Miteinander: Die Vereinten Nationen haben 2025 zum Internationalen Jahr der Genossenschaften ausgerufen. Motto: Genossenschaften schaffen eine bessere Welt. Doch wie können sie das tun?
Herr Rehulka, die Raiffeisenbanken sind einer der größten Bankengruppen in Österreich. Wie geht es den Instituten?
Johannes Rehulka: Raiffeisen ist in Österreich klarer Marktführer mit rund einem Drittel Marktanteil bei Darlehen und Einlagen. In den vergangenen Jahren haben die Raiffeisenbanken außerordentlich gute Erträge erzielt und ihr Eigenkapital weiter gestärkt. Somit sind wir sehr gut aufgestellt, um unsere Kunden auch in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten als Partner vor Ort die notwendigen Finanzierungen zur Verfügung zu stellen.
In Bayern hat zuletzt das Neugeschäft mit Wohnungsbaukrediten wieder deutlich angezogen – wobei die meisten Investitionen vor allem in Bestandsimmobilien fließen. Wie sieht die Entwicklung in Österreich aus?
Der Jurist Dr. Johannes Rehulka ist Generalsekretär beim Österreichischen Raiffeisenverband. Foto: ÖRV
Rehulka: Die Kreditnachfrage im privaten Wohnbau springt langsam wieder an, wenngleich wir uns auf einem deutlichen niedrigen Niveau als etwa 2021 befinden. Die Immobilienbranche leidet nach wie vor an den gestiegenen Zinsen und an der regulatorischen Erwartungshaltung der Aufsichtsbehörden. Im gewerblichen Wohnbau herrscht derzeit ein absoluter Baustillstand. Dieser Baustillstand gefährdet massiv die künftige Leistbarkeit von Wohnraum, weil nicht ausreichend Wohnraum geschaffen wird. In ein paar Jahren werden daher die Preise für Wohneigentum und für Mieten in ausgewählten Gebieten steigen.
„Wir begrüßen den Vorstoß der BaFin und der deutschen Bundesbank auf EU-Ebene für eine stark risikobasierte Beaufsichtigung regionaler Banken.“
Sowohl in Österreich als auch in Deutschland leiden regionale Institute unter überbordender Regulierung. Was müsste auf EU-Ebene geschehen, um die Proportionalität stärker zu berücksichtigen – und welche Rolle kann der ÖRV dabei spielen?
Rehulka: Wir brauchen auf EU-Ebene einen Neustart für die Beaufsichtigung von Banken. Die Aufsicht muss wieder prinzipien- und risikobasiert erfolgen, fokussiert auf die wesentlichen Risiken. Daher begrüßen wir den Vorstoß der BaFin und der deutschen Bundesbank auf EU-Ebene für eine stark risikobasierte Beaufsichtigung regionaler Banken. Europa ist mit dem Single Rulebook der einzige namhafte Kontinent, auf dem Regionalbanken die Basler Standards, die nur für Großbanken vorgesehen sind, erfüllen müssen. Australien, USA, UK oder die Schweiz – sie alle sehen Sonderregeln für Regionalbanken vor. Wir werden uns auf EU-Ebene intensiv für ein Sonderregime für Regionalbanken einsetzen.
„Die Genossenschaftsidee ist in diesen unruhigen Zeiten relevanter denn je, das gilt es bei allen Entscheidungsträgern gemeinsam zu bekräftigen.“
Die Genossenschaftsidee hat in Österreich und Deutschland eine lange Tradition. Wie lässt sich diese Stärke europäisch nutzen? Wo sehen Sie Chancen für eine engere Zusammenarbeit zwischen den Genossenschaftsverbänden beider Länder?
Rehulka: Unsere Stärke liegt in der Einbindung der Bevölkerung, in unserer regionalen Wirkung und in unserer Nähe zu den Kunden. Wären wir in Deutschland und Österreich mit unserem Modell nicht so relevant, hätten wir nicht so viel in den vergangenen Jahren für Genossenschaften auf EU-Ebene umgesetzt. Die Genossenschaftsidee ist in diesen unruhigen Zeiten relevanter denn je, das gilt es bei allen Entscheidungsträgern gemeinsam zu bekräftigen.
Mit Ihrer Wir-Kraft-Kampagne werben Sie für die Stärke des Genossenschaftsgedankens. Welche Erfahrungen haben Sie bislang damit gemacht, und welche Botschaften kommen besonders gut an?
Rehulka: Im Internationalen Jahr der Genossenschaften wollten wir ein öffentlichkeitswirksames Zeichen für unsere Idee setzen. Daher haben wir die WIR-Kraft Kampagne ins Leben gerufen, um unsere Art des Wirtschaftens einer breiten Öffentlichkeit ins Bewusstsein zu rufen. Im Zuge dieser Kampagne betonen wir unsere Miteigentümer – die Österreicherinnen und Österreicher –, unser regionales Wirken und unser soziales Engagement in den Regionen. Aspekte, die häufig in der Wahrnehmung zu kurz kommen und die wir künftig noch wesentlich stärker betonen werden.
Die Vereinten Nationen haben das Jahr 2025 erneut zum Internationalen Jahr der Genossenschaften erklärt. Welche Ziele hat der ÖRV in diesem Zusammenhang verfolgt – und wie haben Sie das Thema in die Öffentlichkeit getragen?
Rehulka: Die internationale Staatengemeinschaft hat zum zweiten Mal innerhalb von 13 Jahren unsere Art des Wirtschaftens zu einem Internationalen Jahr erklärt. Mit über einer Milliarde Genossenschaftsmitgliedern und drei Millionen Genossenschaften weltweit ist die kooperative Bewegung die größte Bürgerbewegung der Welt.
Wir haben das Jahr 2025 als Ausgangspunkt für eine Verstärkung unserer Bemühungen im Bereich der Mitgliedergewinnung und Mitgliederförderung genutzt. So haben wir eine eigene Broschüre für die Mitgliederförderung und Mitgliedergewinnung mit Best Practice Beispielen aus allen Genossenschaften und praktischen und einfachen Maßnahmen erstellt, um Mitglieder noch besser zu fördern und zu gewinnen. Ebenso haben wir Workshops mit konkreten Handlungsanleitungen in den Bundesländern abgehalten. 2025 war aber erst der Start – die Arbeit wird in den nächsten Jahren in diesen Bereichen noch weiter intensiviert.
Genossenschaften gelten als Antwort auf viele Herausforderungen – von der Regionalentwicklung über die Energiewende bis zur sozialen Daseinsvorsorge. Wo sehen Sie derzeit die größten Wachstumspotenziale?
Rehulka: Die Haushalte der öffentlichen Hand geraten immer stärker unter Druck, daher wird die Genossenschaftsidee in vielen Bereichen noch einmal wesentlich relevanter. Mangels Möglichkeiten der öffentlichen Hand nehmen die Menschen ihr Schicksal selbst in die Hand. In den letzten Jahren haben wir das bei den Energiegenossenschaften gesehen. Es ist beeindruckend, dass sich innerhalb kürzester Zeit Menschen in über 220 Energiegenossenschaften zusammengeschlossen haben, um regionalen Strom zu kaufen und zu verkaufen. Ein weiteres Potenzial für kooperative Lösungsmodelle sehe ich im Bereich der Gesundheit, Pflege und Ernährung.
„Der Gesetzgeber müsste schon etwas tun, um Regionalbanken das Leben zu erleichtern.“
In den vergangenen Jahren hat sich die Zahl der selbstständigen Raiffeisenbanken deutlich verringert. Wie bewerten Sie diesen Strukturwandel – als Risiko oder als notwendige Anpassung an neue Rahmenbedingungen?
Rehulka: Es ist eine logische Entwicklung der regulatorischen Vorgaben in den vergangenen Jahren. Der Gesetzgeber müsste schon etwas tun, um Regionalbanken das Leben zu erleichtern. Unter den aktuellen Rahmenbedingungen ist es für kleinste Einheiten schwierig, sich am Markt zu behaupten. Ich gehe daher auch davon aus, dass sich die Anzahl der sehr kleinen Raiffeisenbanken in den nächsten Jahren weiter verringern wird.
Viele EU-Mitgliedsstaaten kennen keine genossenschaftlich geprägten Bankensysteme wie Deutschland oder Österreich. Welche Möglichkeiten sehen Sie, das Modell auf europäischer Ebene stärker sichtbar zu machen?
Rehulka: Wir können nur gemeinsam die Vorteile unserer Systeme gegenüber anderen auf EU-Ebene aufzeigen. Und da muss man schon einmal ganz klar betonen, dass es im Sinne der Finanzmarktstabilität wahrscheinlich wenig sicherere Systeme als unsere gibt. Mit unseren Sicherungssystemen sorgen wir dafür, dass Schieflagen frühzeitig erkannt und Maßnahmen rechtzeitig ergriffen werden können. Ein verbindliches System, das ich mir für alle Bankgruppen in Europa wünschen würde. Insoweit müssen wir für unsere Systeme werben, auch wenn wir mit unserer Position in Europa sicherlich nicht in der Mehrheit sind.
Europa treibt derzeit den digitalen Euro massiv voran. Wie beurteilen Sie diese digitale Währung, auch vor dem Hintergrund privater Initiativen wie Stablecoins? Und welche Bedingungen sehen Sie für dessen Einführung?
Rehulka: Der Mehrwert für die Einführung eines digitalen Euro ist für mich nach wie vor unklar. Ich stehe zu mehr europäischer Souveränität bei Zahlungsleistungen – aber bitte nicht durch Konten bei einer öffentlichen Notenbank wie der EZB. Der digitale Euro würde massive Kosten für die Steuerzahler verursachen, das bestehende Finanzsystem auf den Kopf stellen und gerade in Krisenzeiten die Finanzmarktstabilität durch Liquiditätsabflüsse bei Geschäftsbanken gefährden. Daher sollte Europa bei Online-Zahlungen auf privatwirtschaftlich organisierte Zahlungslösungen von Geschäftsbanken setzen.
Der GVB und der ÖRV arbeiten bereits in vielen Themenfeldern eng zusammen. Wo könnten Sie sich künftig noch mehr gemeinsame Initiativen vorstellen?
Rehulka: Wir pflegen eine exzellente grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Das ist dem ÖRV extrem wichtig, weil wir nur so unsere gemeinsame Schlagkraft erhöhen können.
Ich sehe in den Bereichen Aus- und Fortbildung, Kommunikation und Interessenvertretung große Schnittmengen, die wir weiter ausbauen können.
Herr Dr. Rehulka, vielen Dank für das Gespräch.