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Frau Staatsministerin Kaniber, der EU-Gesetzgeber möchte die Erzeuger in der landwirtschaftlichen Lieferkette stärken. Dafür sollen die Artikel 148 und 168 der Gemeinsamen Marktorganisation (GMO) für alle EU-Mitgliedsländer verbindlich werden. Wie bewerten Sie diesen Vorstoß?

Michaela Kaniber: Die Stärkung unserer landwirtschaftlichen Erzeuger entlang der Wertschöpfungskette ist ein wichtiges und richtiges Anliegen. Gleichzeitig bin ich der festen Überzeugung, dass die in den Artikeln 148 und 168 vorgesehenen Regelungen nicht der richtige Weg sind, um bessere Preise oder Lieferbedingungen zu erzielen. Marktmechanismen lassen sich nicht allein durch verpflichtende Mindestvorgaben in Verträgen bändigen. Hinzu kommt, dass solche Vorgaben mit einem erheblichen bürokratischen Mehraufwand und zusätzlichen Kosten verbunden wären – Belastungen, die am Ende vor allem unsere Bäuerinnen und Bauern zu tragen hätten. Entscheidend ist aus meiner Sicht, dass Molkereien und Milchlieferanten vor Ort gemeinsam passgenaue Vertragsmodelle entwickeln, die den jeweiligen Strukturen und Bedürfnissen gerecht werden. Das ist gelebte Vertragsfreiheit – und genau diese braucht es insbesondere auch bei genossenschaftlichen Molkereien, in denen die Landwirte nicht nur Lieferanten, sondern zugleich Eigentümer ihrer Unternehmen sind.

„Ich bin der festen Überzeugung, dass die in den Artikeln 148 und 168 vorgesehenen Regelungen nicht der richtige Weg sind, um bessere Preise oder Lieferbedingungen zu erzielen.“

Andere Länder wie Frankreich, Italien und Spanien haben bereits ähnliche Ideen zur Stärkung der Landwirte in den Lieferketten umgesetzt. Was hören Sie aus diesen Ländern und welche Erkenntnisse leiten Sie daraus für die bayerische Landwirtschaft ab?

Kaniber: Die Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern machen deutlich, dass staatliche Eingriffe in die Vertragsfreiheit mit größter Zurückhaltung erfolgen müssen. Wo der Staat zu stark in privatwirtschaftliche Vereinbarungen eingreift, drohen Marktverzerrungen und unerwünschte Nebenwirkungen – etwa eine geschwächte Wettbewerbsfähigkeit oder zusätzliche bürokratische Belastungen. Hinzu kommt, dass die Strukturen der Erzeuger, die Vermarktungswege und die Einbindung in Wertschöpfungsketten in den Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich ausgestaltet sind und daher kaum eins zu eins vergleichbar sind. Deshalb sollte es aus meiner Sicht in der Verantwortung der einzelnen Mitgliedsstaaten liegen, zu entscheiden, wie weit Eingriffe in Vertragsbeziehungen gehen. Für mich ist klar: Vertragsfreiheit ist kein verhandelbares Prinzip, sondern ein zentraler Grundpfeiler unserer Wirtschaftsordnung – und diesen gilt es zu bewahren.

„Wo der Staat zu stark in privatwirtschaftliche Vereinbarungen eingreift, drohen Marktverzerrungen und unerwünschte Nebenwirkungen.“

Wie könnte eine europäische Lösung aussehen, die auch der bayerischen Landwirtschaft gerecht wird?

Kaniber: Eigentlich besteht kein Bedarf, die Artikel 148 und 168 zu ändern. Schon heute haben die Mitgliedsstaaten die Möglichkeit, diese Regelungen anzuwenden, wenn sie dies für sinnvoll erachten. Sollte die Umsetzung dennoch verpflichtend vorgesehen werden, dann muss zwingend eine Öffnungsklausel enthalten sein, die den Mitgliedsstaaten eine Befreiung ermöglicht. Nur so kann den unterschiedlichen Strukturen und Gegebenheiten in den einzelnen Ländern Rechnung getragen werden.

Worum geht es bei den Artikel 148 und 168 GMO?

Die Verordnung über eine gemeinsame Marktorganisation (GMO) für landwirtschaftliche Erzeugnisse regelt die Agrarmärkte der EU-Mitgliedstaaten. Sie ist einer der zentralen Bestandteile der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Ende 2024 schlug die EU-Kommission eine umfassende Reform der GMO vor. Kern des Vorhabens sind verpflichtende schriftliche Lieferverträge zwischen Erzeugern und Abnehmern – insbesondere in Artikel 148 (Milch) und Artikel 168 (weitere landwirtschaftliche Produkte). Diese Verträge sollen vor der Lieferung abgeschlossen werden und Preis, Menge, Laufzeit sowie Zahlungs- und Lieferbedingungen verbindlich festlegen. Befürworter versprechen sich davon mehr Transparenz und Stabilität am Markt, Verbände wie der Deutsche Raiffeisenverband (DRV), der Genossenschaftsverband Bayern (GVB), der Bayerische Bauernverband (BBV) oder auch das Bayerische Landwirtschaftsministerium widersprechen vehement und warnen vor den Folgen. Das Europäische Parlament hat den Vorschlag bereits mehrheitlich unterstützt, in den sogenannten Trilogverhandlungen zwischen EU-Kommission, EU-Parlament und den Mitgliedstaaten wurde bislang jedoch keine Einigung erzielt.

Wie ist der weitere politische Prozess und wie bringt sich die Bayerische Staatsregierung auf Bundesebene und in Europa ein?

Kaniber: Im bisherigen Trilog-Verfahren konnte noch keine Einigung erzielt werden. Nach derzeitigem Stand ist daher davon auszugehen, dass die Verhandlungen erst im kommenden Jahr fortgesetzt werden. Die Bayerische Staatsregierung wird sich auch weiterhin mit Nachdruck auf europäischer Ebene – gegenüber der Europäischen Kommission, den Abgeordneten des Europäischen Parlaments und über die Bundesregierung – für die unternehmerische Freiheit einsetzen und verpflichtende Vorgaben für Lieferverträge entschieden ablehnen.

Frau Staatsministerin Kaniber, vielen Dank für das Gespräch!

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