zehn Prozent seines Umsatzes macht er inzwischen mit den Gemüsekisten. „Es ist immer gut, ein zweites Standbein zu haben. Außerdem hilft es nichts, die Hände in den Schoß zu legen und zu jammern. Wer akribisch nach neuen Lösungen sucht, der wird auch fündig. Ein bisserl was geht immer“, sagt Gutekunst.

Ein Vertriebskanal ist zu wenig

„Das Konzept, Gemüsekisten an Privatkunden zu liefern, ist nicht neu, aber es funktioniert“, kommentiert Carsten Bartsch. „Vor allem zeigt dieses Beispiel, dass man mit etwas Fantasie und Engagement in kurzer Zeit neue Vertriebswege erschließen kann.“ Der Wunsch vieler Verbraucher nach regionalen Produkten mache solche Vertriebsansätze nochmal attraktiver. „Zusammen mit passenden Partnern lässt sich das prima ausbauen“, meint Bartsch. Interessant sei auch die individuelle Zusammenstellung von Produkten nach bestimmten Kundenbedürfnissen, wie es Gutekunst mit seiner Grillgemüse-Kiste vormache.

Plattformen wie „Hello Fresh“ haben dieses Geschäftsmodell zur Perfektion getrieben. Dort können die Kunden wöchentlich individuelle Rezepte für mehrere Mahlzeiten auswählen. Nach diesen Rezepten werden die Zutaten grammgenau zusammengestellt und mit der Kochbox nach Hause geliefert. „Die Kunden müssen sich um nichts kümmern, deshalb sind solche Zusatzleistungen attraktiv – und sie entsprechen dem Trend, dass Produkt und Service verschmelzen. Unternehmen werden zu Problemlösern – sogar beim Abendessen“, sagt Bartsch.

Grundsätzlich ist dem Professor eine Botschaft wichtig: Ein einziger Vertriebsweg ist im Zeitalter von Omnikanal-Modellen und digitalen Plattformen zu wenig. Das Beispiel Karstadt zeige, was passiere, wenn ein Unternehmen zu lange auf seinem angestammten Geschäftsmodell beharre. Bartsch: „Jedes Unternehmen, egal ob groß oder klein, sollte sich ehrlich fragen, ob sein Vertrieb noch zeitgemäß ist. Wer sich nicht traut, neue Wege zu gehen, wird früher oder später von der Konkurrenz abgehängt und obsolet gemacht.“

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