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Lagarde zur zukünftigen Geldpolitik der EZB:

„Die europäische Wirtschaft steht vor großen Herausforderungen, die eine gemeinsame europäische Antwort erfordern. Wir brauchen einen neuen Politik-Mix zur Förderung des Binnenwachstums (…). Dazu gehört als erstes die Geldpolitik, die meiner Verantwortung unterliegt und die in naher Zukunft einer strategischen Überprüfung unterzogen wird. Die expansive Geldpolitik der EZB war während des Aufschwungs ein wesentlicher Treiber der Binnennachfrage, und diese Haltung bleibt weiter bestehen. Wie die EZB in ihrer ‚forward guidance‘ (Anm.: Hinweise der Notenbank zur längerfristigen Ausrichtung der Geldpolitik) darlegt, wird die Geldpolitik der EZB weiterhin darauf ausgerichtet, die Wirtschaft zu stützen und im Einklang mit unserem Preisstabilitätsmandat auf künftige Risiken reagieren. Wir werden die Nebenwirkungen unserer Geldpolitik kontinuierlich überwachen.“

Dazu meine ich: „Die Analyse von Christine Lagarde ist zutreffend. Die Wirtschaft in der Eurozone steht vor großen Herausforderungen. Brexit, Handelsstreitigkeiten und Co. belasten insbesondere Deutschland, drücken aber auch europaweit auf die Konjunktur. Nach Jahren des Wachstums muss sich die Eurozone auf ein geringes Wachstum oder sogar eine Stagnation einstellen. Die Antwort der EZB auf die zunehmenden Konjunktursorgen und die weiterhin niedrigen Inflationserwartungen war und ist: mehr billiges Geld. Mit diesem Ansatz bin ich nicht einverstanden. Nach fast einem Jahrzehnt expansiver Geldpolitik ist der Punkt erreicht, an dem sich die Notenbank endlich Gedanken machen muss, ob ihre geldpolitische Strategie noch in die Zeit passt. Die expansive Geldpolitik hat zwar den wirtschaftlichen Motor bisher am Laufen gehalten, die Nebenwirkungen sind aber längst nicht mehr tolerabel. Sie greifen nicht nur das Geschäftsmodell der Regionalbanken an, sondern stellen die Grundsätze unseres Altersvorsorgesystems infrage, halten nicht-überlebensfähige Unternehmen am Leben (sogenannte Zombie-Firmen) und bergen Risiken für die Finanzmärkte. Die von Christine Lagarde angekündigte Überprüfung der EZB-Strategie ist daher überfällig. Die Notenbank muss ergebnisoffen prüfen, ob ihr Ziel einer Preissteigerung von mittelfristig unter aber nahe 2 Prozent noch in die Zeit passt. Auch die zugrundliegenden Instrumente wie der Warenkorb, mit dem die Preissteigerung gemessen wird, gehören auf den Prüfstand. Es ist an der Zeit, einen Fahrplan aus dem Tal der Negativzinsen aufzuzeigen.“

Lagarde zur Rolle der Fiskalpolitik:

„Die Geldpolitik könnte ihr Ziel schneller und mit weniger Nebenwirkungen erreichen, wenn andere Strategien das Wachstum in Europa unterstützen würden. Ein zentrales Element ist hierbei die Fiskalpolitik in der Eurozone. Investitionen sind ein wichtiger Teil der Antwort auf die Herausforderungen von heute. Investitionen sind sowohl die Nachfrage von heute als auch das Angebot von morgen. Dabei geht es nicht nur um das Volumen der öffentlichen Ausgaben, sondern auch um deren Zusammensetzung. Während der Investitionsbedarf länderspezifisch ist, gibt es einen gemeinsamen Investitionsbedarf in eine Zukunft, die produktiver, digitaler und umweltfreundlicher ist. (…) Doch die öffentlichen Investitionen im Euro-Währungsgebiet liegen weiterhin weit unter dem Vorkrisenniveau. (…) Eine stärkere Binnenwirtschaft braucht auch höhere Unternehmensinvestitionen (…). Unternehmen müssen zuversichtlich in das künftige Wachstum sein, wenn sie langfristiges Kapital binden wollen.“

Dazu meine ich: „Zur Stimulierung der Eurozonen-Wirtschaft fordert Lagarde mehr öffentliche und private Investitionen in Digitalisierung, Forschung und Entwicklung sowie Klimaschutz. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist das nachvollziehbar: Höhere Investitionen können dazu beitragen, die Wirtschaft zu stimulieren und die Preise anzukurbeln. Diese dürfen jedoch nicht dazu führen, die ohnehin hohe Staatsverschuldung im Euroraum weiter nach oben schießen zu lassen. Neben staatlichen Investitionen sollte man sich daher insbesondere fragen, wie private Investitionen unterstützt werden können. Maßgeblich hierfür sind nicht zuletzt die Banken, die als Partner der Wirtschaft wichtige Innovationsprojekte finanzieren. Allein die bayerischen Volksbanken und Raiffeisenbanken haben in der Summe Kredite über 55 Milliarden Euro an Unternehmen ausgegeben. Diese wichtige Rolle als Finanzier der Realwirtschaft sollte auch die EZB unterstützen. Doch in ihrer Rolle als oberster Bankenaufseher zieht die EZB an vielen Stellen die Zügel für Banken an und erschwert damit die Finanzierung, anstatt sie zu fördern. Auch die Politik kann ihren Beitrag leisten: Bei der Umsetzung der finalen Basel III-Vorgaben für Banken sollte sie darauf achten, dass die Finanzierungsfunktion der Banken unterstützt und nicht beschränkt wird. Wir brauchen einen politischen Fahrplan, der die Auswirkungen von Aufsicht und Regulierung ganzheitlich betrachtet und die Rolle der Banken zur Finanzierung der Realwirtschaft unterstützt.“

Lagarde zur Wirtschafts- und Währungsunion:

„Obwohl alle entwickelten Volkswirtschaften mit Wachstumshemmnissen ringen, tut sich die Eurozone schwerer als die Vereinigten Staaten. (...) Um diese Lücke zu schließen, müssen wir unseren Binnenmarkt stärken. (...) Dazu gehört auch die Vollendung unserer Wirtschafts- und Währungsunion (Anm.: WWU). Die Gestaltung der WWU – und insbesondere das Gleichgewicht zwischen Risikoabbau und Risikoteilung – ist eng mit der Spar- und Ausgabenbereitschaft in Europa verbunden. (...) Es geht darum, den richtigen Kompromiss zu finden: Genügend Schutz gegen Moral Hazard, um zu verhindern, dass zu viel ausgegeben wird, aber genug gegenseitige Kontrolle, um eine zu starke Ersparnis zu verhindern. So könnten wir neue Wachstumsquellen erschließen.“

Dazu meine ich: „Eine expansive Geldpolitik und mehr Investitionen – das sind zwei von drei Säulen, auf denen Lagardes Plan für die Eurozone aufbaut. Die dritte Säule besteht nach ihrer Ansicht aus einer stärkeren Integration der Eurozone. Für Lagarde bedeutet mehr Europa vor allem mehr gemeinsame Ausgaben und Ausgleichsmechanismen auf europäischer Ebene. Übersetzt heißt das, eine stärkere Risikoteilung, zum Beispiel in Form einer EU-Einlagensicherung. Das soll Staaten, Unternehmen und privaten Haushalten Sicherheit geben, mehr zu investieren. Christine Lagarde weist zu Recht darauf hin, dass eine Risikoteilung nur mit geeigneten Maßnahmen zum Risikoabbau möglich ist. Doch gerade hier fehlt es an der richtigen Balance. Mit Blick auf die EU-Einlagensicherung wird in der EU rege über eine Vergemeinschaftung diskutiert, während die nötigen Schritte zum Risikoabbau noch lange nicht gegangen sind. Es bestehen hohe Altlasten in den Bankbilanzen, eine Berücksichtigung von Staatsanleihen in den Bankbilanzen fehlt, und wichtige Risikofaktoren wie das Insolvenz- und das Steuerrecht sind von Staat zu Staat unterschiedlich. Wer in dieser Situation Risiken zusammenführt, läuft Gefahr, dass jeglicher Anreiz verloren geht, Risiken abzubauen. Das kann man in Italien beobachten: Die Regierung dort ist nicht bereit, im Gegenzug für eine ESM-Reform Vorgaben anzunehmen, die sie zu einer solideren Haushaltspolitik verpflichten würden. Für mich gilt daher weiterhin bei jeder Debatte um mehr Europa: Risikoabbau kommt vor Risikoteilung. Das muss auch für jeglichen Fahrplan zur Weiterentwicklung der Eurozone gelten.“
 

Dr. Jürgen Gros ist Präsident des Genossenschaftsverbands Bayern (GVB). Er twittert als @JGros_GVB und ist Mitglied des Netzwerks LinkedIn.

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