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„In Krisen sind die Kleinen groß“

Thomas Geißdörfer, Vorstandsvorsitzender der Raiffeisen Spar+Kreditbank mit Sitz in Lauf an der Pegnitz:

„Wie alle Unternehmen streben auch Genossenschaften nach wirtschaftlichem Erfolg zur Stärkung der eigenen Vermögensbasis in Form von Eigenkapital, gewissermaßen als genetisch bedingtem Selbsterhaltungstrieb. Die rechtsformspezifische Besonderheit ist allerdings der im Genossenschaftsgesetz verankerte Mitgliederförderauftrag, der auch die Verpflichtung zur Schaffung von nachhaltigen Werten für die Mitglieder beinhaltet. Diese Werte setzen die nachhaltige Existenz der Genossenschaft voraus. Konkret fühlen sich Genossenschaften wie die Volksbanken und Raiffeisenbanken – genauso wie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – verantwortlich für das wirtschaftliche Wohlergehen ihrer Mitglieder, aber auch für die soziale Gemeinschaft. Das machen sie durch bedarfsgerechte Leistungen, vielfältige Sponsoring-Aktionen und persönliches Engagement in Vereinen und Organisationen sichtbar.

Die Vielzahl unterschiedlicher regionaler oder zielgruppenbezogener Strategien verhindert dabei, dass die Genossenschaften zeitgleich zu große Summen in das gleiche Geschäftsmodell investieren. Beim Scheitern einzelner Modelle aufgrund von Marktrisiken sorgen Diversifikationseffekte für eine Entlastung der Gruppe und machen damit staatliche Rettungsaktionen überflüssig. Die Granularität unserer genossenschaftlichen Organisation könnte man demnach auch als ,too small to fail‘ bezeichnen. Diese Überlegung gilt für die Volksbanken und Raiffeisenbanken genauso wie für andere dezentrale Genossenschaften etwa im Energie- oder Wohnungsbereich.

Speziell für Genossenschaftsbanken gibt es einen weiteren größenabhängigen Schutzmechanismus im Bereich des Kreditgeschäfts. Einzelne Banken sind bei der Gewährung von Krediten durch das zur Verfügung stehende Eigenkapital begrenzt, was dazu führt, dass auch die potenziellen Ausfälle limitiert sind. Außerdem gibt es aufgrund der regionalen Verankerung jeder einzelnen Kreditgenossenschaft weniger Informationslücken, sodass auch hier die genossenschaftliche Granularität Risiken verringert.

Gerade in Notlagen werden der Gründungszweck und die Notwendigkeit von Genossenschaften deutlich: Sie bündeln ihre Kräfte und schaffen dadurch Mitgliedernutzen. So wird es für Familien mit Kindern in manchen Regionen mittlerweile schwierig, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Schuld daran sind die immer weiter steigenden Mieten und Immobilienkaufpreise in den vergangenen Jahren.  Hier können Wohnungsgenossenschaften helfen, gemeinsam über Generationen hinweg Wohnraum zu schaffen und damit das Investitionsrisiko für einzelne zu verringern.

Ein weiteres Beispiel, wie Genossenschaften Notlagen vorbeugen, ist die Sicherungseinrichtung der genossenschaftlichen FinanzGruppe. So wie die Mitglieder mit der Nutzung der genossenschaftlichen Leistung und mit ihrem Geschäftsanteil einen solidarischen Geschäftsbetrieb ermöglichen, unterstützen auch die vielen Genossenschaftsbanken gemeinsam eine in Schieflage geratene Kreditgenossenschaft. So erhalten sie die Leistungsfähigkeit der gesamten Gruppe auch in schwierigen Zeiten. Das versetzt Genossenschaften in die Lage, auch in Notlagen Mitgliedernutzen zu schaffen. Denn eine Bank, die in Krisenzeiten in Schieflage gerät und deshalb ihre Finanzdienstleistungen nicht aufrechterhalten kann, bringt nicht nur ihre Kunden, sondern am Ende auch das ganze Wirtschaftssystem in Gefahr. Die Finanzkrise 2007/2008 lässt grüßen.

Genossenschaften schaffen übrigens nicht nur innerhalb ihrer eigenen Gruppe Mitgliedernutzen, sondern sie geben ihre Erfahrungen an andere Genossenschaften weiter. Viele Volksbanken und Raiffeisenbanken zum Beispiel unterstützen genossenschaftliche Neugründungen ihrer Mitglieder wie zum Beispiel genossenschaftliche Dorfläden. Diese stellen die Versorgung der Bevölkerung vor Ort mit Lebensmitteln und anderen Artikeln des täglichen Bedarfs sicher, wenn sich größere Einzelhandelsketten zurückziehen. Bei der Gründung helfen die Banken nicht nur mit der Zeichnung von Genossenschaftsanteilen und finanzieller Unterstützung, sondern auch mit persönlichem Engagement und dem nötigen Wissen zur genossenschaftlichen Selbstverwaltung.“

„Die Mitgliederförderung macht Genossenschaften effizient“

Markus Beckmann, Professor für Nachhaltigkeitsmanagement und Vorstandsmitglied des Forschungsinstituts für Genossenschaftswesen an der Universität Erlangen-Nürnberg:

„Genossenschaften haben ein großes Potenzial, nachhaltig zu wirtschaften, ähnlich wie Familienunternehmen. Nachhaltigkeit hat mit Langfristigkeit zu tun. Weil Genossenschaften ein Solidarverbund der Mitglieder sind, fehlen die Anreize, für kurzfristige Gewinne die Substanz des Unternehmens aufs Spiel zu setzen. Das schafft Perspektiven für nachhaltiges Wirtschaften. Erst die langfristige Mitgliederorientierung macht solidarisches Handeln möglich.

Zusätzlich zu dem solidarischen Ansatz, gemeinsam langfristig wirtschaftlich erfolgreich zu sein, gesellt sich bei Genossenschaften häufig noch ein idealistischer Ansatz. Die Mitglieder von Energiegenossenschaften zum Beispiel wollen die Energiewende vorantreiben und zum Klimaschutz beitragen. Genossenschaftliche Dorfläden sind wiederum bestrebt, die öffentliche Infrastruktur im ländlichen Raum zu erhalten. Das ist aus gesellschaftlicher Sicht erstmal gut, denn durch den idealistischen Ansatz schaffen es Genossenschaften, zusätzliche Ressourcen zu mobilisieren und wirtschaftliche Lösungen zu entwickeln, die sich sonst möglicherweise als nicht tragfähig erwiesen hätten. In dieser Hinsicht sind Genossenschaften Innovationstreiber. Auf der anderen Seite bergen solche Ansätze auch Risiken. Genossenschaften stoßen schnell an ihre Grenzen, wenn sie allein von Idealismus getrieben sind. Um langfristig erfolgreich zu sein, braucht es innovative Ideen, aber auch wirtschaftliche Vernunft – sozusagen innovative Vernunft, wenn diese Wortschöpfung erlaubt ist.

Genossenschaften gelingt diese Balance erstaunlich gut. Das mag bei jungen Genossenschaften auch an der Gründungsberatung der genossenschaftlichen Regionalverbände liegen. Ich sehe darin einen Qualitätscheck des Geschäftsmodells im Interesse der Mitglieder. Denn nur wenn das Geschäftsmodell ökonomisch nachhaltig ist, kann die Genossenschaft langfristig erfolgreich sein und ihren Mitgliedern dienen.

Genossenschaften, die schon sehr lange auf dem Markt sind, haben die Nachhaltigkeit ihres Geschäftsmodells natürlich längst bewiesen. Trotzdem haben sie mehrere Anreize, effizient zu arbeiten. Zum einen ist das der Geschäftszweck der Mitgliederförderung an sich. Genossenschaften sind dazu da, den Geschäftsbetrieb der Mitglieder zu unterstützen. Wenn sich deren Geschäftsmodell ändert oder diese vor Problemen stehen, dann sind Genossenschaften gehalten, Lösungen für ihre Mitglieder zu entwickeln. Das zwingt sie dazu, dauerhaft innovativ zu sein, um ihre Daseinsberechtigung zu erhalten. Zweitens entwickelt der Markt disziplinierende Kräfte. Viele Genossenschaften, zum Beispiel die Volksbanken und Raiffeisenbanken, sind in den gleichen Märkten aktiv. Das sorgt für Transparenz und unterstützt wirtschaftliches Handeln.

Die enge Verschränkung der Genossenschaft mit ihren Mitgliedern und Kunden sorgt ebenfalls für Effizienz. Weil die Mitglieder auch Eigentümer der Genossenschaft sind, übernehmen sie Verantwortung und geben zum Beispiel schnell Rückmeldung, wenn die Genossenschaft nicht das leistet, was sie soll. Das hilft den Verantwortlichen, Qualitätsmängel abzustellen. Zudem sind die Mitglieder aufgerufen, sich in die Genossenschaft einzubringen und ihr Wissen zur Verfügung zu stellen, indem sie sich zum Beispiel in die Fördermöglichkeiten für Energieprojekte einlesen. So stärken sich die Genossenschaft und ihre Mitglieder gegenseitig und lernen voneinander. Diese Verbindung stiftet eine gemeinsame Identität. Letztendlich stärkt die wechselseitige Förderung sowohl die Genossenschaft als auch ihre Mitglieder. Daraus resultiert im Idealfall eine Aufwärtsspirale, die beiden Seiten nutzt. Der Erfolg der Genossenschaft hängt am Erfolg der Mitglieder und umgekehrt.

Rechnet man alle Posten zusammen, so haben die Genossenschaften ein hohes Potenzial, nachhaltig zu wirtschaften und langfristig erfolgreich zu sein. Aber ich möchte die Rechtsform auch nicht glorifizieren. Aus gesellschaftlicher Perspektive handeln Genossenschaften nicht zwingend nachhaltig. Ihr Geschäftszweck ist immer noch die Mitgliederförderung und nicht die Förderung des Gemeinwohls. Eine Wohnungsbaugenossenschaft etwa hat den Zweck, für ihre Mitglieder Wohnungen zu bauen und zu unterhalten. Klimaschutzziele verfolgt sie höchstens mittelbar, wenn sie die Dächer mit Photovoltaik-Anlagen ausrüstet. Ich hege starke Sympathien für die Rechtsform Genossenschaft, aber sie ist nicht das Allheilmittel, um gesamtgesellschaftliche Missstände zu beseitigen.“

„Die enge Verbindung der Genossenschaften mit ihren Mitgliedern sorgt für Beständigkeit“

Nicolas Hofmann, Aufsichtsratsvorsitzender der DATEV eG und Vorstand der Wassergenossenschaft Reichenbach:

„Nachhaltiges Unternehmertum ist schon im Genossenschaftsgesetz verankert. Die Förderung der Mitglieder ist von Langfristigkeit getrieben und nicht von kurzfristigen Gewinnmitnahmen wie etwa bei Aktiengesellschaften mit ihren vierteljährlichen Berichten. Deshalb sind Genossenschaften nicht dazu verdammt, beständig zu wachsen. Das verschafft ihnen die Möglichkeit, nicht jedes Risiko gehen zu müssen, um die Gewinne zu maximieren. Ein wichtiger Stabilitätsfaktor.

Ein weiterer wichtiger Faktor: Genossenschaften haben über ihre Mitglieder einen viel tieferen Einblick in den Markt als andere Unternehmen. Sie können Trends genau verfolgen und ihre Schlüsse daraus ziehen. Das macht sie krisenfester, aber nicht krisenresistent. Die Bäcker- und Konditoren-Einkaufsgenossenschaften etwa können nicht verhindern, dass das traditionelle Bäckerhandwerk auf dem Rückzug ist. Aber sie können ihre Mitglieder mit zielgerichteten Angeboten dabei unterstützen, sich im Markt zu behaupten. Weil die Genossenschaften genau wissen, welche Unterstützung ihre Mitglieder benötigen, können sie ihr Geschäftsmodell sehr genau auf deren Bedarf ausrichten. Sie machen Geschäft nicht über Masse, sondern über die zielgerichtete Bedienung der Bedürfnisse ihrer Mitglieder. Die Vereinigung der Spielwarenhändler VEDES zum Beispiel unterstützt ihre Mitglieder massiv dabei, Online-Shops aufzubauen, damit die Händler den großen Handelsplattformen etwas entgegensetzen können.

Die enge Verbindung der Genossenschaften mit ihren Mitgliedern sorgt zudem für Beständigkeit in der Geschäftsentwicklung. Weil die Geschäftsbeziehung auf Gegenseitigkeit ausgelegt ist, können Genossenschaften genauer planen und kalkulieren als andere Unternehmen. Die DATEV eG zum Beispiel wird bei den Steuerberatern in Deutschland immer einen Marktanteil von 60 bis 70 Prozent haben, weil viele bei der Genossenschaft Mitglied sind und nicht von Unternehmen abhängig sein wollen, die den Berufsstand und seine Eigenheiten nicht berücksichtigen.

Bei kleinen Genossenschaften wie in meinem Fall bei der Wassergenossenschaft Reichenbach kommt noch etwas anderes hinzu. Reichenbach ist ein Ortsteil der Marktgemeinde Oberstdorf im Allgäu mit rund 230 Einwohnerinnen und Einwohnern. Unsere Wassergenossenschaft versorgt 62 Mitglieder und zwölf weitere Haushalte mit Trinkwasser. Wir haben einen hohen Anspruch, denn Trinkwasser ist ein kostbares Lebensmittel. Die meisten Mitglieder sind nicht zuvorderst aus wirtschaftlichen, sondern aus ideellen Gründen in der Genossenschaft. Wir sind unabhängig, regional und regeln unsere Angelegenheit selbst. Uns kann kein fremder Investor oder ein fremdes Unternehmen diktieren, was wir zu tun und zu lassen haben. Das schafft einen großen Zusammenhalt im Ort. Abgesehen davon erhalten die Mitglieder regelmäßig eine jährliche Rückvergütung des Wasserpreises. So profitieren die Mitglieder auch finanziell vom Erfolg der Genossenschaft und identifizieren sich mit ihr.

Dazu trägt auch die regionale Verwurzelung bei. Unser Wasserwart schaut jeden Tag beim Hochbehälter vorbei und hält die Anlagen penibel sauber. Das sehen die Dorfbewohner. Regionalität verhindert Anonymität. Auf dem Land kennt man die Genossenschaften und die Menschen, die für sie arbeiten. Wenn es Probleme gibt, laufen die Verantwortlichen der Genossenschaft Gefahr, am Stammtisch damit konfrontiert zu werden. Das diszipliniert.

Abgesehen davon folgen Genossenschaften in ihrer Wirtschaftstätigkeit einen sozialen Ansatz. Niemand wird fallen gelassen. Dafür haben die Mitglieder auch eine Bringschuld gegenüber ihrer Genossenschaft. Genossenschaften sind keine Einbahnstraße und auch kein Selbstbedienungsladen. Die Mitglieder sind aufgerufen, ihr Know-how einzubringen und auch mal individuelle Interessen zurückzustellen, wenn es der Mehrheit der Mitglieder dient.

Leider machen es die immer stärkeren bürokratischen Regularien zunehmend schwieriger, geeignete Führungskräfte für Genossenschaften zu finden, gerade im ehrenamtlichen Bereich. Die ehrenamtlichen Vorstände machen einen Riesenjob, aber von den immer komplizierteren bürokratischen Regeln werden sie überfordert, um nur ein Beispiel zu nennen. Deshalb finden sich kaum noch Menschen, die solche Posten übernehmen wollen. Das ist im Bereich des Ehrenamts mittlerweile grenzwertig, nicht nur bei Genossenschaften, sondern auch bei Vereinen. Eine gewisse Entbürokratisierung würde dabei helfen, dieses Problem zu entschärfen und dem ehrenamtlichen Engagement neuen Schwung zu verleihen – immer unter der Voraussetzung, dass die Vorstände ihre Aufgaben erfüllen können, ohne den Geschäftszweck der Genossenschaft zu unterlaufen. Denn ich halte die Genossenschaft nach wie vor für eine wunderbare Rechtsform, um die Menschen für nachhaltiges Wirtschaften zu begeistern. Der Gedanke ist angesichts der Herausforderungen, vor der die Menschheit steht, aktueller denn je.“

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