Digitalisierungsoffensive: Das neue OnlineBanking für Privatkunden geht an den Start. Was sollten die Volksbanken und Raiffeisenbanken in Bayern dazu wissen? „Profil“ informiert.
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Herr Beyer, Herr Coenen, zum 1. September 2021 ist aus der Fiducia & GAD IT AG die Atruvia AG geworden. Welche Gründe waren ausschlaggebend dafür, dem IT-Dienstleister der Volksbanken und Raiffeisenbanken einen neuen Namen zu geben?
Martin Beyer: Die Namensänderung symbolisiert eine klare Zäsur für unser Unternehmen und sendet ein deutliches Signal in den Markt, dass für uns eine neue Ära beginnt: Der Fusionsprozess zwischen der Fiducia und der GAD sowie der aufwendige und anspruchsvolle Konsolidierungsprozess im IT-Umfeld liegen hinter uns. Insofern war der bisherige Name für die zurückliegende Etappe gut und richtig – jetzt aber bricht für uns eine neue Epoche an, deren Grundlagen wir mit unserer Neuausrichtung in den letzten zwei Jahren geschaffen haben…
Ulrich Coenen: Genau, und zwar mit einer strategischen Neuorientierung, die überzeugende Antworten auf den fundamentalen Wandel im Finanzsektor gibt. Der Name Atruvia steht auch für ein neues Rollenverständnis im Verbund als Guide und Coach der deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken, der sie sicher durch die Klippen eines anhaltend volatilen Marktumfelds navigiert.
Was bedeutet der Name „Atruvia“?
Beyer: Der Name Atruvia ruft vielfältige Assoziationen wach: In der Silbe „tru“ klingt beispielsweise das englische Wort „true“ an, was an Vertrauen und Wahrhaftigkeit denken lässt. Demgegenüber weist das abschließende „via“ auf Verbindendes hin – auf die Fähigkeit, Brücken zu schlagen wie ein Viadukt. Das kann man technologisch verstehen als Vernetzung von Menschen und Märkten über IT-Systeme oder aber auf neue Formen der kooperativen Zusammenarbeit zwischen uns und unseren Kunden beziehen.
Coenen: Eine weitere Bedeutungsnuance ergibt sich aus der lateinischen Herkunft der Präposition „via“, die ja ursprünglich so viel wie Strecke oder Weg bedeutet. Gemeint ist der gemeinsame Weg in Richtung Zukunft, den Atruvia als vertrauenswürdiger Digitalisierungspartner mit den Genossenschaftsbanken gehen will. Alles in allem bringt der neue Markenname unser Serviceversprechen sehr prägnant und klangvoll auf den Punkt: „Wir verbinden Menschen und Märkte von morgen – einfach. digital. sicher.“ Genau deshalb haben wir uns strategisch neu aufgestellt, damit wir dieses Versprechen bestmöglich einlösen können.
Wie sieht die neue strategische Ausrichtung von Atruvia konkret aus?
Beyer: Auf technologischer Ebene zielt unsere neue Strategie auf die Ablösung des historisch gewachsenen Kernbanksystems durch eine offene, modulare und von Cloud-Paradigmen geprägte Plattformarchitektur. Bankprozesse werden künftig also nicht mehr in einem monolithischen System abgebildet, dessen Komplexität dadurch immer weiterwächst und nicht mehr zeitgemäß ist, sondern auf einer offenen Plattform – und zwar durch sogenannte Microservices. Weil es sich hierbei um hochgradig standardisierte, vorab getestete Softwarebausteine handelt, können wir neue Funktionen um ein Vielfaches schneller und kostengünstiger entwickeln als in der Vergangenheit, und diese Bausteine wiederverwenden. Gleichzeitig verbessert sich sowohl die Stabilität als auch die regulatorische Konformität der jeweiligen Lösung. Mit plattformbasierten Banking-Services bringen wir die Standardisierung und Automatisierung in Genossenschaftsinstituten maßgeblich voran. Und das bedeutet letztlich höhere Prozesseffizienz bei zugleich verbesserter Compliance-Fähigkeit. Mittelfristig wollen wir rund 80 Prozent des Standardgeschäfts in Banken via Banking-Services vollständig automatisieren. Außerdem beschleunigt unsere strategische Plattformorientierung auch das Innovationstempo, sodass die Volksbanken und Raiffeisenbanken mit digitalen Angeboten deutlich schneller als bisher auf veränderte Kundenerwartungen reagieren können. Neben sprunghaft steigender Effizienz steht das offene Plattformparadigma folglich auch für maximale Kundenähe in der digitalen Welt.
„Die neue Banking-Plattform macht den Weg frei für digitale Ökosysteme regionaler Prägung, die den Genossenschaftsbanken noch mehr Relevanz im Alltag ihrer Kunden ermöglichen.“
„Wir werden Banking besser und mehr als Banking machen“, haben Sie auf der Hauptversammlung gesagt, Herr Beyer. Können Sie diese Aussage etwas näher erläutern? Was genau meinen Sie mit „mehr als Banking machen“?
Beyer: Die technologisch offene Plattformarchitektur gibt der genossenschaftlichen FinanzGruppe völlig neue Möglichkeiten an die Hand, das Miteinander-Füreinander tatsächlich mit Leben zu erfüllen – etwa durch Integration von Verbundpartnerangeboten in den Omnikanal-Service einer Bank. Schon heute können die Volksbanken und Raiffeisenbanken beispielsweise erste Produkte der Bausparkasse Schwäbisch Hall und der R+V Versicherung nahtlos in ihr Portfolio einfügen und somit den Service für ihre Kunden bedarfsgerecht erweitern. Solche Möglichkeiten sind aber keineswegs nur auf den Genossenschaftsverbund beschränkt. Im Gegenteil: Prinzipiell können die Kreditgenossenschaften auch digitale Dienstleistungen von Drittanbietern aus der Region in ihr Omnikanal-Angebot aufnehmen – sofern sie darin einen echten Kundenmehrwert sehen. Die Banking-Plattform macht somit den Weg frei für digitale Ökosysteme regionaler Prägung, die den Genossenschaftsbanken noch mehr Relevanz im Alltag ihrer Kunden ermöglichen. Mit „mehr als Banking“ meine ich demnach vor allem neue Ertragsquellen und eine erweiterte Wertschöpfung über konventionelle Bankdienstleistungen hinaus. Aber wir sollten in der genossenschaftlichen FinanzGruppe gemeinsam erst einmal unsere Hausaufgaben machen. Und das heißt für mich, aus dem Kerngeschäft der Banken heraus die digitale Relevanz an der Kundenschnittstelle deutlich zu erhöhen. Die Basis dafür legen wir noch in diesem Jahr mit unserem neuen OnlineBanking und der VR Banking App für Firmen- und Privatkunden.
Zahlen und Fakten zur Atruvia AG (Stand: 31.12.2020)
Umsatz Konzern Atruvia AG (inklusive Tochterunternehmen) | 1,77 Milliarden Euro |
Umsatz Atruvia AG | 1,37 Milliarden Euro |
Mitarbeiter Konzern | 8.321 |
Betreute Banken | 1.081 |
Buchungen / Transaktionen pro Jahr | 7,5 Milliarden |
Anzahl betreuter Konten | 86 Millionen |
Zusammen mit der neuen Unternehmensstrategie steht auch der Umbau der Atruvia AG in eine agile Organisation im Mittelpunkt Ihrer Agenda. Welche Ziele haben Sie sich gesetzt und wie profitieren davon die Primärbanken?
Coenen: Ein derart tiefgreifender technologischer Kurswechsel kann nur dann gelingen, wenn er auf organisatorischer Ebene von einem ebenso tiefgreifenden Change-Prozess flankiert wird. Wir hatten in den letzten Jahren ja bereits punktuell mit agilen Arbeitsweisen experimentiert. Doch solche Einzelprojekte brechen langjährig gewachsene Silostrukturen noch nicht auf. Echte Agilität entsteht erst durch unternehmensweit vernetztes Handeln ohne althergebrachte Hierarchiehürden – wobei die Kunst der Umsetzung darin besteht, neue Organisationsformen und Führungsrollen mit dem berechtigten Anspruch der Banken nach Verlässlichkeit und gewohnter Servicestabilität zu verbinden. Von der konsequenten „Agilisierung“ des gesamten Unternehmens versprechen wir uns mehr Entfaltungschancen und höhere Motivation in der Belegschaft sowie ein nachhaltig steigendes Innovationstempo. Die Primärbanken profitieren in doppelter Weise – nämlich einerseits durch kürzere Ausbringungszyklen und folglich schnellere Reaktion auf veränderte Kundenbedürfnisse. Andererseits steckt Agilität sozusagen an, denn das beschleunigte Ausbringungstempo können Banken nur dann für sich nutzen, wenn sie organisatorisch damit Schritt halten können. Viele Häuser berichten uns, dass ihnen dies durch Einsatz agiler Vorgehensweisen immer besser gelingt.
„Wir sehen unsere künftige Rolle nicht mehr als klassischer IT-Dienstleister, sondern ganz klar als Digitalisierungspartner für Banken.“
In welcher Rolle sieht sich Atruvia gegenüber den Primärbanken – und hat sich daran durch die neue Unternehmensstrategie etwas geändert?
Coenen: Wir sehen unsere künftige Rolle nicht mehr als klassischer IT-Dienstleister, sondern ganz klar als Digitalisierungspartner für Banken. Die strategische Neuausrichtung befähigt uns erst dazu, diese neue Rolle tatsächlich auch auszufüllen. Und unser neuer Markenauftritt bekräftigt unsere Entschlossenheit, das eingangs erwähnte Serviceversprechen unter allen Umständen einzulösen.
Nach einem Beschluss des Aufsichtsrats führen Sie beide Atruvia als Vorstandssprecher gemeinsam. Warum sind zwei Kapitäne auf der Kommandobrücke des Unternehmens besser als einer?
Beyer: Ich persönlich bin ein großer Verfechter einer doppelt besetzten Kommandobrücke in komplexen Unternehmen, wie es Atruvia nun einmal ist – und wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben sind. Dazu gehört ein identischer Blick auf die strategischen Herausforderungen des Unternehmens, eine vertrauensbasierte zwischenmenschliche Komponente und sich ergänzende Kompetenzprofile. So können wir zu zweit die thematische Bandbreite unserer Unternehmensmission besser abdecken: Als gestandener Digitalisierungsexperte verfügt Uli über eine einzigartige Expertise in puncto transformierte Geschäftsmodelle, Plattformökonomie und agile Arbeitsformen. Damit verkörpert er authentisch die strategische Ausrichtung von Atruvia und bringt zugleich einen frischen Blick von außen mit. Uns beide verbindet eine wertebasierte, genossenschaftlich geprägte Sicht auf die Herausforderungen, vor denen die Volksbanken und Raiffeisenbanken in den kommenden Jahren stehen. Ich bin deshalb sehr froh, dass der Aufsichtsrat meiner Empfehlung gefolgt ist.
Ein laufendes Mammutprojekt von Atruvia ist die Digitalisierungsoffensive der Volksbanken und Raiffeisenbanken. Wie kommen Sie bei der Umsetzung voran?
Coenen: Wir arbeiten an verschiedenen Fronten daran, die Zielvision der Digitalisierungsoffensive zu verwirklichen. Eine zentrale Rolle spielt in diesem Kontext unsere Omnikanal-Plattform, weil Genossenschaftsbanken ihren Kunden damit bedarfsgerechte Omnikanal-Lösungen mit unverwechselbarer Erlebnisqualität einfach und sicher anbieten können. Ziel ist es, auf der einen Seite ein herausragendes Omnikanal-Erlebnis für die Bankkunden zu schaffen und auf der anderen Seite einen hohen Automatisierungsgrad im Backoffice zu erreichen. In diesem Jahr haben wir den Umzug des Firmenkundenportals abgeschlossen und die alte Umgebung bereits deaktiviert. Momentan arbeiten wir am neuen OnlineBanking für Privatkunden und wollen noch im laufenden Quartal die gleichfalls grunderneuerte VR Banking App live schalten.
Was unternehmen Sie, um der Digitalisierungsoffensive weiteren Schwung zu verschaffen?
Beyer: Wir wollen vor allem noch mehr Unterstützungsangebote für die Volksbanken und Raiffeisenbanken schaffen, denn Digitalisierung fängt im Kopf an und ist eine Haltungsfrage, die beim Vorstand beginnt. Deshalb möchte ich an dieser Stelle noch einmal auf unsere umfassenden Beratungsleistungen und das im vorigen Dezember veröffentliche Kommunikationspaket zur Vertriebsplattform hinweisen – und darauf, dass niemand unbegrenzt Zeit hat: Bis Mitte 2023 fließen insgesamt etwa 500 Millionen Euro in die genossenschaftliche Digitalisierungsoffensive. Doch in dieser Frist müssen Effizienzgewinne und zusätzliche Wertschöpfung soweit gestiegen sein, dass die Volksbanken und Raiffeisenbanken über ausreichend eigenen finanziellen Spielraum für künftige Digitalisierungsinvestitionen verfügen.
„Smart Data ist längst keine Zukunftsmusik mehr, sondern rechnet sich schon heute.“
Bei der Entwicklung neuer Banking-Angebote wollen Sie in Zukunft verstärkt Smart Data und künstliche Intelligenz (KI) einsetzen, um für die Banken „echte Mehrwerte und starke Vertriebsimpulse“ zu generieren. Können Sie schon etwas genauer sagen, was Sie vorhaben?
Coenen: Smart Data und KI sind für uns keine bloße Option, sondern ein zwingender Imperativ. Warum? Weil eine echte 360-Grad-Sicht auf individuelle Bedürfnisprofile in einer meist heterogenen Kundschaft nur durch die intelligente Vernetzung digitaler Informationen aus unterschiedlichen Datenquellen möglich ist. Mit Smart Analytics lässt sich einerseits der Inhalt jedes einzelnen Kundenkontakts in Echtzeit an den tatsächlichen Bedarf anpassen. Andererseits sorgen Nutzungsanalysen automatisch für die Auswahl des jeweils am besten geeigneten Kanals. Mit datengetriebenen Kundenkontakten können sich Genossenschaftsbanken im Wettbewerb der digitalen Ära differenzieren und verfügbare Vertriebsressourcen deutlich effektiver nutzen. Wie das geht, zeigt zum Beispiel die Volksbank Ulm-Biberach, die sich dem Smart-Data-Lab von Atruvia anschloss, um herauszufinden, wie viel ungenutztes Potenzial in ihren inaktiven Servicekunden steckt. Gemeinsam entstand dort ein tragfähiger Use-Case, der sich als Musteranwendung auch für andere Volksbanken und Raiffeisenbanken empfiehlt: Nach der Anreicherung des relevanten Datenbestands mit Zusatzinformationen von Verbund- und externen Partnern folgte im zweiten Schritt die eigentliche smarte Analyse, die rund 4.200 Servicekunden mit unerschlossenem Potenzial zutage förderte. Von 329 telefonisch erreichbaren Kundinnen und Kunden vereinbarten 149 ein Beratungsgespräch. 83 Prozent dieser Gespräche endeten mit einem Abschluss – darunter zwei Baufinanzierungen und etliche Union-Sparplanverträge. Smart Data ist also längst keine Zukunftsmusik mehr, sondern rechnet sich schon heute.
Herr Beyer, Herr Coenen, herzlichen Dank für das Gespräch!
Die beiden Vorstandssprecher im Kurz-Portrait
Martin Beyer verantwortet als Vorstandssprecher der Atruvia AG (bisher: Fiducia & GAD) das Ressort „Unternehmensentwicklung“. Vor der Fusion zur Fiducia & GAD war er seit Januar 2014 Vorstandsmitglied der GAD eG. Der Diplom-Betriebswirt kam nach einer Ausbildung zum Bankkaufmann und dem Abschluss eines betriebswirtschaftlichen Studiums Ende 1991 zur GAD. Zu seinen Aufgaben zählten unter anderem die Einführung des SAP-Systems im Konzern und die Neuausrichtung der Unternehmenssteuerung in der GAD. 2006 wurde er zum Bereichsleiter Unternehmenssteuerung und -entwicklung ernannt und verantwortete in dieser Funktion das Finanz- und Rechnungswesen, das Unternehmenscontrolling, das Beteiligungsmanagement und Recht. 2013 wurde Martin Beyer Generalbevollmächtigter und Leiter des Ressorts Finanzen.
Ulrich Coenen leitet als Vorstandssprecher der Atruvia AG (bisher: Fiducia & GAD) das Ressort „Digitale Lösungen“. Der gelernte Diplom-Ökonom und Digital-Experte verantwortete zuvor unter anderem als Mitglied der Geschäftsleitung von E-Plus, als unabhängiger Strategie- und Technologieberater und zuletzt als Bereichsvorstand der Commerzbank erfolgreich zahlreiche Projekte zur digitalen Transformation. Im Fokus seiner Arbeit steht die Ausgestaltung neuer digitaler Geschäftsmodelle und innovativer IT-Lösungen für Banken.