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„Der Weg von zielgerichteten Entlastungen und verhältnismäßiger Regulierung sollte fortgesetzt werden“

Markus Ferber (CSU), Sprecher des Parlamentskreises Mittelstand im Europäischen Parlament und Koordinator der EVP-Fraktion im Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments:

„Die Europäische Kommission von Ursula von der Leyen hatte eine schwierige erste Hälfte ihrer Amtszeit: Zunächst hat die Covid-Krise die europäische Wirtschaft hart getroffen und die europäische Politik in den Krisenmodus versetzt, nun erleben wir mit dem russischen Angriffskrieg die nächste Krise. Trotz der schwierigen Begleitumstände fällt die Zwischenbilanz der Von-der-Leyen-Kommission bestenfalls gemischt aus.

Während der Covid-Krise hat die Europäische Kommission schnell und entschlossen reagiert und mit der Aufbau- und Resilienzfazilität ein europäisches Konjunkturpaket auf den Weg gebracht. In der Pandemie war von Anfang an klar, dass sich die wirtschaftlichen Implikationen der Krise nur gemeinsam und in Kooperation mit dem Bankensektor bewältigen lassen werden. Deswegen war es richtig, dass die Europäische Kommission mit zielgerichteten Anpassungen an der Eigenkapitalverordnung („CRR Quick Fix“) und der Finanzmarktrichtlinie MiFID II, für die ich Berichterstatter des Europäischen Parlaments sein durfte, kurzfristig Entlastungen auf den Weg gebracht hat.

Der Weg von zielgerichteten Entlastungen und verhältnismäßiger Regulierung sollte auch in Zukunft fortgesetzt werden. Das wichtigste Projekt in diesem Zusammenhang ist definitiv die Umsetzung des Finalisierungspakets zu Basel III. Die ursprüngliche Einigung von 2017 aus dem Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht war aus europäischer Sicht enttäuschend und wird eher den Interessen des US-Bankensektors als jenen des europäischen Bankensektors gerecht. Entsprechend braucht es eine europäische Umsetzung mit Augenmaß. Die Vorschläge der Europäischen Kommission greifen einige der europäischen Besonderheiten bereits auf, gehen an vielen Stellen aber noch nicht weit genug. Hier gäbe es noch mehr Spielraum für zielgerichtete Anpassungen und mehr Verhältnismäßigkeit.

„Nachhaltige Finanzierung: Was einst als Transparenzprojekt geplant war, ist zu einem hochkomplexen Bürokratiemonster geworden.“

Das gilt auch für die politische Agenda im Bereich der nachhaltigen Finanzierung. Was einst als Transparenzprojekt geplant war, um Anlegern Investitionsentscheidungen in nachhaltige Produkte zu erleichtern, ist inzwischen zu einem hochkomplexen Bürokratiemonster geworden, das gerade kleinere Banken vor große Herausforderungen stellt. Hinzu kommt, dass viele Mitgliedsstaaten – darunter auch Deutschland – neben den europäischen Regeln auch nationale Vorgaben im Bereich der nachhaltigen Finanzierung machen. Hier wäre es eigentlich an der Europäischen Kommission, für eine bessere Koordinierung der nationalen und europäischen Maßnahmen zu sorgen, um Widersprüche und Doppelregulierung zu vermeiden.

Neben der Umsetzung des Basel-Implementierungspakets und der Maßnahmen im Bereich nachhaltige Finanzierung plant die Europäische Kommission in dieser Legislaturperiode auch eine Kleinanlegerstrategie, die voraussichtlich im nächsten Jahr vorgestellt werden soll. Dies wäre eine gute Gelegenheit, die konkurrierenden und teils widersprüchlichen Verbraucherschutzregeln, die sich aus Dossiers wie MiFID II, der PRIIPS-Verordnung und der Versicherungsvermittlerrichtlinie IDD ergeben, anzugehen. Ein einheitlicher Ansatz würde sowohl die Anlageberatung für Banken vereinfachen als auch dem Kunden das Verständnis der Produkte und damit die Anlageentscheidung erleichtern. Am Ende geht es nämlich nicht um den Umfang, sondern um die Aussagekraft der dem Kunden zur Verfügung gestellten Informationen. Hier hat die Kommission also noch eine echte Chance, etwas zu erreichen, was gleichermaßen Kleinanlegern wie Banken nutzen würde. Sie sollte von dieser Möglichkeit Gebrauch machen.“

„Landwirte brauchen langfristig Planungssicherheit“

Ulrike Müller (Freie Wähler), Mitglied im Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung sowie im Petitionsausschuss des Europäischen Parlaments:

„Die Arbeit der EU-Kommission halte ich zur Halbzeit für sehr durchwachsen. Ursula von der Leyen kündigt gerne Großes an. Die konkrete Umsetzung lässt dann auf sich warten oder ist mehr Fassadenarbeit als Kernsanierung. Hinzu kommt ein leichtfertiger Umgang mit dem Budget: Sie gibt Geld aus, das eigentlich nicht da ist, und kündigt große Finanzierungsprogramme an, ohne dass dafür eigene Mittel vorhanden wären. Schulden gehen zulasten künftiger Generationen, oder es werden Gelder aus anderen Budgetlinien abgezogen, die dort dringend benötigt werden.

Nehmen wir ganz aktuell den REPowerEU-Plan: Damit sollen Mitgliedsstaaten künftig Gelder für Regionalentwicklung und Landwirtschaft umverteilen können, um die Energieabhängigkeit von Russland zu verringern. Das ist richtig unausgegoren, und ich sehe das sehr kritisch. Die Agrargelder sind verplant in ländlichen Räumen und bei Zahlungen für die Landwirte. Als Verhandlungsführerin für die neue Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) habe ich mich sehr für zukunftsfähige Lösungen eingesetzt. Diese Kompromisse zu erreichen war langwierig und komplex. Landwirte brauchen langfristig Planungssicherheit, sie müssen sich auf die EU verlassen können. Der Vertrauensverlust wird immens sein, wenn wir ihnen in so schwierigen Zeiten die Planungsgrundlage aufweichen.

Die Ernährungskrise infolge des Ukraine-Kriegs zeigt doch, wie wichtig die heimischen Bauern sind. Im Kontext dieser veränderten geostrategischen Situation beschäftigt sich die Kommission zu wenig mit der Machbarkeit der verschiedenen Green Deal-Initiativen, insbesondere bezüglich der Ernährungssicherheit. Stattdessen führen unausgegorene Gesetze dazu, dass Bauern aufhören, weil sie noch weniger verdienen als zuvor schon.

„Die lokale Landwirtschaft garantiert unsere Versorgung, und die Politik muss sie entsprechend wertschätzen und fördern.“

Von einer Institution wie der Kommission kann man – zum Beispiel bei der Farm to Fork-Strategie – praktisch umsetzbare Strategien auf Basis solider, auf die möglichen Gesetzesfolgen geprüfter Grundlagen erwarten, die Mehrwert für Umwelt, Bauern und Verbraucher schaffen. Die Strategie aber hat ungeprüfte, rein politische Ziele formuliert, deren Umsetzbarkeit immer noch in den Sternen steht. Die lokale Landwirtschaft garantiert unsere Versorgung, und die Politik muss sie entsprechend wertschätzen und fördern. Alles andere ist schlichtweg nicht zufriedenstellend.

Mit Blick auf die Regionalbanken sollte das europäische Rahmenwerk für die Bankenregulierung für kleinere Institute angepasst werden. Die einheitliche Regulierung benachteiligt kleinere Banken und kann ihr Bestehen auf lange Sicht infrage stellen. Dies gefährdet das dezentrale deutsche Bankensystem, von dem vor allem kleine und mittelständische Unternehmen profitieren. Es gibt eben keine „One size fits all“-Lösung. Kleine Banken brauchen andere Ansätze, das gilt auch für KMU im Gegensatz zu großen Unternehmen.

Ich hoffe, dass die Kommission am sogenannten Mittelstandsfaktor (KMU-Faktor) für kleine und mittlere Unternehmen festhält. Wir brauchen Ausnahmeregelungen bei der Umsetzung der Basel III-Reform auf EU-Ebene, um die KMU nicht zu gefährden. Denn mit der Reform des regulatorischen Rahmens für Banken durch das finalisierte Basel III-Paket könnten weitere Nachteile für KMU entstehen. Der Mittelstandsfaktor erleichtert bislang kleinen und mittleren Unternehmen den Zugang zu Finanzierungen, weil die Banken KMU-Kredite mit weniger Eigenkapital unterlegen müssen.

Auch die Anforderungen der EU-Taxonomie sollten für KMU Sonderregelungen vorsehen. Dieses Klassifizierungssystem bewertet Aktivitäten von Unternehmen hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit und ist Teil des Aktionsplans der vorherigen EU-Kommission zur Finanzierung von nachhaltigem Wachstum. Der Fokus liegt auf großen Firmen, dennoch könnten künftig auch KMU unter 250 Mitarbeitern, zum Beispiel Zulieferer, von den neuen Regelungen betroffen sein. Gerade Berichterstattungspflichten und Nachhaltigkeitsnachweise bringen immer einen immensen Bürokratieaufwand mit sich.

Die Entscheidungen rund um die Taxonomie sind in Deutschland schwer umzusetzen, und im Ausland werden wir belächelt. Andere Länder verabschieden sich leichter von den Verbrennungsmotoren, weil sie Atomstrom haben. Frankreich will sich über die Taxonomie-Finanzierung die Modernisierung seiner Atomkraftwerke bezahlen lassen. Dass das von der Kommission als sinnvoll angesehen wird, kann ich nicht teilen.“

„Europa muss sich dringend auf den Weg zum ersten klimaneutralen Kontinent machen“

Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen), Vorsitzender des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union des Deutschen Bundestags:

„Es sind große Herausforderungen, mit denen Ursula von der Leyens Kommission in ihrer bisherigen Amtszeit konfrontiert ist. Die Klimakrise verschärft sich weiter. Die extremen Auswirkungen zeigen sich überall auf der Welt, auch in den europäischen Staaten. Europa muss sich daher dringend auf den Weg zum ersten klimaneutralen Kontinent machen. Vor zwei Jahren hat die Corona-Pandemie mit ihren Folgen die EU vor große Aufgaben gestellt. Und seit vier Monaten erleben wir den schrecklichen Angriffskrieg Russlands in der Ukraine, der die Frage um die europäische Sicherheit neu aufgeworfen hat.

Jetzt geht es darum, in die Zukunft der EU zu investieren, um die großen Herausforderungen auf dem europäischen Kontinent gemeinsam angehen zu können. Die Kommission muss zeigen, dass ihren Ankündigungen wirksame Maßnahmen folgen.

Für den Übergang zu einer sauberen, klimaneutralen Wirtschaft in Europa sind kleine und mittlere Unternehmen (KMU) das Herzstück. Unter grüner Federführung im Europaparlament ist es gelungen, klare Forderungen in die neue KMU-Strategie einzubringen, die den ökologischen Wandel von KMU unterstützen. So sollen sie von der grünen Transformation profitieren und ihr Unternehmen gleichzeitig wettbewerbsfähig, nachhaltig und widerstandsfähiger machen.

„Gerade vor Ort kommt es darauf an, dass europäische Fördermittel zu mindestens 50 Prozent für den Klimaschutz eingesetzt werden.“

Klimaschutz und digitaler Wandel müssen zusammen gedacht werden, daher sollen auch die Fördermaßnahmen im Bereich des innovativen und digitalen wirtschaftlichen Wandels in Einklang mit den Klimazielen gebracht werden. Gerade vor Ort kommt es darauf an, dass europäische Fördermittel zu mindestens 50 Prozent für den Klimaschutz eingesetzt sowie alle geplanten Maßnahmen auf ihren Beitrag zur Erreichung der Klimaziele von Paris überprüft werden.

Eine besondere Verantwortung für den Schutz von Klima, Umwelt, und Artenvielfalt trägt auch die Landwirtschaft. Mit dem passenden Einsatz der Mittel aus dem Landwirtschaftsfonds ELER hat Bayern die Chance, eine echte Agrarwende einzuleiten. Dazu muss sich Bayern für eine maximale Umschichtung der Gelder zugunsten des ELER bei der Erstellung des Strategieplans für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) einsetzen. Wir müssen diese einmalige Chance nutzen, Agrarumweltmaßnahmen deutlich stärker als bisher in den Mittelpunkt der Landwirtschaftsförderung zu rücken.

Ursula von der Leyen hat jetzt noch wenige Jahre Zeit, zu beweisen, dass die Zusammenarbeit in der EU immer noch die beste Lösung für globale Probleme darstellt. Sie hat einen guten Vorschlag für einen Green Deal vorgelegt. Im Herbst wird es an den nationalen Regierungen liegen, diesen besonders wirksam auszugestalten. Putins Krieg in der Ukraine macht deutlich, wie dringend wir uns in der EU über eine Erweiterung aber auch unsere zukünftige Zusammenarbeit unterhalten müssen. Die EU steht für Frieden und Demokratie und es ist gut, dass immer mehr Länder daran teilhaben wollen. Jetzt müssen wir sicherstellen, dass die Zusammenarbeit auch in einer wachsenden Union gut funktioniert. Von den nationalen Regierungen über die Regionen bis hin in die Kommunen vor Ort.“

„Noch keine Kommission seit Bestehen der EU hat so viele existenzielle Aufgaben auf einmal zu bewältigen wie die aktuelle“

Markus Rinderspacher (SPD), Europapolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag und Mitglied im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie regionale Beziehungen des Bayerischen Landtags:

„Die EU-Kommission ist seit Anbeginn europäischer Zusammenarbeit eine Krisenbewältigungskommission. Kaum tritt sie ein Feuerchen aus, sprühen von anderer Stelle die Funken. Starke Nerven, Verhandlungsgeduld und die Fähigkeit, viele Bälle in der Luft zu jonglieren, gehören zur Jobbeschreibung. Doch noch keine Kommission seit Bestehen der Europäischen Union hat so viele existenzielle Aufgaben auf einmal zu bewältigen wie die aktuelle.

Die Pandemie ist nicht überwunden. Die Brexit-Folgen sind wirtschaftlich so gravierend, wie es vorhersehbar war. Die Klimakrise schreitet mit Hochwässern, Dürren und Hitzewellen voran. Der Kontinent erweist sich mit einem tiefgreifenden Fachkräftemangel in allen Bereichen als demografisch in die Jahre gekommen und ökonomisch unbeweglich. Mittelstand und Industrie stehen vor einem Transformations-Muss mit klaren Zielen, aber unklaren Rahmenbedingungen. Globale Migrationsfragen bleiben überwiegend ungeklärt. Die EU selbst erodiert von innen durch nationalistische Angriffe auf Rechtsstaatlichkeit, unabhängige Medien und parlamentarische Demokratie, ob in Ungarn oder in Polen. Das EU-Einstimmigkeitsprinzip blockiert Reformen und zementiert Stillstand und Rückschritt.

Der Angriffskriegs Russlands in der Ukraine zeigt mit Brutalität die mangelhafte Resilienz europäischer Politik auf. Die Energiesicherheit ist unsicher. Versorgungsketten reißen ab. Der Hunger weltweit nimmt zu.

Bis jetzt können wir die von Bundeskanzler Olaf Scholz beschriebene Zeitenwende nur in ihren groben Umrissen umfassen. Ihre langfristigen Konsequenzen sind politisch neu zu erarbeiten. Was bedeutet das, wenn sich die Welt neu ordnet?

„Im Wettkampf der Mächte ist die Europäische Union eine geopolitische Schicksalsgemeinschaft.“

Spätestens jetzt gilt es zu begreifen, dass die EU mehr als eine Wirtschaftsunion und eine Brüsseler Organisation für Fördermöglichkeiten jedweder Art sein muss, wenn sie Bestand haben will. Im Wettkampf der Mächte ist sie eine geopolitische Schicksalsgemeinschaft. Deshalb sind Rufe, EU-Beitritte des Westbalkans, der Ukraine und von Moldau seien wirtschaftlich nicht verkraftbar, wohlfeil und den politischen Herausforderungen nicht angemessen. Die Frage lautet vielmehr: Europa fliegt uns heftig um die Ohren – was passiert mit unserem europäischen Wohlstand, wenn wir jetzt nicht äußere Bedrohungen ernst nehmen und solidarisch zusammenrücken?

Kommissionspräsidentin von der Leyen und Kanzler Scholz gehen diese Herausforderungen an und übernehmen Führung in schwieriger Zeit. Es ist auch ihrem Führungsgeschick zu verdanken, dass die EU in aktuellen Grundsatzfragen wie dem weitgehend unbürokratischen Flüchtlingsstatus für Ukrainerinnen und Ukrainer Einigkeit erzielt. Die EU steht seit Putins Krieg seit dem 24. Februar 2022 zusammen wie lange nicht.

Dabei dürfen die Belange der 25 Millionen mittelständischen Unternehmen in der EU nicht aus dem Blickfeld geraten. Die europäische KMU-Strategie muss regulatorische Belastungen und Marktbarrieren abbauen, digitalen Wandel praxistauglich voranbringen und Finanzierungen erleichtern. Kleinen und mittelgroßen Unternehmen die gleichen komplexen Angaben abzuverlangen wie Großunternehmen bei Großkrediten gibt keinen Sinn. Die angekündigte Bürokratiebremse wird sehnlich erwartet – und die Position des EU-Mittelstandsbeauftragten ist dringend aufzuwerten.“

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