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Stellen Sie sich vor, Sie möchten Ihr Depot umschichten und einige Ihrer Anleihen großer, weltweit agierender Unternehmen aufstocken. Oder Sie haben zusätzliches Kapital zur Verfügung und wollen dies neu anlegen. Bei vielen börsennotierten Corporate Bonds erhalten Sie einen angemessenen Zinssatz, zumindest höher als bei Bundesanleihen oder dem Sparbuch, bei eingrenzbarem Risiko und festgelegtem Auszahlungsdatum. Die einmal emittierten Wertpapiere sind, wenn sie an der Börse notiert sind, außerdem jederzeit handelbar.

Das Problem: Sie bekommen diese Anleihen, obwohl sie vielleicht sogar welche im Depot liegen haben, mit großer Wahrscheinlichkeit heute nicht mehr. Was Sie als sicheren Halt in Ihr Depot gelegt hatten, wurde von zwei Gesetzesinitiativen ausgebremst: Der europäischen Finanzmarktrichtlinie MiFID II (Markets in Financial Instruments Directive) und der Verordnung für Basisinformationsblätter PRIIPS (Packaged Retail and Insurance-based Investment Products – also verpackte Anlageprodukte). Diese Gesetzesinitiativen legten es in den Giftschrank mit dem Vermerk: „Nur für Profis“!

Sind die Anleihen plötzlich zu unsicher für Privatanleger geworden? Schwebt der Pleitegeier über den Unternehmen? Nein, es ist reine Bürokratie und missverstandener Anlegerschutz, der Sie künftig vor diesen Anlagen „schützt“.

Warum und weshalb können Sie schätzungsweise zwei Drittel aller Unternehmensanleihen als „normaler“ Privatanleger nicht mehr kaufen? Es sind im Prinzip drei Gründe, die es Ihnen nahezu unmöglich machen, in eine große Bandbreite von Anleihen zu investieren und Ihr Vermögen optimal zu diversifizieren.

Erstens: Die Sache mit der Zielmarktdefinition

Die Emittenten, die Bonds im Euroraum herausgeben wollen, müssen nach MiFID II im Rahmen der „Product Governance“ in einer Zielmarktdefinition festlegen, wer in ihr Produkt überhaupt investieren darf. Welche Produkte sind für welche Kundengruppen geeignet? Mag es für komplexe Hebelprodukte noch sinnvoll erscheinen, diese für Anleger mit großer Erfahrung und tiefem Geldbeutel handelbar zu gestalten, erscheint das bei relativ sicheren und vor allem selbst erklärenden Anleihen unverständlich. Für Emittenten bedeutet eine Ausweitung der Zielmarktdefinition auf Privatanleger bürokratischen Mehraufwand und ist für sie auch haftungsrelevant, so dass sie in der Regel davon Abstand nehmen.

Zweitens: Die Furcht vor „strukturierten Anlageprodukten“

Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) klassifiziert aufgrund der neuen MiFID II-Regelungen Anleihen je nach deren Ausgestaltung als „strukturierte Anlageprodukte“. So enthalten fast alle US-Anleihen eine sogenannte „Make-Whole-Klausel“, die eine vorzeitige Rückzahlung durch den Emittenten erlaubt – in der Praxis jedoch selten genutzt wird. Das macht sie, zumindest in den Augen der ESMA, bereits zu „strukturierten Anlageprodukten“. Auch sogenannte „Floater“, also Anleihen, die während ihrer Laufzeit die Zinsen verändern (können), werden in diese Klasse geschoben. „Strukturierte Anlageprodukte“ unterliegen jedoch der PRIIPS-Verordnung. Das heißt, Privatanleger verstehen diese Produkte angeblich nur, wenn ein sogenanntes KID (Key Information Document)  in der Form eines Basisinformationsblattes für verpackte Finanzprodukte beigegeben wird.

Insgesamt dürfte etwa die Hälfte aller Unternehmensanleihen als PRIIPs eingestuft worden sein und damit als „nicht geeignet für Privatanleger“ abgestempelt. Da dies auch für bereits emittierte Anleihen gilt und nicht nur auf neu herausgegebene, bedeutet dies, dass Sie selbst Anleihen aus Gattungen, die Sie bereits besitzen, nicht mehr neu erwerben können – verkaufen über die Börse aber schon. Um nicht in Haftung genommen zu werden, müssen sich die Banken – von der Online-Bank bis zur Genossenschaftsbank – an diese Einstufung halten. Es ist eine verschwindend kleine Minderheit von Emittenten, die zu einer Anleihe auch noch ein KID herausgeben – selbst in Europa, wie auch ein White Paper der Börse Stuttgart zu diesem Thema feststellte.

Drittens: Die unerreichbare Stückelung

Viele Unternehmen greifen zu einem einfachen Mittel, um Bürokratie und Haftung mit der Ausweitung auf Privatanleger einzudämmen. Sie setzen die Mindest-Stückelung auf 100.000 Euro hoch. Das erspart den Emittenten die aufwändige Prospekterstellung für die Emission. Schätzungsweise zwei Drittel aller neu emittierten Anleihen an der Börse München haben inzwischen eine Stückelung von 100.000 Euro – für die meisten Privatanleger eine Größe, in der nicht sinnvoll diversifiziert werden kann und durch die sie faktisch von dieser Anlageklasse ausgeschlossen werden.

Beispiel Börse München

Die Börse München hat bei Bonds – also neben Unternehmens- auch Staatsanleihen aus mehr als 60 Ländern dieser Welt – einen Marktanteil im börslichen Handel von knapp 30 Prozent (Stand Mai 2019). Von den insgesamt etwa 12.500 handelbaren Bonds sind derzeit mehr als 8.800 Corporate Bonds. Bei einem Vergleich der Umsätze von Anleihen der ersten fünf Monaten 2018 mit den ersten fünf Monaten 2019 an der Börse München fällt auf, dass die Orderausführungen, also die Anzahl der Geschäfte, nur leicht um 3 Prozent zugenommen haben, der Orderbuchumsatz, also das gesamte Volumen der Orders in Euro, um 80 Prozent zugelegt hat. Das liegt daran, dass das durchschnittliche Volumen pro Geschäft um fast 80 Prozent gestiegen ist. Was heißt das? Anleihen sind weiterhin begehrt bei Anlegern, insbesondere in den volatilen Zeiten an der Börse. Es sind aber vor allem die vermögenden Privat- und Firmenkunden, die von einer Investition in Anleihen profitieren.

Alternativen für Anleger

Selbstverständlich bleibt Anlegern die Alternative, in Unternehmen ihrer Wahl mittels Aktien zu investieren. Dabei empfinden sie zwar aufgrund der stärker schwankenden Kurse vielleicht ein höheres Risiko, doch in der langfristigen Entwicklung zahlen sich Aktien in den meisten Fällen aus. Wer beispielsweise zwanzig Jahre in den Deutschen Aktienindex DAX  monatlich einen festen Betrag investiert hat, so errechnete das Deutsche Aktieninstitut DAI, kommt auf eine jährliche Rendite von 9 Prozent pro Jahr.

Das höhere Risiko wird in der Regel eben auch höher „verzinst“. Und wer auf Zinsen setzt, mag mit Dividenden einigermaßen getröstet sein. Gerade bei US-amerikanischen Werten sind Dividenden eine wichtige Größe. Es ist durchaus interessant, vorab einmal die Dividenden-Rendite mit der jeweiligen Anleihen-Rendite des Unternehmens zu vergleichen. Darüber hinaus können Privatanleger einfach über Fonds oder börsengehandelte Index-Fonds in Aktien wie Anleihen investieren und gegen Kursschwankungen mit Zertifikaten absichern.

Was die MiFID eigentlich wollte

Zum Schluss sei noch einmal daran erinnert, was die Intention der MiFID II eigentlich ist. Die Transparenz sollte erhöht, Anleger besser geschützt, und damit das Vertrauen in die Finanzindustrie verbessert werden. Im konkreten Fall der Anleihen ist eher das Gegenteil eingetreten: Anleger werden vor einer einfachen und vergleichsweise weniger volatilen Anlage „geschützt“, die Transparenz, in welche Anleihen sie nun noch investieren können, ist nicht vorhanden und das Vertrauen in die Märkte (und den Gesetzgeber) ist keinesfalls verbessert worden.

Die Regulatoren auf nationaler wie auf EU-Ebene sind dringend dazu aufgerufen, bei den entsprechenden Regelwerken nachzubessern. Denn wissenschaftlich erwiesen ist zur Risikominderung für Anleger eine möglichst breite Diversifikation – in Assetklassen, Länder und Branchen - notwendig. Die MiFID II, die PRIIP-Verordnung und Prospektverordnung im Zusammenspiel verhindern aber in ihrer derzeitigen Ausgestaltung, dass sich Anleger darum selbst bemühen. Es sollte aber das Ziel sein, eigenverantwortliches Handeln zu animieren und dieses nicht zu verhindern. In Anbetracht der demografischen Entwicklung in unserem Land ist eine selbstbestimmte und wertpapierbasierte Altersversorgung unumgänglich. Vorschriften, die dieses konterkarieren, sollten tunlichst auf den Prüfstand gestellt und entsprechend geändert werden.
 

Dr. Robert Ertl ist Vorstand der Bayerischen Börse AG.

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