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Herr Professor Müller, im Internet lässt sich mittlerweile fast alles kaufen und vergleichen. Wie verändert sich dadurch das Kundenverhalten?

Nicholas Müller: Tatsächlich lässt sich auch heute noch nicht alles online vergleichen. Wir haben erst kürzlich bei der Veranstaltung Konzeptathon 2019 mit Studierenden nach Möglichkeiten gesucht, wie Gegenstände mit taktilen Eigenschaften im Onlinehandel platziert werden können. Wie sich beispielsweise eine günstige im Vergleich zu einer hochwertigen Bettdecke anfühlt oder wie sich Nuancen von Zutaten auf den Geschmack von Backwaren auswirken – solche Produktmerkmale können Verbraucher auf absehbare Zeit nur in der realen Welt ausprobieren. Wenn Kunden jedoch über die notwendigen Zugangsmöglichkeiten und Kenntnisse verfügen, lassen sich online sehr einfach und zügig viele Angebote miteinander vergleichen. Dadurch hat sich der Markt deutlich verbreitert und die Produktauswahl ist größer geworden. Gleichzeitig haben Möglichkeiten zur Produktbewertung oder Einschätzungen von Experten dazu geführt, dass Kaufentscheidungen nicht nur vom Marketing, sondern zunehmend vom alltäglichen praktischen Nutzen innerhalb der eigenen „Peer-Group“ beeinflusst sind.

Was heißt das für mittelständische Unternehmen, deren Vertriebsstrukturen vom persönlichen Kundenkontakt geprägt sind?

Müller: Persönlicher Kontakt wird auch in Zukunft eine große Rolle spielen. Der wird aber immer mehr ergänzt durch neue mediale Formate. Unternehmen und Regionalbanken wie die Volksbanken und Raiffeisenbanken werden sich deshalb in nächster Zeit noch intensiver mit neuen Strategien, wie zum Beispiel crossmedialen Informationsangeboten, dem Storytelling und ganz generell mit Kundengewinnungs- und Kundenbindungsstrategien in der digitalen Welt beschäftigen müssen.
 

Die Aussage „Alles, was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert“, ist mittlerweile zu einem geflügelten Wort geworden. Gilt das auch für die Kundenbeziehung?

Müller: Davon würde ich ausgehen. In bestimmten Branchen gilt das allerdings ergänzend zu traditionellen Angeboten. Digitale Angebote zur Etablierung und Pflege von Kundenbeziehungen zu entwickeln, ist aber keine Entscheidung für oder gegen etwas. Neue Kommunikationskanäle bieten für das Kundenbeziehungsmanagement innovative Möglichkeiten. Durch eine zeitgemäße Darstellung von Produkten und weiterführenden Informationen – idealerweise personalisiert – sowie ein gut funktionierendes Content-Management können beide Seiten einer Geschäftsbeziehung profitieren.

Auf welche Serviceleistungen legen Kunden besonderen Wert, wenn sie im digitalen Raum unterwegs sind?

Müller: Das Vergleichen von Angeboten und Erfahrungen ist einer der wesentlichen Aspekte. Berichte von anderen Kunden, Bewertungen und Expertenurteile werden für Kaufentscheidungen herangezogen. Beliebt ist es auch, Videos von Produkten im tatsächlichen Gebrauch anzusehen. Dadurch lassen sich Marketing-Versprechen und realer Nutzen sehr leicht überprüfen. Darüber hinaus schätzen es viele Nutzer, Produktempfehlungen basierend auf einer aktuellen Produktwahl angezeigt zu bekommen.

„Vertrauen wird bei den klassischen Anbietern gesehen, Kundennähe wird in der digitalen Welt gefunden.“

In der analogen Welt pflegen viele Kunden eine vertrauensvolle Beziehung zu ihrem persönlichen Ansprechpartner, zum Beispiel dem Bankberater. Welche Rolle spielen Vertrauen und Kundennähe in der digitalen Welt?

Müller: Im Finanzsektor spielt Vertrauen eine große Rolle. Traditionelle Finanzdienstleister profitieren davon. Aus Umfragen zur Nutzung von mobilen Bezahlsystemen oder Fintechs geht bislang hervor, dass mangelndes Vertrauen in Sicherheit oder Zuverlässigkeit ausschlaggebende Gründe dafür sind, auf klassische Finanzdienstleister zurückzugreifen. Doch es zeichnen sich bereits Veränderungen ab. Zum Preis-Leistungs-Verhältnis, der Transparenz und insbesondere bei der Frage nach kundenorientierten Angeboten schneiden einige Fintechs in Umfragen besser ab. Vertrauen wird also bei den klassischen Anbietern gesehen, Kundennähe in der digitalen Welt gefunden.
 

Wie können Unternehmen online Kundennähe aufbauen?

Müller: Indem bereits vorhandenes Vertrauen der Kunden durch digitale Angebote ergänzt wird. Zum Beispiel, indem Kunden Erfahrungsberichte anderer Konsumenten oder Bewertungen von Experten geliefert werden. Entsprechend sollte das eigene Content-Management zur Produktpalette unter diesen Gesichtspunkten erweitert und aktuell gehalten werden.
 

Immer mehr Unternehmen bieten ihren Kunden die direkte Kommunikation etwa per Chat oder Video-Übertragung an. Wird diese Kommunikationsform weiter an Bedeutung gewinnen – und ist es sinnvoll, den Kunden auch online einen persönlichen Ansprechpartner anzubieten?

Müller: Definitiv. Prinzipiell empfiehlt es sich zu überlegen, wie die jeweiligen Zielgruppen bevorzugt kommunizieren. Diese Formate sollten dann auch angeboten werden.

„Kommunikation über soziale Medien sollte nicht beiläufig betrieben werden.“

Viele Menschen nutzen Bewertungsportale und soziale Medien, um sich über Produkte und Unternehmen zu informieren. Wie lässt sich über diese Plattformen Kundennähe herstellen?

Müller: Indem auch bei diesen Angeboten die Möglichkeiten zur Partizipation genutzt werden. Bei Vergleichsportalen können oft Unternehmensbereiche zur Selbstpräsentation eingerichtet werden. Um soziale Medien als Informations- und Kommunikationskanal zu verwenden, sind qualifizierte Mitarbeiter erforderlich. Sie brauchen Fingerspitzengefühl in der Kommunikation mit den Kunden und müssen wissen, wie Inhalte für das Socialweb aufbereitet werden. Social-Media-affine Kunden verzeihen selten solche Kommunikationsfehler.

Ist es für Unternehmen wichtig, auf allen gängigen sozialen Netzwerken wie Facebook, Instagram oder Twitter vertreten zu sein?

Müller: Prinzipiell ja, aber die Maßnahmen sollten wie schon angedeutet geplant und durch ein dafür ausgebildetes Team umgesetzt werden. Kommunikation über soziale Medien sollte nicht beiläufig betrieben werden. Insbesondere im Fall von gezielten Kundenansprachen und, noch wichtiger, im Fall von Kundenreaktionen und Feedback über diese Plattformen, sollten bereits im Vorfeld Kommunikationsstrategien entwickelt werden.
 

Immer mehr Menschen orientieren ihr Handeln und ihren Konsum an Werten wie Regionalität, Heimatverbundenheit, Nachhaltigkeit und Qualität. Das spielt den bayerischen Genossenschaften als regional verwurzelten Unternehmen in die Hände. Ziehen diese Trümpfe auch online – und wie lassen sie sich am besten ausspielen?

Müller: In erster Linie dadurch, dass die regionalen Angebote gefunden werden können. Deshalb sollten neben den Maßnahmen zur Online-Kommunikation auch in die Sichtbarkeit durch Suchmaschinenoptimierung investiert werden. Die Schlagworte dazu lauten „Search-Engine-Optimization“ (SEO) und „Search-Engine-Advertising“ (SEA). Beim SEA geht es darum, dass gegen Gebühr bei einer Suche nach Schlagworten eigene Weblinks bei einer Suchdarstellung priorisiert dargestellt werden. Und um in einer normalen Suche besser gefunden zu werden, sollte die eigene Website hinsichtlich von SEO-Kriterien optimiert sein.
 

Wo sollten Genossenschaften zuerst ansetzen, wenn sie ihr auf Kundennähe basierendes Geschäftsmodell in die digitale Welt übertragen wollen?

Müller: Empfehlenswert ist es, das eigene Produktportfolio hinsichtlich der Kommunikationsgewohnheiten der Zielgruppe zu analysieren und die eigene digitale Content-Strategie entsprechend darauf abzustimmen. Dann kann eine erfolgreiche digitale Kundenbindung auch mit begrenzten Ressourcen gelingen.
 

Herr Müller, vielen Dank für das Interview!

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