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Herr Professor Fietze, 80 Prozent der deutschen Arbeitnehmer schlafen entweder zu kurz, nicht mehr gut oder schlecht, schreiben Sie in Ihrem Buch „Die übermüdete Gesellschaft“. Woran liegt das?

Ingo Fietze: Die Ursachen sind vielfältig. Sofern sie individueller Natur sind, können wir ihnen gegebenenfalls zu Leibe rücken, indem wir unseren ungesunden Lebensstil umstellen, etwa den übermäßigen Konsum von Alkohol, Nikotin oder Medikamenten, Schlafentzug durch Smartphone oder Tablet, Bewegungsmangel und falsche Ernährung. Hinzu kommen psychosoziale Ursachen: Leistungsdruck, Stress, Doppelbelastung durch Beruf und Familie, Lärm und Lichtverschmutzung, soziale Probleme, Existenzsorgen, Schichtarbeit und zunehmende Arbeitsüberlastung. Das sind Faktoren, die der Einzelne kaum beeinflussen kann. Hier sind Arbeitgeber, Gewerkschaften und Gesundheitspolitiker gefragt, um die notwendigen Rahmenbedingungen für Veränderungen zu schaffen.


Warum ist es überhaupt wichtig, ausreichend zu schlafen?

Fietze: Gesunder Schlaf ist elementar für das Gehirn, für das Gedächtnis, für das Gemüt, für die Regeneration von Haut, Knochen und Muskeln und für das Immunsystem. Trotz hoher medialer Aufmerksamkeit wird schlechter Schlaf als Risikofaktur für die eigene Gesundheit, den Arbeitsplatz und die Gesellschaft immer noch völlig unterschätzt. Dabei hat die Weltgesundheitsorganisation Schlafmangel bereits als eine der größten Gesundheitsgefahren des 21. Jahrhunderts ausgemacht. Schlechter Schlaf hat nicht nur für den Betroffenen, sondern für die ganze Gesellschaft weitreichende Konsequenzen. Jeder Einzelne kann davon in Mitleidenschaft gezogen werden, etwa durch einen müdigkeitsbedingten Unfall. Zudem haben wir heute viel mehr Informationen und Eindrücke zu verarbeiten als die Menschen noch vor wenigen Jahrzehnten. Diesen Mehrbedarf an Hirntätigkeit müssen wir durch ausreichende und effektive Regenerierung kompensieren. Also brauchen wir den gesunden, erholsamen Schlaf heute mehr denn je.
 

Lässt sich das Schlafdefizit der vergangenen Monate im Urlaub aufholen?

Fietze: Im Urlaub mal so richtig ausschlafen funktioniert nur zu einem geringen Teil und auch nur in den ersten drei bis vier Nächten. Danach schlafen wir auch in den Ferien nur noch so lange wie gewöhnlich, weil sich die sogenannte Wohlfühlschlafmenge einstellt. Ab diesem Zeitpunkt sollte man so lange schlafen, wie der Körper Schlaf braucht.

„Im Urlaub mal so richtig ausschlafen funktioniert nur zu einem geringen Teil und auch nur in den ersten drei bis vier Nächten.“

Bei vielen Stunden liegt die Wohlfühlschlafmenge?

Fietze: Abhängig von der Person liegt die Wohlfühlschlafmenge bei sieben bis achteinhalb Stunden. Die Mindestschlaflänge sollte wie auch im Nicht-Urlaub sechs Stunden betragen, dann aber mit Mittagsschlaf.


Ist ein Mittagsschlaf immer sinnvoll?

Fietze: Unbedingt, wenn man auch im Urlaub zu kurz schläft. Wenn man aber wegen des Mittagsschlafs nachts nicht gut schlafen kann, dann sollte man ihn lieber vermeiden.


Wann sollte man im Urlaub ins Bett gehen?

Fietze: Gute Schläfer dürfen sündigen und die Bettzeit dem Nachtleben anpassen. Sie werden auch danach noch gut schlafen, wenngleich nicht mit der Schlafqualität, die man nachts hat. Für alle anderen gilt: Vier bis fünf Mal pro Woche sollte man regelmäßig vor Mitternacht zu Bett gehen. Zwei bis drei Mal pro Woche sind Ausnahmen möglich. Die beste Einschlafzeit liegt zwischen 22 und 24 Uhr, weil der Körper in dieser Zeit allmählich sämtliche Funktionen herunterfährt und die Schlafhormone das Kommando übernehmen. Beim Aufwachen empfehle ich, die Bettzeit maximal auszunutzen und sich von hellem weißem Licht oder Sonnenlicht oder dem gewöhnlichen akustischen Wecker wach machen zu lassen. Das sogenannte Snoozen, bei dem der Wecker in bestimmten Intervallen an- und wieder ausgeht, in denen man wieder für einige Minuten einschlummert, bringt aus schlafmedizinischer Sicht nichts.

Buch-Tipps für einen gesunden Schlaf

Ingo Fietze, Die übermüdete Gesellschaft (Rowohlt)

Rund 80 Prozent aller deutschen Arbeitnehmer leiden an Schlafstörungen – die meisten schaffen sich ihr Leid selber: zu spätes Zubettgehen, zu frühes Aufstehen, zu viel Internetaktivität im Schlafzimmer, zu viel Arbeits-Mails-Checken nach Feierabend. Die wenigsten sehen darin eine ernsthafte Gefahr. Doch diese Verhaltensweisen machen aus gelegentlichen Schlafstörungen chronische – und den Menschen krankheitsanfällig, depressiv, dick und unkonzentriert. Wieso glauben Millionen Deutsche, dass gesunder Schlaf nicht ebenso wichtig ist wie eine gesunde Ernährung, wie Sport, wie der Verzicht auf Rauchen? Wieso denken zu viele sogar, dass wenig Schlaf ein Zeichen besonderer Leistungsfähigkeit ist? Welche Folgen wird es für unsere ganze Gesellschaft haben, wenn nicht bald ein Bewusstsein dafür geschaffen wird, dass die Schlafstörung eine der großen bedrohlichen Volkskrankheiten unserer Zeit ist? Prof. Dr. Ingo Fietze berichtet in seinem Buch „Die übermüdete Gesellschaft. Wie Schlafmangel uns alle krank macht“ (Rowohlt) über den alarmierend sorglosen Umgang mit einem unterschätzten Gesellschaftsproblem.

Ingo Fietze, Über guten und schlechten Schlaf (Kein & Aber)

Schlaf ist zentral für die Erholung, das Gedächtnis, das Wachstum, das Gehirn und das Immunsystem – und schlafen ist auch einfach schön! Dennoch kommt der Schlaf in unserer Leistungsgesellschaft bei vielen zu kurz. Prof. Dr. Ingo Fietze beschäftigt sich an der Berliner Charité seit vielen Jahren mit dem menschlichen Schlafverhalten und dessen Störungen. In seinem eBook „Über guten und schlechten Schlaf“ (Kein & Aber) erklärt er alle wichtigen Fakten und Phänomene zum Thema Schlaf, er berichtet zudem von Insomnie, Schlafwandel und anderen Krankheitsbildern, und erklärt deren Ursachen und mögliche Behandlungsmethoden. Über guten und schlechten Schlaf ist eine Sammlung häufiger, seltener und skurriler Fälle aus der Praxis, enthält zugleich außergewöhnliche Fakten und vermag uns vieles rund um das Thema Schlaf zu erklären.

Till Roenneberg, Das Recht auf Schlaf (dtv)

Wer mit dem Wecker aufwacht, hat nicht zu Ende geschlafen… wie eine Waschmaschine, die ihr Waschprogramm nicht beendet hat. Schlaf ist der Boxenstopp für unser Gehirn, in dieser Zeit werden viele wichtige „Arbeiten“ erledigt. Und dafür braucht der Körper seine Zeit. Der Münchner Professor Till Roenneberg erklärt in seinem Buch „Das Recht auf Schlaf. Eine Kampfschrift für den Schlaf und ein Nachruf auf den Wecker“ (dtv), was im Schlaf mit unserem Körper passiert, was wir aus der Betrachtung von Schlaf in anderen Kulturen und zu anderen Zeiten lernen können, inwiefern die innere Uhr fast alle Vorgänge des Körpers beeinflusst und welche Möglichkeiten wir haben, unseren individuellen Schlaf zu verbessern. Eine neue Theorie zur Entstehung der Träume und eine Antwort auf die Frage, ob wir lieber mit offenen oder geschlossenen Vorhängen schlafen sollten: auch darum geht es in „Das Recht auf Schlaf“.

Matthew Walker, Das große Buch vom Schlaf (Goldmann)

Warum schlafen so wichtig ist: Prof. Dr. Matthew Walker, Direktor des Schlaflabors der UC Berkeley, teilt in seiner Abhandlug „Das große Buch vom Schlaf. Die enorme Bedeutung des Schlafs. Beste Vorbereitung gegen Alzheimer, Krebs, Herzinfarkt und vieles mehr“ (Goldmann) seine bahnbrechenden Forschungserkenntnisse und verdeutlicht die enorme Wirkung der Nachtruhe. Denn Schlaf ist einer der wichtigsten und zugleich unterschätztesten Aspekte eines gesunden, langen und glücklichen Lebens. Der richtige Schlaf macht uns klüger, attraktiver, schlanker, beugt Krebs und Demenz vor, stärkt das Immunsystem und verringert das Risiko für Herzinfarkt und Diabetes.

Kann man eigentlich auch zu viel schlafen?

Fietze: Wenn man wach wird, weil man ausgeschlafen hat, sollte man aufstehen. Wer dann im Bett liegen bleibt und noch döst beziehungsweise nur oberflächlich schläft, läuft Gefahr, sich den Erholungseffekt der Nacht zu vermiesen. Gut schlafen kann man eigentlich nicht zu viel. Der oberflächliche Schlaf gehört nicht zum guten Schlaf.


Wann ist Schlaf erholsam?

Fietze: Wenn man morgens erfrischt aufwacht und tagsüber nicht schläfrig wird.


Vor allem in südlichen Ländern kann es im Urlaub auch nachts recht warm sein. Wie warm oder kalt sollte es im Schlafzimmer sein?

Fietze: Darüber scheiden sich die Geister. Das zeigt, dass die ideale Wohlfühltemperatur beim Schlafen individuell verschieden ist, also die Temperatur, bei der man weder friert noch schwitzt. Die meisten Experten sind sich einig, dass die optimale Schlafzimmertemperatur zwischen 17 und 21 Grad Celsius liegt. Eine Temperatur über oder unter dieser Spanne kann sich störend auf den Schlaf auswirken. Mit höherer Temperatur schläft es sich schlechter, diese Erfahrung macht jeder von uns in heißen Sommernächten. Andererseits ist es auch wichtig, nachts nicht auszukühlen. Daher plädiere ich für eine bequeme, wärmende Zudecke sowie für Schlafanzug oder Nachthemd und bei Bedarf sogar für eine Schlafmütze – ein an sich vom Aussterben bedrohtes Utensil. Sie empfiehlt sich für Frischluftschläfer, die gern bei kalter Zimmertemperatur schlafen.


Wie unterschiedlich ist das Schlafverhalten der Menschen?

Fietze: Das kommt darauf an, worauf man das Augenmerk richtet. Alle Menschen schlafen nachts am besten – besonders dann, wenn sie vor Mitternacht ins Bett gehen. Alle brauchen zum Schlafen Ruhe, Dunkelheit und einen guten Schlafkomfort. Unterschiedlich sind hingegen die Schlafdauer, die zwischen sechs und neun Stunden liegt, die Einschlafrituale und die Betten. In manchen Gegenden schlafen die Menschen auch noch in Etappen, zum Beispiel zwei Stunden am Abend, dann sind sie zwei Stunden wach, dann folgen sechs Stunden Restschlaf.


Warum müssen wir überhaupt schlafen?

Fietze: Das wissen wir heute sehr gut. Es hängt mit der Entwicklung unseres Zentralnervensystems zusammen. Die Anhäufung von Nervenzellen und deren hoher Energieverbrauch sowie die begrenzten neuronalen Ressourcen erfordern es, dass unser Gehirn zwischen den Wachphasen eine Pause braucht. In dieser Pause, die wir Schlaf nennen, regeneriert sich das Gehirn und formieren sich das Nervennetzwerk und die Mikrostruktur neu. Dabei trennt es sich von unnützen Eindrücken und Informationen, speichert nützliche, macht Platz für neue Informationen und geistige Herausforderungen am nächsten Tag und entsorgt mittels des glymphatischen Systems sogenannte Stoffwechselabbauprodukte. Das glymphatische System befindet sich in den Zwischenräumen des Gehirns und ist ähnlich dem Lymphsystem für den Abtransport von schädlichem und überflüssigem Material zuständig.

„Jeder sollte wissen, dass man nach einer Nacht mit sechs oder noch weniger Stunden Schlaf nicht zur Höchstform auflaufen kann.“

Ist Schlafdefizit ein Gesundheitsrisiko?

Fietze: Jeder sollte wissen, dass man nach einer Nacht mit sechs oder noch weniger Stunden Schlaf nicht zur Höchstform auflaufen kann und Unachtsamkeit, Konzentrationsschwäche sowie mangelnde Geschicklichkeit und Schnelligkeit die Folge sind. Schlafstörungen und Schlafdefizite verursachen zahllose grobe Fehler, falsche Entscheidungen sowie Haushalts- und Verkehrsunfälle. Das ist auch eine Gefahr für andere und für die Gesellschaft. Krank machen akute Schlafstörungen und akute Schlafdefizite aber erst, wenn sie chronisch werden. Erstaunlicherweise spiegeln sich Schlafprobleme bislang nicht in weltweiten Erhebungen zu Gesundheit und Krankheit wider.


Helfen Apps dabei, richtig zu schlafen?

Fietze: Sie können helfen, die Schlafdauer zu ermitteln. Menschen schlafen gesund, wenn sie am Ende einer Woche auf rund 56 Stunden Schlaf kommen, also sieben mal acht Stunden.

Können Sie ein Einschlafritual empfehlen?

Fietze: Die Vorbereitung auf den Schlaf beginnt bereits eine halbe Stunde vor dem Zubettgehen mit einem individuell abgestimmten Programm, das zur Gewohnheit werden sollte. Laut Umfragen gehört das Lesen eines Buchs noch vor dem Fernsehschauen zu den wichtigsten Einschlafritualen. Beliebt sind auch Entspannungstechniken, Musikhören, Schlaftrunk und Schäfchenzählen. Eine Grundvoraussetzung für den erholsamen Schlaf ist das abendliche Abschalten von der Arbeit und allen Verpflichtungen und nervenden Gedanken. Früher sagte man, man solle sich aufschreiben, was man alles erlebt hat. Heute meint die Wissenschaft, statt Resümee zu ziehen, sei es besser, eine To-do-Liste für den nächsten Tag zu erstellen. Danach schläft es sich ruhiger. Denn was man zu Papier gebracht hat, spukt einem nicht länger im Kopf herum. Deshalb ist es gut, immer ein Notizbuch griffbereit auf dem Nachttisch liegen zu haben. Wichtig ist, dass man seine Gewohnheiten regelmäßig pflegt. Abendliche Routinen sind deutlich effektiver als das einmal pro Woche angewendete Einschlafritual.


Wie ist es mit Sport vor dem Einschlafen?

Fietze: Auch der sportliche Ausgleich am frühen Abend kann zur Besserung der Schlafqualität beitragen. Beim Sport wird Adenosin freigesetzt, einer der Schlafstoffe. Nur das intensive Training sollte man vor dem Zubettgehen meiden, das ist meist kontraproduktiv. Im Übrigen hilft Sport für einen guten Schlaf nur dann, wenn man ihn regelmäßig betreibt, am besten fünf- bis sechsmal in der Woche. Wenn man sich nur selten dazu aufraffen kann, ist der Sport für den Schlaf wirkungslos.


Wenn Sie die wichtigsten Faktoren für einen wohltuenden Schlaf noch einmal zusammenfassen: Welche sind dies?

Fietze: Regelmäßige Schlafzeiten, das Bett nur zum Schlafen nutzen, vor dem Zubettgehen kein Konsum von Koffein, Alkohol und Nikotin, keine Internetaktivitäten und kein Arbeitsmail-Checken vor dem Einschlafen. Mehr Sport treiben und versuchen, Stress lange vor der Schlafenszeit aus dem Weg zu gehen. Dann klappt es hoffentlich mit dem erholsamen Schlaf – im Urlaub genauso wie im Alltag.


Herr Professor Fietze, vielen Dank für das Interview!

Prof. Dr. Ingo Fietze, geboren 1960, ist Oberarzt für Innere Medizin und als Schlafmediziner und Schlafforscher Leiter des Interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrums an der Berliner Charité. Er gehörte viele Jahre zum Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin und ist jetzt Vorsitzender der Deutschen Stiftung Schlaf. In seinem aktuellen Buch „Die übermüdete Gesellschaft. Wie Schlafmangel uns alle krank macht“ (Rowohlt) geht Fietze den Ursachen für Schlafstörungen auf den Grund und gibt Tipps, wie wir besser schlafen können.

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