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Herr Minister, Sie sind mit dem Ziel angetreten, der Energiewende in Bayern „neuen Schwung zu verleihen“. Was haben Sie schon bewegt?

Hubert Aiwanger: Der wichtigste Aspekt ist, dass wir das damals fast verschwundene Thema Energiewende wieder in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt und viele Menschen dazu bewegt haben, sich für den Ausbau der erneuerbaren Energien einzusetzen. So haben wir 2020 die „Team Energiewende Bayern“-Initiative des Staatsministeriums für Wirtschaft gegründet, um für mehr Engagement zu begeistern und die Akzeptanz für die Energiewende in Bayern zu steigern. Außerdem habe ich die Landesagentur für Energie und Klimaschutz (LENK) ins Leben gerufen, die im Bayerischen Landesamt für Umwelt ihre Arbeit aufgenommen hat. LENK wurde seit 2019 gemeinsam mit dem Umweltministerium aufgebaut. Zu den Aufgaben gehören beispielsweise, den Windkraftausbau in Bayern voranzubringen, die Bayerische Staatsverwaltung klimaneutral aufzustellen und eine Plattform zur Kompensation von Treibhausgasen aufzubauen.
 

Wie kommen Sie bei Fachthemen voran?

Aiwanger: Auch hier haben wir Fortschritte erzielt. Besonders möchte ich auf das 2019 neu aufgelegte PV-Speicher-Programm hinweisen, das sich als großer Erfolg darstellt, und bei dem wir bis heute bereits über 73.000 Anträge verzeichnen können. Es bringt sowohl den Ausbau der Dach-Photovoltaik als auch die Installation von privaten Batteriespeichern voran. Mit dem Förderprogramm „Wasserkraftanlagen“ unterstützen wir seit Oktober 2021 auch die umweltverträgliche Modernisierung und den Ausbau von Wasserkraftanlagen. Im Rahmen der zurückliegenden Novellierung des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) konnten durch die Initiative Bayerns Verbesserungen für die Bioenergie-Branche erreicht werden. Dadurch wird es für Anlagenbetreiber wieder rentabel, Strom aus Biomasse zu erzeugen. Wir haben eine bessere Vergütung von Strom aus Biomasseanlagen erreichen können. Zudem wurde das Ausschreibungsvolumen für die installierte Leistung von Biomasseanlagen von 200 Megawatt auf 600 Megawatt pro Jahr erhöht. Zusätzlich wird für Biomethananlagen in der Südregion pro Jahr eine installierte Leistung von 150 Megawatt ausgeschrieben. Diese positiven Veränderungen der Rahmenbedingungen werden zur Stärkung der Stromerzeugung aus Biomasse in Bayern beitragen.
 

Wie geht es weiter?

Aiwanger: Den neuen Schwung wollen wir nutzen, um damit den Ausbau der erneuerbaren Energien in Bayern und viele andere drängende Energiethemen wie Energieeffizienz, Flexibilisierung der Strompreise oder den Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur weiter entschlossen voranzubringen. Mittelfristig gilt es natürlich, die weiteren bayerischen Initiativen mit den Aktivitäten des Bunds in Einklang zu bringen.

„Energiegenossenschaften haben sich bei der Verwirklichung neuer Erneuerbare-Energie-Projekte bewährt.“

„Mein Ziel ist eine Bürger-Energiewende“, haben Sie in Ihrer Regierungserklärung vom 27. November 2019 gesagt, als Sie das „Bayerische Aktionsprogramm Energie“ vorgestellt haben. Welchen Wert messen Sie dabei den Energiegenossenschaften bei, die das gesellschaftliche Engagement von rund 38.000 Mitgliedern – größtenteils Privatpersonen – bei Projekten mit erneuerbaren Energien bündeln?

Aiwanger: Die Einbindung der von neuen Energieanlagen betroffenen Bürger, insbesondere der unmittelbaren Anwohner einer Windenergieanlage, ist wohl der zentrale Schlüssel, um die Akzeptanz der Menschen herbeizuführen. Wenn die Bürger wissen, dass die Erträge der Anlagen nicht anonymen Investoren, sondern ihnen selbst zugutekommen, wird das Drehen eines Windrads nicht mehr als Beeinträchtigung, sondern als „Bereicherung“ im wahrsten Sinn des Worts wahrgenommen. Genossenschaften bieten den Bürgern die Möglichkeit, sich anteilig an den Anlagen zu beteiligen, ihr Stimmrecht einzubringen, und von der Unterstützung des Genossenschaftsverbands Bayern zu profitieren. Daher sind Energiegenossenschaften sehr wichtig für die Energiewende.

„Bürgergetragene Energieprojekte steigern die Akzeptanz vor Ort und tragen zur Wertschöpfung in der Region bei.“

Wo gibt es aus Ihrer Sicht Handlungsbedarf, um die Rahmenbedingungen für bürgergetragene Energieprojekte zu verbessern?

Aiwanger: Bürgergetragene Energieprojekte steigern die Akzeptanz vor Ort und tragen zur Wertschöpfung in der Region bei. Energiegenossenschaften haben sich bei der Verwirklichung neuer Erneuerbare-Energie-Projekte bewährt. Die Teilnahme an den Ausschreibungen, der Bau sowie auch die Genehmigung der Anlagen müssen möglichst effizient ablaufen. Die neue Bundesregierung hat hier insbesondere für die Windenergie Vereinfachungen angekündigt. Wir in Bayern haben viele Möglichkeiten, den Ausbau der Windkraft wieder voranzubringen, etwa durch Repowering und Standorte in den Staatsforsten, aber auch im Privatwald. Ganz grundsätzlich müssen die für den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien erforderlichen Ausschreibungsvolumina sowie die Netzkapazitäten gegeben sein, auch hier besteht derzeit noch Nachholbedarf. Als weiterer wichtiger Punkt sollte der gemeinsame Betrieb von Erneuerbare-Energien-Anlagen beziehungsweise die Eigenversorgung von Projektbeteiligten mit dem erzeugten Strom ermöglicht werden, das Stichwort ist hier „Energy Sharing“.

Die Staatsregierung hat sich vorgenommen, den Freistaat bis 2040 klimaneutral zu machen. Mit welchen Mitteln wollen Sie diese Ziele erreichen?

Aiwanger: Unser ehrgeiziges Ziel eines klimaneutralen Bayern bis 2040 kann nur erreicht werden, wenn alle gemeinsam an einem Strang ziehen. Die EU und der Bund müssen ihre Hausaufgaben machen und die richtigen Rahmenbedingungen setzen. Der Freistaat wird dies mit ergänzenden Maßnahmen tatkräftig unterstützen. Und die Bürger und die Wirtschaft müssen diesen Weg mitgehen, wofür ich sehr optimistisch bin. Da über 80 Prozent der Treibhausgasemissionen energiebedingt sind, ist die Energiewende der entscheidende Hebel für den Klimaschutz. Wir wollen dafür auch viel Geld in die Hand nehmen. Allein für den Haushalt 2022 haben wir dem Bayerischen Landtag eine zusätzliche „Klima-Milliarde“ vorgeschlagen. Das Geld soll vor allem dafür verwendet werden, mit der Energieeffizienz und dem Einsatz erneuerbarer Energien weiter voranzukommen. Fast die Hälfte der Mittel wollen wir für Forschung und größere Projekte in den Bereichen Wasserstoff und Energiespeicher/Batterien ausgeben. Damit setzen wir die richtigen Schwerpunkte für ein künftig klimaneutrales Bayern.

„Bayern wird zeigen, dass Windkraft sehr wohl mit Bürger- und Naturschutzinteressen vereinbar ist.“

Wegen der 10-H-Regel kommt der Ausbau der Windkraft in Bayern nur sehr schleppend voran. Nun haben Sie im Oktober 2021 gemeinsam mit Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber einen Ausbauplan für die Windkraft vorgestellt. Wie trägt dieser dazu bei, dass der Ausbau von Windenergieanlagen wieder an Fahrt gewinnt?

Aiwanger: Bei unserer Windoffensive Wald geht es darum, das Potenzial in unseren heimischen Wäldern zu beleuchten und möglichst zu heben. Der große Vorteil dieser Standorte ist, dass Windräder in Waldgebieten weniger optische Beeinträchtigungen mit sich bringen und deshalb bei der Bevölkerung besser akzeptiert werden. Um auf die Möglichkeiten aufmerksam zu machen, Windräder im Wald zu errichten, wurden im Energie-Atlas Bayern Gebiete mit entsprechender Windhöffigkeit (der Begriff bezeichnet das durchschnittliche Windaufkommen an einem Standort, Anmerkung der Redaktion) und Waldgebiete für eine kartographische Darstellung verschnitten. Das Kartenmaterial ist auf der Homepage des Wirtschaftsministeriums öffentlich zugänglich. Die Karten ermöglichen Kommunen und Waldbesitzern eine erste Einschätzung, ob Flächen gegebenenfalls zur Windenergienutzung infrage kommen. Zusätzlich haben wir sogenannte Windkümmerer engagiert, die die Kommunen vor Ort unterstützen, Wissen und Bewusstsein zum Thema Windkraft zu verbreiten und damit die Akzeptanz von Windkraftanlagen auch unter der 10-H-Regel herbeizuführen. Wir haben erst kürzlich mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ein sehr konstruktives Gespräch geführt, in dem wir den Bau von Windkraftanlagen an etwa 300 Standorten angekündigt haben. Bayern wird zeigen, dass Windkraft sehr wohl mit Bürger- und Naturschutzinteressen vereinbar ist.

Ein weiteres großes Hemmnis für den Ausbau von Erneuerbare-Energien-Anlagen sind derzeit die Netzanschlüsse. Sie haben eine Initiative Verteilnetz und Erneuerbare Energien Bayern angestoßen, an der sich auch der Genossenschaftsverband Bayern (GVB) beteiligt hat. Welche Maßnahmen konnten Sie daraus ableiten?

Aiwanger: Die Initiative Verteilnetz und Erneuerbare Energien Bayern hat zum Ziel, neue Anlagen schneller ans Netz zu bekommen und den Ausbau von Erneuerbare-Energien-Anlagen und Stromnetzen besser zu synchronisieren. Dies ist Grundlage dafür, den in den kommenden Jahren notwendigen beschleunigten Ausbau regenerativer Erzeugungsanlagen meistern zu können. Hierfür haben wir Vertreter aller relevanten Akteure zusammengebracht – von Netzbetreibern über den GVB und Verbänden der erneuerbaren und der allgemeinen Energiewirtschaft bis hin zu den Kommunen – um aktuelle Hemmnisse zu identifizieren und Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten. Hier sind viele Akteure beteiligt und müssen an einem Strang ziehen, sich also besser abstimmen bei konkreten Anlagenplanungen, -genehmigungen und dem zugehörigen Netzausbau. Die Genehmigungsverfahren müssen beschleunigt werden, auch mittels Digitalisierung. Darüber hinaus müssen Anreize für eine optimierte Netzplanung evaluiert werden. Damit gehen wir mehrere sehr komplexe Fragen an – entsprechend ist der Prozess auch gerade erst am Anfang. Im Laufe dieses Jahres rechne ich aber bereits mit konkreten Umsetzungserfolgen in Bayern.

„Es muss klar sein, dass es den mit der Netzintegration zahlreicher dezentraler Erzeugungsanlagen verbundenen Ausbau der Elektrizitätsverteilernetze nicht gratis geben kann.“

Die größten Erzeugungskapazitäten für erneuerbare Energien entstehen in den ländlichen Räumen. Um die zusätzlichen dezentralen Erzeugungskapazitäten aufzunehmen, müssen Netze dort deutlich stärker ausgebaut werden. Dies führt zu einem überproportionalen Investitionsbedarf in ländlichen Regionen und dadurch zwangsläufig zu höheren Netzentgelten. Welche Möglichkeiten sehen Sie, um diese auszugleichen?

Aiwanger: Zunächst einmal ist es ein echter Fortschritt, dass der gegenwärtig für Elektrizitätsverteilernetze geltende Regulierungsrahmen überhaupt eine verursachungsgerechte und zeitnahe Refinanzierung der Kapitalkosten zulässt, die im Zusammenhang mit der Netzintegration von dezentralen Erzeugungsanlagen entstehen. Die Kehrseite der Medaille ist jedoch, dass hohe Investitionskosten für die Netzintegration dezentraler Erzeugungsanlagen, gerade im ländlichen Raum, zu einem Ansteigen der für Elektrizitätsverteilernetze geltenden Netzentgelte beitragen können. Die Höhe der Netzentgelte wird auch durch zahlreiche andere Parameter beeinflusst, etwa die Besiedelungsdichte und das Alter der Netzinfrastruktur in den einzelnen Netzgebieten. Eine Rolle kann auch eine selten thematisierte Begleiterscheinung des im Rahmen der Energiewende vorangetriebenen Ausbaus dezentraler Erzeugungsanlagen spielen: Jetzt gibt es viele Letztverbraucher in einem Netzgebiet, die sich über eigene dezentrale Erzeugungsanlagen selbst versorgen und nur geringe Netzentgelte entrichten müssen. Die Kosten der örtlichen Netzinfrastruktur bleiben aber unverändert. Sie müssen dann von den übrigen Netznutzern, die nicht die Möglichkeit einer Eigenversorgung haben, getragen werden. Allen Marktteilnehmern und auch der Politik muss klar sein, dass es den mit der Netzintegration zahlreicher dezentraler Erzeugungsanlagen verbundenen Ausbau der Elektrizitätsverteilernetze nicht gratis geben kann.

„Ich stehe weiteren Privilegien für Bürgerenergiegesellschaften bei den Ausschreibungen grundsätzlich offen gegenüber.“

Das EEG legt fest, dass die Förderung von Freiflächen-PV-Anlagen ab 750 kW öffentlich ausgeschrieben werden muss. Damit werden bürgergetragene Vorhaben strukturell benachteiligt, da die Ausschreibungen mit hohen Kosten verbunden sind, selbst wenn das Projekt nicht zum Zuge kommt. Wie lässt sich dieses Problem lösen?

Aiwanger: Grundsätzlich gelten für alle Projekte einheitliche Voraussetzungen für die Teilnahme an Ausschreibungen. Das Ziel ist, den Erneuerbare-Energien-Ausbau möglichst kosteneffizient zu gestalten. Auch ich sehe aber das Problem, dass Bürgerenergiegesellschaften gegenüber größeren, kommerziell orientierten Unternehmen Wettbewerbsnachteile haben. So können Projektrisiken häufig nicht über mehrere Projekte gestreut werden und Kosten für die Teilnahme an einer einzigen Ausschreibung fallen wesentlich stärker ins Gewicht. Um diese Wettbewerbsnachteile zu adressieren, stehe ich weiteren Privilegien für Bürgerenergiegesellschaften bei den Ausschreibungen grundsätzlich offen gegenüber. Allerdings ist ganz entscheidend, dass dafür eine missbrauchssichere Definition gefunden wird, die lediglich lokal verankerte, tatsächlich schutzbedürfte Betreiber umfasst. Um die Umsetzung von Bürgerenergieprojekten zu unterstützen, können zudem Kommunen beispielsweise bereits heute bei der Aufstellung von Bebauungsplänen Voraussetzungen an die jeweiligen Anlagen festlegen und insofern bei einem Solar- oder Windpark eine vollumfängliche oder anteilige Umsetzung als Bürgerenergieprojekt einfordern.

Energiewende und Klimaschutz stehen auf der Agenda der neuen Bundesregierung ganz oben. Wie bewerten Sie die Pläne der Ampelkoalition und wo sehen Sie aus bayerischer Perspektive Nachbesserungsbedarf?

Aiwanger: Der Koalitionsvertrag der Ampelkoalition enthält im Bereich Energiewende und Klimaschutz einerseits wichtige Punkte, in anderen Teilen sehe ich Verbesserungsbedarf oder die Punkte sind noch zu unkonkret, um sie abschließend zu bewerten. Das Ausbauziel von 80 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien bis 2030 ist sehr ambitioniert. Aber nur so werden wir das Ziel der Klimaneutralität bis 2045, in Bayern sogar bis 2040, erreichen. Die Absenkung der EEG-Umlage auf null ab 1. Januar 2023 begrüße ich ausdrücklich. Es war eine bayerische Forderung, Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Unternehmen dadurch angesichts der hohen Energiepreise zu entlasten – auch wenn ich mir die Entlastung noch früher gewünscht hätte. Außerdem ist es richtig, dass angesichts des gegenwärtigen Energiepreisniveaus im Rahmen des nationalen Brennstoffemissionshandels keine Erhöhung des aktuell vorgesehenen Preispfads festgehalten wurde. Um einen früheren Kohleausstieg zu kompensieren, setzt die Ampelkoalition zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit auf die „Prüfung“ eines Kapazitätsmechanismus als Anreiz für den Zubau gesicherter Leistung in Form von H2-ready-Gaskraftwerken: Hier darf die neue Bundesregierung keine Zeit verlieren und muss schnellstmöglich tätig werden. Dazu muss insbesondere garantiert werden, dass die aufwendigen, teils europarechtlich zwingend erforderlichen Schritte schnell umgesetzt werden und zeitlich strikt ineinandergreifen. Beim Thema Wasserstoff begrüße ich die vorgesehenen Maßnahmen wie die Fortschreibung der Wasserstoffstrategie in 2022 oder die Erhöhung der bis 2030 anvisierten Elektrolysekapazität auf 10 GW. Das Bekenntnis zum Einsatz für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und für einen wirksamen Carbon-Leakage-Schutz auf europäischer und internationaler Ebene ist auch mir ein wichtiges Anliegen. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie dieses Ziel mit Leben gefüllt wird. Für den Erhalt der internationalen Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen werde ich mich auch bei der neuen Bundesregierung entschieden einsetzen.

„Ich setze mich für die Einführung eines Industriestrompreises zur Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der stromkostenintensiven Unternehmen ein.“

Die stark gestiegenen Energiepreise belasten Unternehmen und Privathaushalte gleichermaßen. Was schlagen Sie vor, um die Industrie sowie Verbraucherinnen und Verbraucher zu entlasten?

Aiwanger: Auch ich beobachte die Entwicklung der Strom- und Gaspreise mit großer Sorge. Seit Mitte Mai 2021 ist der Börsenpreis für Erdgas immer stärker angestiegen. Der hohe Gaspreis führt auch zu einer Erhöhung der Großhandelspreise für Strom. Denn an der Strombörse setzen die Gaskraftwerke den Preis für alle Stromerzeuger, weil sie die höchsten Grenzkosten aufweisen. Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Unternehmen müssen nun sofort deutlich entlastet werden. Dazu bietet sich eine Senkung des Strompreises an, der nicht nur für die privaten Haushalte, sondern vor allem auch für mittelständische Unternehmen in erheblichem Umfang mit Abgaben, Umlagen und Netzentgelten belastet ist. Seit Oktober 2021 habe ich den Bund angesichts der aktuellen Energiepreissteigerungen mehrfach aufgefordert, die EEG-Umlage ganz abzuschaffen, die Energiesteuern zu senken und eine Reduzierung der Mehrwertsteuer auf Kraft- und Heizstoffe zu prüfen. Die Koalitionspartner der neuen Bundesregierung haben inzwischen die Absenkung der EEG-Umlage auf null zum 1. Januar 2023 in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart. Bereits zum 1. Januar 2022 ist die EEG-Umlage von vorher 6,5 Cent pro Kilowattstunde auf 3,723 Cent pro Kilowattstunde gesunken, dem niedrigsten Stand seit zehn Jahren.
 

Welche weiteren Ansätze sehen Sie?

Aiwanger: Ich fordere zudem die Absenkung der Stromsteuer auf das europarechtlich zulässige Mindestmaß sowie einen Bundeszuschuss zu den Übertragungsnetzentgelten in Höhe von zwei Milliarden Euro im Jahr. Dadurch könnte der Bund schnell eine spürbare Entlastung schaffen. Zudem müssen wir für die im internationalen Wettbewerb stehenden stromkostenintensiven Unternehmen den Wirtschaftsstandort Bayern attraktiv halten. Ich setze mich daher für die Einführung eines Industriestrompreises zur Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der stromkostenintensiven Unternehmen ein. Außerdem müssen wir grünen Wasserstoff schneller in die Anwendung bringen, um uns langfristig von den Erdgaslieferungen unabhängiger zu machen.

„Ich beobachte interessiert, dass einzelne Energiegenossenschaften beabsichtigen, ihr Portfolio um grüne Wasserstoff-Technologien zu erweitern.“

Innovationen und technologischer Fortschritt sind wichtige Bestandteile auf dem Weg zur Klimaneutralität. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Technologien für die Zukunft und inwieweit sehen Sie dabei Chancen, dass sich auch Bürger etwa beim grünen Wasserstoff beteiligen können, beispielsweise in Form von Genossenschaften?

Aiwanger: Wir streben Innovationen und Weiterentwicklung über alle Energie-Technologien entlang der 13 Handlungsfelder des Aktionsprogramms Energie an. Das Staatsministerium für Wirtschaft fördert daher technologieoffen sowohl außeruniversitäre Energieforschung als auch durch das langjährig etablierte Bayerische Energieforschungsprogramm nachhaltige und innovative F&E-Vorhaben aus dem Energiebereich von Unternehmen in Bayern. Wichtig sind uns innovative Wasserstoff-Technologien, die eine zeitliche und räumliche Entkopplung von Energieerzeugung und -verbrauch sowie Sektorkopplung insbesondere hin zu den Sektoren Verkehr und Industrie ermöglichen. Als Speicher- und Sektorkopplungs-Technologie ist neben Wasserstoff auch die Weiterentwicklung von Batterie-Technologien wie die Entwicklung der Festkörperbatterie entscheidend. Hierfür fördert das Ministerium gemeinsam mit der EU und dem Bund die außeruniversitäre Batterieforschung des Bayerischen Batterienetzwerks.
 

Welche weiteren Innovationen halten Sie für vielversprechend?

Aiwanger: Auch bei Photovoltaik-Technologien gibt es vielversprechende Neuerungen wie die Tandem-Solarzellen der nächsten Generation zur Steigerung des Wirkungsgrads, die Kombination von landwirtschaftlicher Nutzung und Stromerzeugung durch Agri-PV und bauwerkintegrierte PV.  Natürlich müssen wir gleichzeitig die Energieeffizienz steigern. Und schließlich können Digitalisierungs-Technologien im Energiebereich viel bewirken, von der besseren Netzauslastung bis zu Steuerung des Verbrauchs. Ich beobachte interessiert, dass einzelne Energiegenossenschaften beabsichtigen, ihr Portfolio um grüne Wasserstoff-Technologien in Form von Elektrolyseuren zu erweitern, um neue nachhaltige Geschäftsfelder im Bereich von Speicherung und Sektorkopplung zu erschließen. Dies kann sich zu einem Trend entwickeln, um dezentral und regional die Vorzüge von Wasserstoff auf dem Weg zur Klimaneutralität nutzbar zu machen. Das Wirtschaftsministerium hat drei Wasserstoff-Multiplikatoren als Expertinnen und Experten an der Landesagentur für Energie und Klimaschutz als lokale Unterstützung eingerichtet, die regional die Umsetzung von sinnvollen Wasserstoff-Lösungen begleiten können.
 

Herr Minister, vielen Dank für das Gespräch!

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