Diese Website verwendet Cookies. Wenn Sie unsere Seiten nutzen, erklären Sie sich hiermit einverstanden. Weitere Informationen

    Anzeige

Anzeige

Die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland hat sich in der zweiten Jahreshälfte stabilisiert. Eine Rezession, wie sie noch im Sommer von vielen erwartet wurde, ist damit nicht eingetreten. Der Grund für diese positive Überraschung ist vor allem, dass die deutschen Unternehmen in den vergangenen Monaten wieder mehr exportiert haben. Damit kann die deutsche Wirtschaft jetzt wieder stärker von dem recht robusten internationalen Umfeld profitieren als noch im Sommer. Damals hatten sich die deutschen Exporte von der internationalen Konjunktur etwas entkoppelt.

Die zentralen Aussagen von Professor Schmidt

  • Die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland hat sich in der zweiten Jahreshälfte stabilisiert
  • Die Risiken für die deutsche Konjunktur sind aber noch nicht gebannt
  • Die Schwäche der exportorientierten Unternehmen hat noch nicht auf andere Wirtschaftsbereiche übergegriffen
  • Die Bauwirtschaft wird weiter von steigenden Einkommen und niedrigen Zinsen profitieren
  • Die Preise für Wohnimmobilien neigen zu Übertreibungen
  • Sinkende Immobilienpreise könnten einzelne Regionalbanken härter treffen als den Durchschnitt
  • Insgesamt besteht aus konjunktureller Sicht kein akuter wirtschaftspolitischer Handlungsbedarf

Die Risiken für die deutsche Konjunktur, insbesondere aus dem internationalen Umfeld, sind damit aber keinesfalls gebannt. Der nach dem Wahlerfolg von Boris Johnson wohl endgültig anstehende Brexit am 31. Januar 2020 und die von den USA angezettelten Handelskonflikte mit China und der Europäischen Union könnten zu erneuten Belastungen führen.

Ein Lichtblick für die konjunkturelle Entwicklung ist, dass die Schwäche der exportorientierten Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes bisher nicht in beunruhigendem Maße auf die anderen Wirtschaftsbereiche in Deutschland übergegriffen hat. Insbesondere die konsumnahen Dienstleistungen profitieren nach wie vor von der guten Beschäftigungslage und den steigenden Realeinkommen der privaten Haushalte. Diese Tendenz dürfte sich in den kommenden Jahren zwar etwas abschwächen, da sich vor allem Industrieunternehmen mit Neueinstellungen zurückhalten und sogar teilweise Arbeitsplätze abbauen werden. Die beschlossenen steuerlichen Entlastungen der privaten Haushalte dürfte die Kaufkraft aber stärken.

Bauwirtschaft profitiert von steigenden Einkommen

Auch die Bauwirtschaft wird weiterhin von den steigenden Einkommen der privaten Haushalte und den anhaltend niedrigen Zinsen profitieren. Niedrige Kreditzinsen und mangelnde Anlagealternativen machen den Immobilienerwerb für viele Privatpersonen attraktiv. Und die Zinsen dürften noch längere Zeit niedrig bleiben: Die Europäische Zentralbank kündigte kürzlich an, den aktuellen geldpolitischen Kurs beizubehalten, bis die Inflation im Euroraum sich nachhaltig der Zielmarke von zwei  Prozent angenähert hat. Eine Rezession in den kommenden beiden Jahren ist damit eher unwahrscheinlich.

Die seit der großen Rezession 2008/2009 durch die expansive Ausrichtung der Europäischen Zentralbank gesunkenen Zinsen haben in Deutschland zu einem starken Anstieg der Immobilienpreise geführt, vor allem in Großstädten wie München und Berlin. Die inzwischen erreichten Preisniveaus von Wohnimmobilien bergen das Risiko einer Übertreibung in sich, die früher oder später wieder korrigiert werden dürfte. In ihrem jüngsten Finanzstabilitätsbericht geht die Bundesbank davon aus, dass im Jahr 2018 Wohnimmobilien in städtischen Gebieten in Deutschland 15 bis 30 Prozent überbewertet waren. Seitdem sind die Preise weiter gestiegen. Damit ist das Rückschlagspotenzial im Immobilienmarkt angedeutet.

Mit einem Rückgang der Immobilienpreise würde sich die Vermögenssituation der privaten Haushalte deutlich verschlechtern, da Immobilien laut Finanzstabilitätsbericht inzwischen 80 Prozent des Anlagevermögens in Deutschland ausmachen. Eine Korrektur der Immobilienpreise dürfte daher deutlich negative Effekte auf die Konjunktur und den Bankensektor haben. Dies bedeutet aber nicht, dass es zwangsläufig zu einem Crash kommt. Auch hier zeigen vergleichbare Entwicklungen der Immobilienpreise in anderen Ländern, dass eine solche Korrektur ohne gravierende Folgen für den Bankensektor und die Realwirtschaft verlaufen kann.

Preiskorrektur am Immobilienmarkt birgt Risiken

Durch die hohe Nachfrage nach Immobilien ist das Kreditvolumen deutlich ausgeweitet worden. Wohnungsbaukredite machen inzwischen etwa die Hälfte der ausstehenden Kredite in Deutschland aus. Entsprechend hoch ist die Anfälligkeit des deutschen Bankensektors gegenüber einer Preiskorrektur am Immobilienmarkt, die sehr wahrscheinlich mit einem Anstieg der Kreditausfälle einhergehen würde. Ohnehin ist die Anfälligkeit der deutschen Banken gegenüber unerwarteten negativen Ereignissen gestiegen. Ein Grund dafür ist, dass die Banken angesichts der geringen Zinsmargen tendenziell bereit sind, höhere Risiken einzugehen. Gleichzeitig wurden in den vergangenen Jahren auch die Kreditvergabestandards gesenkt.

Die Anfälligkeit der deutschen Bankengruppen gegenüber negativen Schocks ist sehr unterschiedlich. So hat sich in der Finanzkrise der Jahre 2008/2009 gezeigt, dass die regional begrenzt tätigen Genossenschaftsbanken und auch die Sparkassen von der Bankenkrise wenig betroffen waren. Gerade diese Bankengruppen haben ihre Kreditvergabe während der Finanzkrise insgesamt nicht eingeschränkt, während das Kreditvolumen der Großbanken in dieser Phase stark zurückging. Dies dürfte zum einen daran gelegen haben, dass Genossenschaftsbanken und Sparkassen in der Regel über hohe Einlagen verfügen und nicht auf die Refinanzierung am Geldmarkt angewiesen sind. Zum anderen waren die international tätigen Großbanken enger mit dem US-Finanzsystem verflochten und damit auch stärker von der Krise betroffen.

Preiskorrekturen in Großstädten am stärksten

Allerdings würden sinkende Immobilienpreise regional aktive Finanzinstitute wie Genossenschaftsbanken oder Sparkassen in einzelnen Regionen wahrscheinlich härter treffen als überregional tätige Banken. Der Grund liegt darin, dass die Preiskorrekturen dort am stärksten sein dürften, wo die Preise in den vergangenen Jahren am deutlichsten gestiegen sind. Dies trifft vor allem für die städtischen Ballungsräume zu. Auch diese Einschätzung deckt sich mit den Erfahrungen aus den USA.

Solange ein Übergreifen der Belastungen von einzelnen Banken auf das gesamte Finanzsystem vermieden werden kann, dürften auch die Effekte auf die Kreditvergabe und damit auf die Realwirtschaft begrenzt bleiben. Aufgrund der Erfahrungen aus der Finanzkrise sind gerade im Bereich der Finanzstabilität eine Reihe von Verbesserungen eingeführt worden. Nicht zuletzt wurde die seit Langem bestehende Einlagen- und Institutssicherung in der genossenschaftlichen FinanzGruppe weiter verbessert.

Insgesamt besteht derzeit weder aus konjunktureller Sicht noch zur Sicherung der Finanzstabilität ein akuter wirtschaftspolitischer Handlungsbedarf. Die Herausforderungen sind vielmehr mittel- bis langfristiger Natur. Der Strukturwandel in der Automobilindustrie, die Digitalisierung des Wirtschaftsgeschehens und die Neuausrichtung der Klima- und Energiepolitik stellen die Unternehmen vor enorme Herausforderungen. Hier gilt es, die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen so zu setzen, dass dieser Strukturwandel auf Dauer neue Tätigkeitsfelder für Unternehmen und damit neue Arbeitsplätze schafft. Dies würde auch die Ertragslage der Banken verbessern und damit die Robustheit des Bankensektors gegenüber Krisen erhöhen.
 

Prof. Dr. Torsten Schmidt ist stellvertretender Leiter des Kompetenzbereichs „Wachstum, Konjunktur, Öffentliche Finanzen“ am RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und apl. Professor für empirische Makroökonomik an der Ruhr-Universität Bochum.

Artikel lesen
Topthema