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Herr Gros, welche Bilanz ziehen Sie für die 1.000 genossenschaftlichen Waren- und Dienstleistungsunternehmen in Bayern für das Jahr 2020?

Jürgen Gros: Insgesamt konnten sie sich auch im von Corona geprägten Jahr behaupten. Der Umsatz stieg um 2,4 Prozent von 13,1 Milliarden Euro auf 13,4 Milliarden Euro. Das Ergebnis legte auf 331,7 Millionen Euro zu. 2019 lag es bei 308,4 Millionen Euro – ein Plus in Höhe von 7,5 Prozent.
 

„So heterogen die genossenschaftlichen Waren- und Dienstleistungsunternehmen in Bayern sind, so differenziert ist das Bild, was die Entwicklung im Corona-Jahr 2020 angeht.“

Welche Branche hat besonders von der Corona-Pandemie profitiert?

Gros: Die genossenschaftlichen Waren- und Dienstleistungsunternehmen in Bayern sind in mehr als 35 Branchen vertreten. So heterogen diese Gruppe ist, so differenziert ist das Bild, was die Entwicklung im Corona-Jahr 2020 angeht. Während beispielsweise IT-Dienstleister und Unternehmen in den Bereichen Gesundheit zulegen konnten, spürten Unternehmen in den Bereichen Gastronomie, Tourismus, Transport und Kultur sowie Brauereien die negativen Folgen des Lockdowns.

Alle Unterlagen zur Jahresbilanz

Infomaterialien zur Geschäftsentwicklung der bayerischen Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften im Jahr 2020 gibt es auf der GVB-Webseite.

Bleiben wir bei den Brauereien. Welche Auswirkungen hatten die Corona-Maßnahmen auf sie?

Gros: Der Bierkonsum ist drastisch eingebrochen, da dieser maßgeblich außer Haus in Kneipen und auf Festen angekurbelt wird. Der noch jungen Brauereigenossenschaft Remonte Bräu Schleißheim bei München beispielsweise droht aufgrund des ablaufenden Mindesthaltbarkeitsdatums, dass Bier fässerweise weggeschüttet werden muss. Gasthausbrauereien wie die Kulmbacher Kommunbräu in Oberfranken wiederum erkämpften sich nur schwerlich einen Zugang zu den staatlichen Corona-Hilfen, weil sie als Gemischtbetriebe anfangs durchs Raster fielen. Inzwischen wurden Nachbesserungen für Brauereien erreicht. Generell kann festgehalten werden: Die Brauereien bekamen deutliche Umsatzeinbrüche zu spüren. Die lange Zeit der Unsicherheit wirkte sich zusätzlich negativ aus. Das zeigt, wie wichtig es ist, den Betrieben klare Perspektiven zu geben.

Perspektiven sind ebenso für Gründer wichtig. Hat durch die Corona-Pandemie auch so manchen der Mut verlassen, eine Genossenschaft ins Leben zu rufen?

Gros: Die Sondersituation des Jahres 2020 hat dem Gründungsgeschehen bei Genossenschaften keinen Abbruch getan. Die Unternehmensform der Genossenschaft ist beliebt. Der GVB begleitete im vergangenen Jahr 19 Gründungen von Genossenschaften. 2019 waren es 18, im Jahr davor 14. Dabei setzten sich Gründungstrends aus den Vorjahren fort.
 

2019 zeichnete sich ein Trend zur Gründung von Nahwärmegenossenschaften ab. Hielt dieser auch im vergangenen Jahr an?

Gros: Ja, die Gründungen in diesem Bereich gehen weiter. Im Jahr 2020 gab es erneut vier Gründungen mit diesem Zweck – für das laufende Jahr zeichnet sich bereits ein zunehmendes Gründungsgeschehen ab. Die anderen Gründungen des vergangenen Jahres erstreckten sich von Unverpackt-Läden über Beratungsdienstleister bis hin zu genossenschaftlichen Modellen für Altenpflege und Seniorenwohnheime.

In Bayern gibt es 90 Raiffeisen Warenunternehmen. Wie fällt deren Bilanz aus?

Gros: Mit einem Umsatzplus von 2,3 Prozent blicken sie auf ein gutes Jahr zurück. Der Umsatz legte von 1,20 Milliarden Euro auf mehr als 1,23 Milliarden Euro zu. Das Ergebnis stieg um 84,6 Prozent von 11,8 Millionen Euro auf 21,7 Millionen Euro. Mit dazu beigetragen hat die befristete Senkung der Umsatzsteuer im vergangenen Jahr von 19 Prozent auf 16 Prozent. Einige Kunden haben deswegen Käufe vorgezogen – das ließ sich vor allem bei Dünger und Pflanzenschutzmitteln beobachten. Dieser Vorzieheffekt hat aber seine Kehrseite, denn er trübt die Aussichten für das laufende Jahr. Doch auch bei Garten- und Baustoffen konnten die Raiffeisen Warenunternehmen zulegen. Viele Menschen wollten es sich aufgrund des Lockdowns zu Hause schön machen oder sie gingen ohnehin geplante Bauprojekte an.

Wie lief das Corona-Jahr 2020 für die ländlichen Genossenschaften?

Gros: Die 247 ländlichen Genossenschaften verzeichneten einen Umsatzrückgang um 3,5 Prozent von 1,34 Milliarden Euro auf 1,30 Milliarden Euro. Das Ergebnis legte von 20,6 Millionen Euro um 18,1 Prozent auf 24,4 Millionen Euro zu. Bei den Vieh- und Fleischgenossenschaften hat sich zum einen der Corona-bedingte Schlachtstau negativ ausgewirkt. Die Einschränkungen im öffentlichen Leben und die Schließung gastronomischer Betriebe führten zum anderen dazu, dass viele Menschen wieder mehr zu Hause selbst kochen. Dadurch ist der Absatz im Lebensmitteleinzelhandel gestiegen. Das hatte eine Veränderung der Nachfrage zur Folge. Während in der Gastronomie vor allem Edelteile wie Filets gefragt sind, erlebte durch das Kochen zu Hause Hackfleisch eine gesteigerte Nachfrage. Für das laufende Jahr zeichnet sich im Bereich Fleisch in den ersten Monaten eine gewisse Entspannung ab. Insgesamt ist im Lebensmittelbereich eine Verschiebung hin zu mehr Bio zu beobachten – angeschoben durch den privaten Konsum. Wer nicht in den Urlaub fahren kann, gönnt sich zu Hause mehr.

„Insgesamt ist im Lebensmittelbereich eine Verschiebung hin zu mehr Bio zu beobachten. Wer nicht in den Urlaub fahren kann, gönnt sich zu Hause mehr.“

Wie erlebten die Milchgenossenschaften das vergangene Jahr?

Gros: Durch die Einschränkungen des öffentlichen Lebens ergab sich eine gemischte Lage bei den 114 Milchgenossenschaften. Betriebe mit engen Lieferbeziehungen zum Lebensmitteleinzelhandel konnten profitieren. Molkereien, die vor allem Großabnehmer zu ihren Kunden zählen, bekamen die Schließungen von Restaurants, Kantinen und Hotels stark zu spüren. Unter dem Strich blieben die Umsätze mit 3,20 Milliarden Euro stabil – im Jahr davor war der Umsatz bei 3,19 Milliarden Euro gelegen. Das Ergebnis kletterte um 6,5 Prozent von 51,4 Millionen Euro auf 54,7 Millionen Euro. Der Milchauszahlungspreis in Bayern lag mit 34,4 Cent pro Kilogramm 0,7 Cent unter dem Vorjahreswert, aber 1,6 Cent über dem bundesdeutschen Wert.

Ergebnis- und Umsatzzuwachs bei deutlichen Branchenunterschieden: Die Geschäftsentwicklung der genossenschaftlichen Waren- und Dienstleistungsunternehmen in Bayern im Detail.

Wie haben sich die Genossenschaften in anderen Branchen entwickelt?

Gros: Da wären zum einen die Handelsgenossenschaften. Sie konnten ihren Umsatz von 5 Milliarden Euro auf knapp über 5,3 Milliarden Euro steigern, was einer Zunahme um 6,5 Prozent entspricht. Das Ergebnis gab um 17,2 Prozent nach und sank von 35,8 Millionen Euro auf 29,7 Milliarden Euro. Der Handel im Gesundheitsbereich trug erheblich zum Plus bei. Im Bereich Handwerk konnten zum anderen Einkaufsgenossenschaften besonders profitieren, die in der Baubranche oder baunahen Dienstleistungen tätig sind. Zum Teil kletterten hier die Umsätze um sechs Prozent. Da sich am Bau keine Abschwächung des Booms andeutet, dürften diese Genossenschaften auch im aktuellen Jahr weiter zulegen. Außerdem konnten ebenso die gewerblichen Waren- und Dienstleistungsgenossenschaften ihre Umsätze steigern, um 3,1 Prozent von 1,21 Milliarden Euro auf 1,25 Milliarden Euro. Das Ergebnis legte um 10,4 Prozent von 125,9 Millionen Euro auf 138,9 Millionen Euro zu.

Welche Unternehmen sind in der Sparte gewerbliche Genossenschaften vertreten, und gibt es auch hier, wie eingangs angesprochen, unterschiedliche Entwicklungen?

Gros: Ja, hier sind die Unterschiede besonders augenfällig, was wiederum zeigt, wie vielgestaltig die Genossenschaften sind. Das Umsatzplus ist insbesondere auf Unternehmen im Bereich IT-Dienstleistungen zurückzuführen. Zu den krisengebeutelten Branchen unter den GVB-Mitgliedern zählen Kinos, Gastronomie oder Genossenschaften, die im Regionalmarketing, Tourismus oder in der Beratung tätig sind.

Wie haben die Energiegenossenschaften das Corona-Jahr erlebt?

Gros: Durch die Einschränkungen sank der Strombedarf, insbesondere in der Industrie bei stromintensiven Unternehmen. Außerdem hatten touristische Zentren geschlossen. Das spürten die genossenschaftlichen Energieversorger. Gestiegene Strompreise sowie der Mehrbedarf im privaten Bereich konnten den Rückgang im Verbrauch nicht kompensieren. Die 258 Energiegenossenschaften verzeichneten deshalb einen Umsatzrückgang von 20,2 Millionen Euro um 5,6 Prozent auf 339,9 Millionen Euro. Das Ergebnis legte um 3,4 Prozent zu und erreichte 2020 29,1 Millionen Euro, nach 28,1 Millionen Euro im Jahr davor. Auch innerhalb dieser Genossenschaftssparte muss differenziert werden: 2020 war ein sonnenreiches Jahr. Mit 1.965 Sonnenstunden waren es 60 Sonnenstunden mehr als 2019. Außerdem wurden neue Photovoltaik-Anlagen gebaut. Hinzu kommt, dass die Abschreibungen für einige Anlagen ausgelaufen sind. Dadurch konnten die 102 Photovoltaik-Genossenschaften ihren Umsatz von 27,2 Millionen Euro auf knapp 30,5 Millionen Euro steigern. Das Ergebnis legte um 30,9 Prozent von 6,5 Millionen Euro auf knapp 8,5 Millionen Euro zu. Ebenso steigerten die 86 Nahwärmegenossenschaften ihren Umsatz um 5,6 Prozent – von 9,2 Millionen Euro auf 9,7 Millionen Euro. Der Ertrag kletterte um knapp 10 Prozent von 881.000 Euro auf 970.000 Euro.

Vielen Dank für das Gespräch!

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